Die Diskussion um eine anonyme „Läster-Plattform“ im Internet hat Cybermobbing oder korrekter: Cyberbullying in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Polizei berichtet von einer Zunahme der Strafanzeigen, die mit Cyberbullying in Verbindung gebracht werden. Lehrerinnen und Lehrer – selbst manchmal Opfer der virtuellen Verbalattacken – sind unsicher, wie sie sich verhalten sollen.

Lästereien über Mitschüler hat es zwar immer schon gegeben, jedoch erhalten sie durch die – im wahrsten Sinne des Wortes – Verewigung im Netz eine neue Dimension. Früher war Bullying unter Schülern meist auf den Schulhof begrenzt. Beim Cyberbullying hören die Peinigungen auch in den eigenen vier Wänden nicht auf. Nicht nur auf der besagten Läster-Plattform, auch in Sozialen Netzwerken, Foren, Chats, per E-Mail oder SMS sind Schülerinnen und Schüler (und im Übrigen auch Erwachsene) Mobbing ausgesetzt. Auch wenn der Computer aus ist: Was einmal im Netz steht, ist so leicht dort nicht mehr wegzubekommen. Sich aus Sozialen Netzwerken abzumelden, ist für die meisten von Bullying betroffenen Jugendlichen keine Option. Damit würden sie sich selbst noch mehr ins Abseits stellen, als sie es ohnehin schon sind. Und auch dann gilt ja, dass die Gerüchte und Beleidigungen stehen bleiben.

Wie kann man Cyberbullying beikommen? Hier sind sich endlich einmal alle einig: Laut ist der Ruf nach Stärkung der Medienkompetenz junger Menschen. Das ist prinzipiell nicht falsch, greift aber etwas zu kurz. Gerade beim Bullying darf man nicht aus den Augen verlieren, dass das, was online passiert, seine Wurzeln meist tatsächlich auf dem (realen) Pausenhof hat. Der Medienrechtler Urs Gasser, Autor des Buchs „Generation Internet“, erklärt im Interview mit der ZEIT: „Untersuchungen zeigen, dass die Opfer von Cybermobbing auch Opfer von Mobbing im echten Leben sind. Und dass 80 Prozent der Cybermobbing-Opfer die Täter persönlich kennen.“ Aus Angst und Scham wehren sich viele Schülerinnen und Schüler nicht, wenn sie beleidigt und verspottet werden. Stattdessen kann für sie die Anonymität des Internets verlockend sein, um ihren angestauten Frust herauszulassen. „Opfer von Cybermobbing werden überdurchschnittlich häufig zu Tätern, die dann andere mobben“, so Gasser. „Sie haben gelernt, wie solche Attacken funktionieren, und schlagen in einer Art Blitzableiter-Handlung zurück. Sie spiegeln die Aggression und geben sie an andere weiter, um sich nicht länger schwach zu fühlen.“ Ein Teufelskreis.

Die aktuelle Diskussion rückt gute Beispiele ins Rampenlicht, wie Schulen mit (Cyber)Mobbing umgehen und wie kreativ Schülerinnen und Schüler selbst gegen die Läster-Plattform vorgehen. Ein Ziel ist vor allem die Schärfung des Unrechtsbewusstseins, dass in Jugendjahren noch nicht so ausgebildet ist. Häufige Reaktion von Tätern, die man mit den Auswirkungen ihrer Gemeinheiten auf das Opfer konfrontiert, ist: „War doch nur Spaß!“ Die Polizei sieht auf ihrem Beratungsportal die Ursachen dafür auch in der Gesellschaft, die jungen Menschen falsche Ideale vorlebt: „Andererseits erleben sie in Schule, sozialem Umfeld, Medien und Politik Erscheinungen und Personen, die durch vergleichbares Handeln den Eindruck entstehen lassen, dass es ‚in Ordnung‘ sei, andere bloßzustellen oder zu beleidigen.“ Daher müssen gerade Multiplikatoren und Vorbilder mit gutem Beispiel vorangehen. Medien müssen ihre besonders auf Jugendliche ausgerichtete Programmangebote wie Castingshows dahingehend überdenken.

