Am 26. Mai 2012 wird in Baku der Eurovision Song Contest ausgetragen – in einem Land, das extrem autoritär regiert wird, aber wegen seiner fossilen Energiereserven heftig umworben wird: Aserbaidschan. Was bedeutet das für den Eurovision Song Contest? Wie politisch kann, darf, muss der Eurovision Song Contest, die Künstler und Fans sein? Wie kann der Eurovision Song Contest statt Propagandashow für ein autoritäres Regime eine Solidaritätsbotschaft für die aserbaidschanischen Demokratie- und MenschenrechtsaktivistInnen werden? Wie organisiert sich die Opposition des Landes im Netz? Das sind Fragen, die derzeit heiß diskutiert werden.

Am heutigen Donnerstag, den 10. Mai 2012, diskutiert die grüne Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon ab 18.30 Uhr im “Monarch” in der Skalitzer Straße 134  (U-Bahn Kottbusser Tor) mit Emil Milli, Blogger und Menschenrechtsaktivist aus Aserbaidschan. Gäste sind herzlich willkommen. Wir hatten gestern darüber berichtet.

Viola von Cramon und einige andere Abgeordnete hatten am 21.03.2012 eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zur menschenrechtliche und innenpolitische Lage in Aserbaidschan vor dem Eurovision Song Contest 2012 gestellt, in der sie sich unter anderem auch über die Situation von Journalistinnen und Journalisten und Bloggerinnen und Bloggern erkundigen. Mittlerweile liegen auch die Antworten der Bundesregierung auf die Fragen vor.

Auf die Frage, wie viele Menschen (insbesondere Journalistinnen bzw. Journalisten, Bloggerinnen bzw. Blogger) derzeit in Aserbaidschan inhaftiert seien, weil sie von ihren Rechten auf Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit Gebrauch gemacht haben führt die Bundesregierung folgendes an:

Nach Erkenntnissen der Bundesregierung befinden sich in Aserbaidschan aktu­ell fünf Medienvertreter in Haft, deren Verhaftung nach Ansicht einiger lokaler Menschenrechtsverteidiger im Zusammenhang mit ihrer journalistischen Tätig­keit steht. Es handelt sich dabei um Avaz Zeynalli, Chefredakteur der Zeitung „Khural“, der sich seit dem 28. Oktober 2011 wegen des Vorwurfs schwerer Er­pressung in Untersuchungshaft befindet; Aydin Janiyev, am 22. November 2011 zu drei Jahren Haft wegen Rowdytums verurteilt; Ramin Bayramov, am 7. März 2012 zu 18 Monaten Haft wegen illegalen Drogen- und Waffenbesitzes verurteilt; Anar Bayramli sowie dessen Fahrer Ramin Dadashov, die sich seit 20. Februar 2012 wegen des Vorwurfs des illegalen Drogenbesitzes in Untersu­chungshaft befinden. Die Beweislage ist teilweise widersprüchlich. Daher be­steht keine gesicherte Erkenntnis darüber, ob die Inhaftierung dieser Personen primär deshalb erfolgte, weil diese von ihrem Recht auf Presse-, Meinungs­und Informationsfreiheit Gebrauch gemacht haben.

Auf die Fragen, aufgrund welcher Straftatbestände aserbaidschanische Journalis­tinnen bzw. Journalisten, Bloggerinnen bzw. Blogger häufig verurteilt werden, welche dieser Straftatbestände derzeit geän­dert werden und ob zu erwarten ist, dass aufgrund dieser Reformen bald weniger Journalis­tinnen bzw. Journalisten, Bloggerinnen bzw. Blogger inhaftiert werden, antwortet die Bundesregierung, dass Journalisten bzw. Blogger in den letzten Jahren zumeist wegen Dro­genbesitzes, Rowdytums, Steuerhinterziehung, Aufstachelung zu ethnischem/ religiösem Hass oder Erpressung verurteilt wurden. Änderungen der einschlägigen aserbaidschanischen Straftatbestände seien nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit nicht geplant.

Auf die Frage, ob der der Bundesregierung Fälle von Misshandlungen in Haft in Aserbaid­schan, über die amnesty international wiederholt berichtet hatte, bekannt sind und, sollte dies zutreffen, welche dies konkret seien, antwortete die Bundesregierung folgendermaßen:

Nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen kommt es in Aser­baidschan nach wie vor zu Folter- und Todesfällen bei Personen in Polizeian­stalten, Gefängnissen und anderen Institutionen. Die Zahl liegt laut der zum Monitoring ermächtigten und von der Bundesregierung als vertrauenswürdig eingestuften Nichtregierungsorganisation „Azerbaijan Committee Against Tor­tures“ seit Jahren im unteren dreistelligen Bereich (für 2011: 136 berichtete Fälle, davon neun Todesfälle infolge von Folter). Die Bundesregierung kann die dort aufgeführten Fälle im Einzelfall nicht verifizieren.

Auf die Frage, wie die Bundesregierung die Arbeit des aserbaidschanischen nationalen Presserates beurteilt und ob sie es für möglich hält, dass sich oppositio­nelle Medien daran ungehindert beteiligen können, antwortet die Bundesregierung:

Der nationale Presserat kann seinen ursprünglichen Anspruch, das gesamte Medienspektrum Aserbaidschans zu vertreten, derzeit nur noch sehr ein­geschränkt einlösen, weil sich fast alle oppositionellen bzw. unabhängigen Me­dien aus dem Gremium zurückgezogen haben. Sie protestieren damit gegen die in ihren Augen einseitig regierungsfreundliche Haltung des Presserats, der u. a. durch Indizierung Druck auf regierungskritische Publikationen ausübe (Auf­nahme in eine Liste angeblich unprofessioneller Medien mit der Folge, dass diese Medien aufgrund des daraus resultierenden Boykotts durch Anzeigenkun­den und Druckhäuser in ihrer Existenz bedroht werden).

Auf die Frage, wie die Bundesregierung die Ausgewogenheit der Berichterstat­tung im aserbaidschanischen Staatsfernsehen beurteilt und ob sie es für möglich hält, dass Vertreterinnen oder Vertreter der politischen Opposition ungehindert im Programmbeirat mitarbeiten können, erklärt die Bundesregierung, dass die Berichterstattung des aserbaidschanischen Staatsfernsehens „nicht als ausgewogen“ gelten kann. Oppositionsvertreter hätten „kaum eine Möglichkeit, ihre Positionen in das Programm einzubringen oder im Programmbeirat mitzuarbei­ten“.

Hier findet Ihr die vollständige Kleine Anfrage.

Hier die Antwort der Bundesregierung.

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