Seit dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist die Debatte um das weitere Vorgehen in Sachen Vorratsdatenspeicherung wieder voll entbrannt. Als extrem ideologisch erweisen sich die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung, die trotz der zweiten herben Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshofs weiter an der hoch umstrittenen Datenspeicherung festhält.

Als Grüne haben wir das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ausdrücklich begrüßt. Es war eine erneute herbe Niederlage für die Befürworter von anlasslosen Massendatenspeicherungen. Das Urteil ist eine einzige Ohrfeige für die deutsche Bundesregierung.

Als hätte es das jüngste Urteil, das eine entsprechende Passage im großkoalitionären Koalitionsvertrag obsolet gemacht hat, nie gegeben, haben die Innenminister der Union gerade in einer gemeinsamen „Erfurter Erklärung“ eine rasche Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und einen nationalen Alleingang gefordert. Angesichts dieser anhaltenden Realitätsverweigerung in Teilen der GroKo haben wir Grüne daher schon einmal angekündigt, gegebenenfalls erneut in Karlsruhe gegen eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung zu klagen.

Die grüne Bundestagsfraktion hat gleich zu Beginn der Legislaturperiode erneut einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem wir die Bundesregierung aufgefordert haben, von der höchst umstrittenen Datenspeicherung endlich Abstand zu nehmen und sich in Brüssel dafür einzusetzen, dass die VDS dahin kommt, wohin sie gehört: Auf die Müllhalde der Geschichte.

Erst an diesem Freitag haben wir im Bundestag erneut die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung geführt und einen weiteren Antrag mit dem Titel „Europäischen Grundrechtsschutz gewährleisten – Nationale Vorratsdatenspeicherung verhindern“ (pdf) vorgelegt. Von Seiten der Befürworter des Instruments der anlasslosen Massenüberwachung kamen keinerlei neue Argumente. Vielmehr hält man sich die Option, die VDS wieder einzuführen, explizit offen. Eine Zusammenfassung der Debatte findet Ihr bei heise online.

Obwohl die Europäische Kommission gerade angekündigt hat, endgültig auf Strafzahlungen aus Deutschland wegen Nicht-Umsetzung zu verzichten (alles andere wäre auch absurd) und wir durch die Nicht-Umsetzung einer von Anfang an ungültigen Richtlinie heute hervorragend dastehen und obwohl sich die Konferenz der Datenschutzbeauftragten gerade noch einmal mit Hinweis auf das jüngste Urteil des EuGH noch einmal vehement gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hat, sieht es derzeit nicht so aus, als hätte das schon jeder in den Reihen von CDU/CSU und SPD verstanden.

Obwohl Deutschland durch die Nicht-Umsetzung einer von Anfang an für nichtig erklärten Richtlinie im europäischen Vergleich nun hervorragend dasteht, fordern sicherheitspolitische Hardliner – auch auf Landesebene und trotz Erklärungen in Koalitionsverträgen, die das eindeutig ausschließen – weiterhin an der VDS fest.

Nachdem die schleswig-holsteinischen Grünen bereits auf ihrem letzten Kleinen Parteitag vor einigen Wochen einen Beschluss gegen anlasslose Massenüberwachung gefasst haben, in dem sich auch eine deutliche Absage an die Vorratsdatenspeicherung findet, haben wir als schleswig-holsteinische Grünen gerade nochmals – einstimmig – einen aktuellen Beschluss gegen die VDS gefasst. Den Beschluss dokumentieren wir an dieser Stelle im Wortlaut.

Grundrechte schützen – Vorratsdatenspeicherung eine endgültige Absage erteilen

10.05.2014 Beschluss

Die Vorratsdatenspeicherung ist seit Jahren die zentrale Frage in der Bürgerrechtspolitik. Sie stellt eine Kernfrage in Zeiten der Digitalisierung. Nämlich: Darf der Staat zur Kontrolle seiner Bürgerinnen und Bürger alles was technisch möglich ist? 

Als GRÜNE sagen wir klipp und klar: Nein!