Erfolgreiche Anti-Bullying-Maßnahmen erfordern vor allem eines: konsequentes Vorgehen aller beteiligten Erwachsenen. Den Tätern muss klar sein, dass Bullying weder real noch im Internet toleriert wird und dass sowohl disziplinarische als auch strafrechtliche Konsequenzen drohen. Gerade beim Cyberbullying ist den Jugendlichen oft nicht klar, dass sie zum einen nicht so anonym sind, wie sie glauben, und zum anderen tatsächlich Gesetze brechen, also straf- und/oder zivilrechtlich belangt werden können.
Damit Opfer, aber auch Eltern und Lehrende schnell Unterstützung finden können, muss es zentrale Beratungsstellen sowohl online als auch offline geben. Die von (Medien-)Pädagogen lautstark beklagte „Projektitis“ im Bereich Medienbildung trifft tatsächlich besonders die Ratsuchenden: Informationen müssen mühsam von verschiedenen Webseiten zusammengeklaubt werden. Akteure wie Polizei, Landesmedienanstalten, Schulbehörden, Lehrerportale, medienpädagogische oder psychologische Beratungsstellen, Universitäten, Selbsthilfegruppen usw. bieten eine Vielzahl von teils sehr konkreten Unterstützungsangebote gegen Cyberbullying für verschiedene Zielgruppen. Positiv hervorheben kann man vielleicht juuuport.de, ein mittlerweile unter Jugendlichen recht bekanntes Portal, wo sie sich Tipps von anderen, für die Beratung speziell geschulten Jugendlichen holen können. Eine solche erste Anlaufstelle müsste jedoch noch viel stärker beworben werden und vor allem auch weiterführende Hilfe anbieten können. Was fehlt ist ein gut sichtbarer Leuchtturm im Meer der Beratungsangebote, Präventions–Projekttage und Anti-Mobbing-Wettbewerbe. Hier tut eine enge Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure Not.

Wir brauchen ein zentrales, nicht nur auf Cyberbullying beschränktes Portal, das

– bundesweit Medienbildungsangebote sinnvoll vernetzt,
– Informationen für verschiedene Gruppen von Ratsuchenden übersichtlich bereitstellt und
– das in einer breiten Kampagne beworben und bekannt gemacht wird.

Ein solches Portal zeigt nicht nur auf, was es gibt, sondern nach einiger Zeit auch, welche Angebote am häufigsten genutzt werden und wo möglicherweise noch Mangel herrscht. Natürlich muss sich die virtuelle Struktur auch in der Wirklichkeit widerspiegeln: Ein Internetportal ersetzt nicht die Beratung und das Konfliktmanagement in der Realität.

Vielleicht ist es an der Zeit für einen bundesweiten Aktionsplan „Medienbildung“, um Kinder und Jugendliche von Anfang an fit für einen positiven Umgang mit den Möglichkeiten des Internet zu machen. Statt unzusammenhängend an einzelnen „Symptomen“ wie Cyberbullying herumzudoktern, sollte damit begonnen werden, präventiv eine solide Grundlage für einen verantwortungsvollen Umgang mit interaktiven Medien zu schaffen. Wohl wissend, dass es immer auch Risiken und Schwierigkeiten geben wird, denen man begegnen muss. Denn wie Catarina Katzer, eine der führenden Forscherinnen zum Thema Cyberbullying, es ausdrückte: „Tränen, die im Netz geweint werden, sind echt.“

Ziel in der gesamten Diskussion muss vor allem sein, „dass eines Tages Jugendliche im Internet genau so wenig wegschauen, wenn irgendwo jemand beleidigt, beschimpft wird, wie man das eigentlich auf der Straße auch nicht macht. Zivilcourage im Internet, das muss eigentlich das Ziel von Medienerziehung in diesem Bereich sein“, wie es Moritz Becker von Smiley e.V. im Interview mit dradio zusammenfasste.

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