Am Donnerstag fand eine erste, wirklich denkwürdige – öffentliche – Expertenanhörung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Ausspäh- und Geheimdienstaffäre statt, bei der vor allem der Frage der rechtlichen Einordnung der bekannt gewordenen Praktiken verschiedener westlicher Geheimdienste inklusive des deutschen Bundesnachrichtendienstes nachgegangen wurde. Als Sachverständige geladen waren Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts a.d., der frühere Verfassungsrichter Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem und Prof. Dr. Matthias Bäcker von der Universität Mannheim. Die Sachverständigen wurden im Vorfeld der gestrigen Anhörung gebeten, Ihre Positionen in schriftlichen Stellungnahmen darzulegen. Hier die Stellungnahmen der Sachverständigen..

Die Deutlichkeit der Ausführungen der Experten war beeindruckend. So mahnten alle drei unisono in Richtung Bundesregierung, die notwendigen Konsequenzen bezüglich der von Edward Snowden ans Tageslicht gebrachten Überwachungspraktiken an. Der Staat habe die Pflicht, die Bürger vor Verletzungen ihrer Freiheitsrechte zu schützen und deshalb deren Vorgehen gesetzgeberisch zu unterbinden. Der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Papier mahnte, der Staat müsse für „grundrechtswahrende“ informationstechnologische Strukturen sorgen. Prof. Dr. Hoffmann-Riem appellierte eindringlich in Richtung Bundesregierung, wirksame Regeln zum Datenschutz, etwa bei Datenaustauschabkommen mit den USA, mit Nachdruck zur Geltung zu bringen. Diplomatische Leisetreterei reiche hier bei Weitem nicht aus, so der Ex-Verfassungsrichter. Aus Sicht des Mannheimer Rechtsprofessors Dr. Matthias Bäcker wird die Glaubwürdigkeit der Kritik an der NSA ganz erheblich dadurch untergraben, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) seinerseits im Ausland die Telekommunikation ebenfalls nahezu schrankenlos überwachen dürfe und sich in einem quasi rechtsfreien Raum bewege.

Besonders interessant waren auch immer wieder gezogene Verweise auf das Karlsruher Urteil zur Vorratsdatenspeicherung. So betonte Verfassungsgerichtspräsident Papier beispielsweise, dass es sich auch bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung an der trotz jüngstem Urteil des höchsten europäischen Gerichts noch immer Vertreterinnen und Vertreter der Großen Koalition unbeirrt festhalten, um eine anlasslose, massenhafte Sammlung von Kommunikationsdaten auf Vorrat handele. Einig waren sich die geladenen Experten darin, dass es die Pflicht des Gesetzgebers sei, die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Ebenso dürften deutsche Stellen Daten, die ihnen von ausländischen Geheimdiensten überlassen werden, selbstverständlich nur auf der Grundlage hiesigen Rechts nutzen. Gleiches gelte auch für die Übermittlung von hierzulande erfassten Daten an ausländische Nachrichtendienste. Insgesamt bedürfe es gesetzgeberischer Präzisierungen und schärferer Strafvorschriften angesichts offensichtlich widerrechtlicher Datenausspähungen.

Prof. Dr. Hoffmann-Riem unterstrich im Zuge seiner Ausführungen, dass der einzelne Bürger nicht in der Lage sei, den Schutz seiner Kommunikation selbst durchzusetzen und dass es deshalb originäre Aufgabe des Staates sei, die Integrität informationstechnischer Systeme zu gewährleisten. Beim Datenschutz fehle jedoch bislang die Bereitschaft, das Potenzial des deutschen Grundgesetzes voll auszunutzen. Da der Schutz der freien Kommunikation auf internationaler Ebene derzeit nicht sehr effizient wahrgenommen werde, sei die Aufnahme eines „globalen Grundrechtsschutzes“ in die Verfassung nötig. Auch erinnerte Hoffmann-Riem an die bekannt gewordenen Praktiken des britischen Geheimdienstes GCHQ, der zweifellos an die Grundrechtsnormen der EU und des Europarats gebunden sei. Scharfe Kritik äußerten die Sachverständigen auch an der Auslandsaufklärung durch den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). So verwies Prof. Dr. Bäcker auf den massiven Widerspruch, der US-amerikanschen National Security Agency (NSA) Praktiken vorzuwerfen, die der BND ebenfalls anwende. Nach Auffassung Bäckers ist die derzeitig praktizierte Überwachung des Datenverkehrs im Ausland durch den BND rechtswidrig.

Für all diejenigen, die die Anhörung nicht live im Stream verfolgen konnten, dokumentieren wir an dieser Stelle die vollständige Anhörung als Video.

Hier noch eine kurze Video-Bewertung der Anhörung von Hans-Christian Ströbele und mir: 

[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=-4cgXIJ7wEk[/youtube]

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