Seit nunmehr über acht Jahren kämpfen wir auf allen Ebenen, sowohl im Bund als auch in Europa, aber auch bei uns in Schleswig-Holstein, politisch wie gerichtlich, gegen die Vorratsdatenspeicherung und das System der anlasslosen, massenhaften Speicherung aller Telekommunikationsverkehrs-daten.

Gemeinsam mit über 34.000 Bürgerinnen und Bürgern haben wir vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 2. März 2010 die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht zu Fall gebracht. Das Gericht stellte fest, dass die von der letzten GroKo vorgelegte Umsetzung mit unserer Verfassung nicht in Einklang zu bringen ist. Seit dem Urteil gibt es keine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Eine von den Befürworterinnen und Befürwortern immer wieder in Feld geführte hierdurch angeblich entstandene „Sicherheitslücke“ kann bis heute empirisch nicht nachgewiesen werden. Schon 2010 hatte das höchste deutsche Gericht vor einem mit der Vorratsdatenspeicherung einhergehenden „diffusen Gefühl des Beobachtetseins“ gewarnt. Das Gericht stellte deutlich heraus, dass die Streubreite der Maßnahme extrem weit ist und sie tief in die Grundrechte der Menschen eingreift. Das Bundesverfassungsgericht mahnte gegenüber dem Gesetzgeber eine sogenannte „Überwachungsgesamtrechnung“ an und gab ihm die Hausaufgabe auf, eine solche bei ähnlichen Vorhaben auf Bundes- und EU-Ebene zwingend zu berücksichtigen.

Schon das damalige Urteil hatte uns in unserer Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung bestärkt: Als GRÜNE weisen wir seit langem darauf hin, dass die Vorratsdatenspeicherung alle Bürgerinnen und Bürger unter einen mit unserer Rechtsordnung nicht zu vereinbarenden Generalverdacht stellt und durch die Speicherung sämtlicher, sehr aussagekräftiger Kommunikationsverbindungsdaten höchst risikobehaftete Datenberge angehäuft werden. Die Haltung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ist somit der Lackmustest für den Umgang mit unseren Bürger- und Grundrechten. Als SH-GRÜNE sagen wir klipp und klar: Die Vorratsdatenspeicherung war falsch, ist falsch und bleibt falsch.

Aus diesem Grund haben wir als schleswig-holsteinische GRÜNE im Koalitionsvertrag eine klare Absage an dieses Instrument der anlasslosen Massenüberwachung verankert und erst auf unserem letzten Kleinen Parteitag im November 2013 in Kiel einstimmig einen Antrag „Gegen massenhafte Überwachung – Grundrechte schützen – Rechtsstaatlichkeit bewahren“ verabschiedet, in dem wir u.a. fordern, endlich und endgültig von der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung Abstand zu nehmen und als Landesregierung – dem zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und SSW geschlossenen Koalitionsvertrag folgend – möglichst umgehend eine entsprechende Bundesratsinitiative vorzulegen. An diese Forderung erinnern wir an dieser Stelle. 

Durch die jüngste, historische Entscheidung des EuGH fühlen wir uns bestätigt. Sie ist auch ein Erfolg für die nun erneut höchstrichterlich bestätigte Linie der Küstenkoalition. Wir begrüßen das Urteil des höchsten europäischen Gerichts ausdrücklich. Es macht sehr deutlich, dass die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit EU-Grundrechten nicht zu vereinbaren ist. Gleichzeitig erteilt der Gerichtshof dem System des anlasslosen Generalverdachts eine deutliche Absage.

Obwohl wir die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung seit nunmehr mehreren Jahren intensiv führen und die verfassungsrechtlichen Bedenken seit langem bekannt sind, halten konservative und sozialdemokratische Hardliner weiter an diesem höchst fragwürdigem Instrument aus der Mottenkiste der Sicherheitspolitik fest. Der Richterspruch ist auch eine Ohrfeige für sie und sollte die Befürworterinnen und Befürworter zu einem lange überfälligen Umdenken anregen. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag auf Bundesebene hatten sie sich durchgesetzt, bei uns in Schleswig-Holstein nicht.  Auf Bundesebene verständigte sich die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag darauf, die nun für grundrechtswidrig erklärte EU-Richtlinie möglichst rasch umzusetzen und eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland einzuführen. Das wegweisende Urteil des EuGH hat der GroKo nun einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Einen Plan B hat sie nicht. Man scheint erstmal abwarten zu wollen, wie sich die europäische Ebene verhält. Das reicht bei Weitem nicht aus.

