Bereits Mitte 2011 war eine Liste der Generalstaatsanwaltschaft München bekannt geworden, in der die tatsächlichen Speicherzeiten von Telekommunikationsanbietern dokumentiert werden. Nachdem bereits diese 10-seitige Kurzversion bekannt war, hat nun gestern der AK Vorrat den ausführlichen „Leitfaden zum Datenzugriff“ der Generalstaatsanwaltschaft München (pdf, 411 KB) veröffentlicht.

Beide Versionen des Papiers werfen die Frage auf, ob die pauschalen Behauptungen der Befürworter der Massenspeicherung, dass es keine Daten gäbe – auf die zum Beispiel im Rahmen eines „Quick Freeze“-Verfahrens zurückgegriffen werden kann –  zutreffend sein können. Eng verbunden hiermit ist auch die Frage nach der Speicherfristen von Verkehrsdaten, die eigentlich zweckgebunden für Abrechnung und Entstörungen gespeichert werden. Die kontroverse Diskussion um die von Union und FDP kassierte zeitliche Begrenzung im Telekommunikationsgesetz, über die wir hier und hier ausführlich berichtetet haben, hat auch vor dem Hintergrund der Kurzversion des Münchner Leitfadens stattgefunden.

Insgesamt gibt das nun bekannt gewordene Papier einen umfassenden Einblick, welche Möglichkeiten den Strafverfolgungsbehörden für Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung stehen und wie diese heute schon genutzt werden. Eine erste Analyse des Papiers hat Udo Vetter im Lawblog vorgenommen. In seiner eigenen Analyse des ursprünglich als „Verschlusssache“ gekennzeichneten Papiers schreibt der AK Vorrat:

Der Leitfaden zum Datenzugriff enthüllt in verschiedenen Punkten einen äußerst fragwürdigen Umgang der Ermittler mit den schon heute verfügbaren Daten.

Weiter heißt es von Seiten des AK Vorrat:

Das brisante Dokument belegt einen fahrlässigen Umgang der Ermittler mit verfügbaren Daten und einzuhaltenden Rechtsvorschriften. Dies verdeutlicht ein weiteres Mal, wie wichtig es ist, eine gänzlich verdachtslose Vorratsspeicherung aller unserer Verbindungsdaten zu verhindern.

Wir wollen das Papier der Staatsanwaltschaft an dieser Stelle nicht detailliert bewerten, sondern Euch auf schriftliche Fragen aufmerksam machen, die wir nach Bekanntwerden der kürzeren Fassung des Leitfadens Anfang des Monats an die Bundesregierung gestellt hatten.

1. Frage an die Bundesregierung vom 1. November 2011:

Aufgrund welcher tatsächlichen und rechtlichen Umstände sah sich die Bundesregierung über Monate veranlasst, den Vorschlag einer Reform des §97 Abs. 4 des Telekommunikationsgesetzes in der Öffentlichkeit zu halten, (Gesetzentwurf vom 2.3.2011), der eine eindeutige, auf drei Monate beschränkte Speicherungsfrist von Verkehrsdaten der Nutzer für Intercarrierabrechnungen vorsah und welche tatsächlichen, rechtlichen oder sonstigen Erwägungen oder Veränderungen haben die Bundesregierung bewogen, diesen Vorschlag am Vorabend der entscheidenden Abstimmung in den beteiligten Ausschüssen des Bundestages wieder zurückzunehmen?

Antwort der Bundesregierung vom 9. November 2011:

Die im Regierungsentwurf vorgesehene, auf drei Monate beschränkte Speicherfrist von Verkehrsdaten der Nutzer für Intercarrierabrechnungen wurde vom Bundestag nicht übernommen. Der Bundestag hat sich vielmehr für eine Beibehaltung der geltenden Regelung in §97 Abs. 4 TKG ausgesprochen. Danach dürfen Diensteanbieter Verkehrsdaten verwenden, soweit dies zu Abrechnungszwecken für die in § 97 Abs. 4 TKG normierten Intercarrierbeziehungen erforderlich ist.

2. Frage an die Bundesregierung vom 1. November 2011:

Welche Höchstspeicherfrist erlaubt § 97 Abs. 4 TKG nach Auffassung der Bundesregierung in seiner derzeitigen Fassung und auf welche Weise begründet sie den Speicherzweck Intercarrierabrechnung samt Auslegung der Bestimmung?

