Der Deutsche Bundestag hat im März 2010 die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ eingesetzt. Im gemeinsamen Beschluss der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ vom 03. März 2010 (Drs.-Nr. 17/950) heißt es bezüglich von der Enquete-Kommission zu erarbeitenden Handlungsempfehlungen:

„Die Kommission soll politische Handlungsempfehlungen erarbeiten, die der weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen der Informationsge- sellschaft in Deutschland dienen. Die Enquete-Kommission soll auf Basis ihrer Untersuchungsergebnisse den staatlichen Handlungsbedarf, national und international, benennen.“

Dieser Aufgabe kam die Enquete-Kommission, die sich aus siebzehn Abgeordneten des Deutschen Bundestages sowie der gleichen Anzahl unabhängiger Sachverständigen zusammensetzt  umfassend nach. Sie legte – dem Einsetzungsbeschluss folgend – in acht thematisch gegliederten Projektgruppen erarbeitete, konkrete Handlungsempfehlungen für den 18. Deutschen Bundestag vor.

Eine der zahlreichen interfraktionellen Handlungsempfehlungen bezieht sich auf die Einsetzung eines ständigen Ausschusses „Internet und digitale Gesellschaft“. Die ursprünglich in der von mir geleiteten Projektgruppe „Demokratie und Staat“ erarbeitete und später im Siebten Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ vom 06.02.2013 (Drs. Nr 17/12290) eingeflossene Handlungsempfehlung zur Einrichtung eines Ausschusses „Internet und digitale Gesellschaft“ lautet:

„Die Beratungen in der Enquete-Kommission in den ver­gangenen Jahren haben gezeigt, dass Netzpolitik ein Querschnittsthema ist und unterschiedlichste Lebensbe­reiche betrifft. Auch ist deutlich geworden, dass es sich bei der Digitalisierung um eine in alle Lebensbereiche eingreifende Entwicklung handelt, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Die Enquete-Kommission empfiehlt daher dem Deut­schen Bundestag die schnellstmögliche Einrichtung des vorgenannten Ausschusses. Dabei empfiehlt die Enquete-Kommission, dass dieser einzurichtende Ausschuss „Internet und digitale Gesell­schaft“ die Online-Beteiligungsmöglichkeiten für Bürge­rinnen und Bürger konsequent weiter nutzt und weiter ausbaut.  Zudem empfiehlt die Enquete-Kommission dem Deut­schen Bundestag angesichts der Komplexität des The­menfeldes zu prüfen, ob und in welcher Form eine effi­ziente wissenschaftliche Begleitung der Arbeit des neu einzurichtenden Ausschusses „Internet und digitale Ge­sellschaft“ sichergestellt werden kann. Gleichzeitig empfiehlt die Enquete-Kommission der Bun­desregierung, dass das Thema Internet und digitale Ge­sellschaft auch im Bereich der Exekutive einen höheren Stellenwert bekommt und dass die Bundesregierung auch in ihrem Verantwortungsbereich eine entsprechende Spie­gelung der Ausschussstruktur vornimmt, die eine bessere Koordinierung im Bereich des Querschnittsthemas der Netzpolitik möglich macht.

Zur Erinnerung: Die in den Projektgruppen unter zusätzlicher Einbeziehung externen Sachverstandes erarbeiteten Handlungsempfehlungen wurden im Rahmen verschiedener Sitzungen der Kommission beraten, von den Mitgliedern der Kommission beschlossen und mit Zustimmung aller (!) im Bundestag vertretenen Fraktionen ordnungsgemäß im Plenum des Deutschen Bundestages verabschiedet.

Vorgestern, am späten Abend, twitterten, nachdem dies in den vergangenen Monaten immer im Unklaren blieb, verschiedene MdBs der Großen Koalition, dass es nun doch einen neuen Ausschuss „Digitale Agenda“ geben solle. Schnell war mit #AIDA ein Hashtag gefunden. Die Begeisterung auf allen Seiten, von Wirtschaft bis zur Aktivistenszene, war angesichts der Einsetzung des Ausschusses groß.

Zu schön klang, dass es nun tatsächlich endlich einen ständigen Ausschuss für die digitale Gesellschaftpolitik im Bundestag, für den wir uns alle in den letzten Jahren eingesetzt haben, geben solle. Als Grüne Bundestagsfraktion waren wir von Anfang an skeptisch, haben unsere Bedenken im Laufe des gestrigen Tages in zahlreichen Interviews sehr klar zum Ausdruck gebracht und wurden im Laufe des Tages in dieser Skepsis mehr und mehr bestärkt. So konnte uns niemand, trotz wiederholter Nachfragen sagen, welche Themen denn eigentlich in dem neuen Ausschuss behandelt werden sollen.