Als schleswig-holsteinische GRÜNE fordern wir die Bundesregierung noch einmal dazu auf, sich in Brüssel dafür einzusetzen, dass die Vorratsdatenspeicherung als untaugliches und unverhältnismäßiges Instrument, das zwar Diktatoren gefallen mag, in Rechtsstaaten aber nichts zu suchen hat, dahin kommt, wohin sie gehört: In die Schublade der Geschichte.

Gerade nach den Enthüllungen durch Edward Snowden müssen wir die Ideologie extensiver anlassloser Datenhortung endlich hinter uns lassen. Bundes- und Landesinnenminister, auch solche in Schleswig-Holstein, fordern wir auf, ihre die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger offen in Frage stellende sicherheitspolitische Irrfahrt endlich und ein für allemal zu beenden. Alle, die rechtsstaatliche Verantwortung in unserem Land tragen, sollten erkennen: Indem die Befürworterinnen und Befürworter der Vorratsdatenspeicherung den Strafverfolgungsbehörden ein mit unseren Rechtsordnungen nicht zu vereinbarendes Instrument versprachen, dessen tatsächliches Nutzen trotz größter, mehrjähriger Bemühungen sowohl auf bundesdeutscher wie auf europäischer Ebene empirisch bis heute nicht nachgewiesen werden konnte, haben sie ihnen einen Bärendienst erwiesen.

Als GRÜNE betonen wir noch einmal: Statt eines Instruments der anlasslosen Massenüberwachung brauchen wir eine gute technische wie personelle Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden und effektive Mittel zur anlassbezogenen Kriminalitätsbekämpfung. Hierfür sollten sich auch all diejenigen einsetzen, deren Aufgabe es als Verfassungsminister ist, Sicherheit zu garantieren ohne den Rechtsstaat konstituierende Bürgerrechte in Frage zu stellen. Die Große Koalition auf Bundesebene und die wenigen, isolierten Befürworterinnen und Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung auf Landesebene sollten aus diesem Urteil endlich ihre Lehren ziehen. Wir fordern sie noch einmal auf, das Vorhaben der Wiedereinführung ein für allemal zu beerdigen. Was auf EU-Ebene grundrechtswidrig ist, kann auf nationaler Ebene nicht grundrechtskonform sein.

Die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung und fundamentale rechtsstaatliche Prinzipien sind für uns nicht verhandelbar. Wir sagen als schleswig-holsteinische GRÜNE daher auch weiterhin: „Nein zur Vorratsdatenspeicherung!“. Statt einer unseren Rechtsordnungen entgegenlaufenden Vorratsdatenspeicherung werden wir uns auch weiterhin – im anstehenden Europawahlkampf und darüber hinaus auf Landes-, Bundes- und Europaebene – für ein Verfahren der tatsächlich anlassbezogenen und gezielten Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten („Quick Freeze“) einsetzen, das eine effektive Strafverfolgung ermöglicht und die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger schützt.

Der Landesparteitag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Schleswig-Holstein fordert:

  • die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung noch einmal dazu auf, endlich und endgültig von diesem Instrument der anlasslosen Massenüberwachung Abstand zu nehmen, sich stattdessen für eine gute technische wie personelle Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden und effektive Mittel zur anlassbezogenen Kriminalitätsbekämpfung einzusetzen und grundrechtsschonende Instrumente einer effektiven Strafverfolgung einzusetzen
  • die Bundesregierung auf, sich entschieden auf europäischer Ebene gegen die Neuauflage einer Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einzusetzen.
  • die Landesregierung – dem zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und SSW geschlossenen Koalitionsvertrag folgend – auf, möglichst umgehend eine entsprechende Bundesrats-initiative gegen die Vorratsdatenspeicherung vorzulegen.
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