Antwort der Bundesregierung vom 9. November 2011:

Die Zulässigkeit der Speicherung nach §97 Abs. 4 TKG bemisst sich grundsätzlich an ihrer Erforderlichkeit für den diesem Erlaubnistatbestand zu Grunde liegenden Zweck. Dabei ist die Erforderlichkeit abhängig von Faktoren wie technischer Ausgestaltung der Telekommunikations-Infrastruktur und den Wechselbeziehungen zwischen den beteiligten Telekommunikationsunternehmen und kann daher nicht ohne weiteres generell beurteilt werden. Insoweit kann die zulässige Dauer, abhängig vom jeweiligen Einzelfall, unter oder über drei Monaten liegen.

3. Frage an die Bundesregierung vom 1. November 2011:

Gibt es aus Sicht der Bundesregierung Hinweise darauf, dass diese Speicherfrist in der Praxis nicht eingehalten bzw. seitens der Provider entgegen dem allgemeinen datenschutzrechtlichen Gebot der Begrenzung am Erforderlichkeitsgrundsatz verfahren wird?

Antwort der Bundesregierung vom 9. November 2011:

Der Bundesregierung liegen bislang keine Erkenntnisse vor, dass Verkehrsdaten zum Zwecke der Intercarrierabrechnungen über die Grenze der Erforderlichkeit hinaus gespeichert werden.

Die Bundesregierung weist ergänzend darauf hin, dass die Frage der zulässigen Speicherdauer von Verkehrsdaten u.a. auch für Intercarrierabrechnungen Gegenstand einer Anzeige des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung e.V. ist.

Bewertung der Antworten der Bundesregierung:
Natürlich hat nicht die Bundesregierung selbst, sondern der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP die entsprechenden Passus des Gesetzes geändert. Dennoch ist selbstverständlich davon auszugehen, dass die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP die Änderung des §97 Abs. 4 TKG nicht ohne eine entsprechende Abstimmung mit den zuständigen Ministerien vorgenommen haben.

Die Antwort der Bundesregierung auf unsere zweite Frage zeigt eindeutig, was auch die Antwort der Bundesregierung auf unsere dritte Frage bestätigt: Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben keinerlei Vorstellung davon, welche TK-Unternehmen für welche Zeiträume entsprechende Daten speichern. Sie gibt lediglich an, dass die „zulässige Dauer, abhängig vom jeweiligen Einzelfall, unter oder über drei Monaten liegen“ kann.

In der Antwort auf die dritte Frage gibt die Bundesregierung schließlich zu Protokoll, dass sie keinerlei Kenntnis davon hat, dass Speicherfristen in der Praxis nicht eingehalten bzw. seitens der Provider entgegen dem allgemeinen datenschutzrechtlichen Gebot der Begrenzung am Erforderlichkeitsgrundsatz über längere Zeiträume gespeichert werden. Dass sie in ihrer Antwort auf den AK Vorrat und dessen Anzeige verweist, ist bezeichnend. Kleine Randnotiz: Im Übrigen ist der AK kein eingetragener Verein, sondern vielmehr ein loser Zusammenschluss von AktivistInnen, die sich über eine Mailingliste austauschen.

Wie geht es weiter?
Nach Lektüre der Antworten der Bundesregierung stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung tatsächlich nicht über die Kenntnisse verfügt, über die die Generalstaatsanwaltschaft München ganz offenbar verfügt. Wir haben daher heute die Bundesregierung nach einer Einschätzung des gestern durch den AK Vorrat bekannt gewordenen Leitfadens der Generalstaatsanwaltschaft befragt.

Hier unsere Frage vom 30. November 2011 im Wortlaut:

Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, dass ein am 29. November 2011 veröffentlichter „Leitfaden zum Datenzugriff“, den die Generalstaatsanwaltschaft München erstellt hat, „einen äußerst fragwürdigen Umgang [..] der Ermittler mit verfügbaren Daten und einzuhaltenden Rechtsvorschriften“ verdeutlicht und wie, sollte dies der Fall sein, wird die Bundesregierung sicherstellen, dass zukünftig Strafverfolgungsbehörden nur Leitfaden und andere Dienstanweisungen an die Hand gegeben werden, die geltende Rechtsvorschriften beachten und den Einzelfall angemessen berücksichtigen?

Über die Antwort der Bundesregierung halten wir Euch selbstverständlich auf dem Laufenden.

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