Im Laufe des Nachmittags erreichte uns dann die Nachricht, dass der neu einzurichtende Ausschuss, wie wir es vermutet hatten, „ausschließlich mitberatend“ tätig sein soll. Hierdurch wurden unsere Befürchtungen also voll bestätigt. Übersetzt heißt dies schließlich nichts anderes, als dass der neue Ausschuss keinerlei federführende Zuständigkeit für irgend ein netzpolitisches Thema haben wird. Es war also klar, dass hier von Seiten der Großen Koalition ein weiteres Potemkisches Dorf, eine reine Fassade mit schönem Schein, errichtet wurde, die, schaut man einmal dahinter, in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus. Durch die nicht federführende Zuständigkeit des Ausschusses bei allen netzpolitischen Fragen droht der Ausschuss zu einer reinen Quasselbude ohne politische Durchschlagskraft zu werden.

Nochmal zur Erinnerung: Die Enquete hat in den letzten Jahren äußerst intensiv an allen netzpolitischen Fragen gearbeitet. Sie hat, ihrem Auftrag folgend, nicht nur eine umfassende Bestandsaufnahme vorgenommen, sondern darüber hinaus mehrere hundert Handlungsempfehlungen für den Gesetzgeber vorgelegt. Wir haben stets davor gewarnt, dass die zwischen allen Fraktionen abgestimmten Handlungsempfehlungen nach der 17. Wahlperiode  nicht einfach wieder in der Schublade der kommenden Bundesregierung und ihrer Fraktionen verschwinden dürfen. Hierüber herrschte bei der abschließenden Debatte im Bundestag Einigkeit. Tenor der damaligen Debattenbeiträge: Die #EIDG hat zwar Großes geleistet, die eigentliche netzpolitische Arbeit für den Gesetzgeber, die Umsetzung der Handlungsempfehlungen, ginge jetzt erst los. Doch genau danach sieht es gerade nicht aus.

Der Geburtsfehler des neuen Ausschusses liegt darin, dass eine andere, ganz zentrale und ebenfalls interfraktionell (!) verabschiedete Handlungsempfehlung der Kommission nicht umgesetzt wurde, die Koordinierung der Netzpolitik auf Regierungsseite. Hier werden auch in Zukunft zahlreiche Ministerien um Zuständigkeiten ringen. Vor dem Hintergrund, dass es genau dieses Ringen um Zuständigkeiten war, dass in der letzten Legislaturperiode dazu geführt, dass keines der zentralen netzpolitischen Themen, vom Datenschutz, über die Netzneutralität bis hin zum Urheberrecht, politisch wirklich vorangekommen ist, ist die Nicht-Umsetzung dieser zentralen Handlungsempfehlung der Enquete nicht nachvollziehbar.

Am heutigen Donnerstagmorgen haben scheinbar auch die Fraktionen von CDU/CSU und SPD endlich gemerkt, dass der neue Ausschuss in der bislang angedachten Form so keinen Sinn macht. So ist, nachdem gerade erst die Jungfernfahrt der #AIDA hochjubeljauchzend verkündet wurde, das neue netzpoltische Dickschiff der Großen Koalition, Leck geschlagen und wurde gleich mal wieder in den Trockendock geschleppt. Da liegt der Kahn nun erstmal – mindestens bis zum Februar 2014.

Wie es der Großen Koalition nun gelingen soll, dass Schiff doch noch in ruhige Fahrwässer zu verbringen, ist allein ihr Geheimnis. Den Geburtsfehler des Ausschusses, die fehlende Koordinierung auf Regierungsseite, wird man nun aller Voraussicht nach nicht mehr ohne Weiteres beheben können.  Mit anderen Worten: Die #GroKo hat sich gleich zu Beginn der Legislaturperiode netzpolitisch so festmanövriert, dass derzeit niemand weiß, wie man sich aus dieser Situation wieder befreien kann.  Netzpolitisch hat diese Große Koalition mit der #AIDA gleich einen grandiosen Fehlstart hingelegt.

In diese Situation wäre man nicht geraten, wenn man sich im Laufe der vergangenen Monate und der intensiven Koalitionsgespräche einfach darauf besonnen hätte, was man selbst im Plenum wenige Monate zuvor beschlossen hat. Dass man dies nicht getan hat, rächt sich nun massiv. Leider lässt sich aus heutiger Perspektive nichts Gutes bezüglich der Umsetzung all der anderen Handlungsempfehlungen, die die Enquete im Zuge ihrer mehrjährigen Arbeit vorgelegt hat, ahnen.

Als Grüne werden wir uns auch weiterhin ganz entschieden dafür einsetzen, dass die ganze Arbeit der Enquete, die mühsam zwischen allen Fraktionen erarbeiteten Handlungsempfehlungen, nicht, wie es derzeit bereits geschieht, auch weiterhin von der #GroKo in Frage gestellt werden. Wenn es tatsächlich nicht anders gehen sollte, werden wir die Große Koalition an jeder Stelle an die auch von ihr beschlossenen Handlungsempfehlungen errinnern.

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