Der Arabische Frühling hat erneut bewiesen, welch demokratisches Potential Internet und neue Medien bieten. Ganze Protestbewegungen entstehen online, Demonstrationen werden über soziale Netzwerke organisiert, die Blogosphäre entwickelt sich zum Sprachrohr demokratischer Protestbewegungen. Hochgerüstete Diktaturen fürchten sich plötzlich vor Twitter-Nachrichten und begreifen YouTube oder Facebook als Gefahr für ihr Regime.

Doch die zunehmende Vernetzung birgt auch Gefahren: Geheimdienste in Ländern wie Iran, Syrien oder Bahrain spüren politische Gegner mithilfe von Überwachungstechnologien auf, unbemerkt zeichnen Programme Telefongespräche mit, werten Chatprotokolle und SMS aus, kopieren Passwörter und erkennen sogar das Zusammentreffen mehrerer Zielpersonen. Demonstrationen können so zielgerichtet aufgelöst und Oppositionelle festgenommen werden. Nicht selten kommt es in der Folge zu Folter, unfairen Gerichtsverfahren oder Hinrichtungen.

Das zeigt: Gerät Überwachungstechnologie in Hände von Despoten, wird sie zu einer Waffe, die in der heutigen Zeit mindestens so gefährlich ist wie ein Schützenpanzer. Heute wissen wir, auch durch unsere parlamentarischen Nachfragen (pdf), dass diese digitalen Waffen oft aus Deutschland stammen. Deutsche Unternehmen stellen sich damit gegen Demokratisierung und Meinungsfreiheit und tragen zur Unterdrückung von friedvollem Protest und Menschenrechten bei. Seit nunmehr mehreren Jahren thematisieren wir, dass die Merkel-Koalition zwar immer wieder schöne Reden schwingt und sogar versucht, sich die demokratisierende Wirkung der neuen Medien auf die eigenen Fahnen zu schreiben, gleichzeitig aber nicht nur beide Augen zudrückt, wenn es um entsprechende Exporte geht, sondern diese sogar auf vielfache Weise unterstützt.

Als Grüne setzen wir uns seit langem für eine effektive Exportkontrolle deutscher und europäischer Überwachungstechnologie und Zensursoftware ein (hier eine Übersicht unserer Aktivitäten in dem Bereich). Solch verbindliche Regeln und Kontrollen für die Ausfuhr von Überwachungs- und Zensurtechnologie lehnt die Merkel-Koalition, obwohl sie immer wieder anderes suggeriert, weiter entschieden ab. Eine besonders unrühmliche Rolle spielt hier das Wirtschaftsministerium, dass sich, als entsprechende Verschärfungen auf EU-Ebene auf der Agenda standen, diese mit Hinweis auf deutsche Wirtschaftsinteressen torpediert hat.

Verfolgung und Folter made in Germany – CDU, CSU und FDP machen’s möglich. Der Merkel-Koalition ist der Profit eines einzigen Wirtschaftszweigs bis heute wichtiger als der Schutz der Menschenrechte von tausenden Aktivistinnen und Aktivisten weltweit. Das ist schäbig. Weil die Bundesregierung sich noch immer weigert, hier endlich tätig zu werden, haben meine Kollegin Katja Keul und ich nun, kurz vor Ende der Legislatur, einen Antrag „Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern – Demokratischen Protest unterstützen“ (pdf) in den Bundestag eingebracht, in dem wir die Merkel-Koalition noch einmal auffordern, endlich entsprechende Exporte effektiv zu unterbinden und sich darüber hinaus verstärkt für die Freiheit des Netzes einzusetzen. Der Antrag wird heute Abend in erster Lesung im Bundestag gelesen. Da wir als kleinste Oppositionsfraktion leider fast keine Debattenplätze mehr zur Verfügung haben, werden die Reden „zu Protokoll“ gehen. Meine Rede werden wir hier dokumentieren.

In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung konkret auf:

  1.  sofort alle Möglichkeiten zu nutzen, um den Export von entsprechender Technologie undSoftware auf nationaler Ebene zu regulieren und in autoritäre Staaten zu unterbinden sowie, sollte dies notwendig sein, dem Bundestag hierzu entsprechende Gesetzesinitiativen vorzulegen;
  2. auf europäischer Ebene dafür zu sorgen, dass entsprechende Technologie und Software entweder in die Dual-Use-Liste aufgenommen wird, oder dass ein dem bisherigen Dual-Use- Regime entsprechender Kontrollmechanismus eingerichtet wird und sich bis zur Umsetzung dieser Maßnahmen für mehr Einzelembargos gegen Länder einzusetzen, die Defizite im Rechtsstaatlichkeit- oder Menschrechtsbereich haben;
  3. sich innerhalb des Wassenaar-Abkommens dafür einzusetzen, dass Technologien und Software, die zur internen Überwachung und Zensur genutzt werden können, künftig als „digitale Rüstungsgüter“ erfasst werden und der Handel mit ihnen reguliert wird;
  4. die Entwicklung von Überwachungs- und Zensursoftware durch private Unternehmen nicht
    länger mit öffentlichen Geldern zu fördern und zu gewährleisten, dass keine
    Hermesbürgschaften für Exporte von Überwachungs- und Zensursoftware übernommen
    werden;
  5. sich auf europäischer und internationaler Ebene verstärkt für den freien und ungehinderten
    Zugang zum Internet einzusetzen, um das demokratische Potential der Neuen Medien für
    Demokratie und Rechtstaatlichkeit bestmöglich nutzbar zu machen;
  6. die Entwicklung und die Verbreitung von Techniken, die eine Umgehung staatlicher
    Überwachungs- und Zensurbestrebungen zum Ziel haben und das Potential bergen, Menschen,
    die demokratischen und oppositionellen Protest zum Ausdruck bringen, vor staatlicher
    Verfolgung zu schützen, stärker als bisher zu unterstützen;
  7. dem Bundestag halbjährlich über ihre bisherigen Tätigkeiten einen Bericht vorzulegen.

Parallel zur Einbringung unseres Antrags haben wir unter www.frieden2punkt0.de eine Übersicht erstellt, welche deutsche Firmen welche Technik in welche Länder exportiert haben. Wer unser Anliegen einer verbesserten Exportkontrolle unterstützen will, kann auf der Seite eine entsprechende Petition unterschreiben und CDU/CSU und FDP auffordern, ihr doppeltes Spiel in Sachen Export von Überwachungs- und Zensursoftware endlich zu beenden. Über Eure Unterstützung und die Weiterverbreitung unserer Initiative würde ich mich sehr freuen!

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