Auch an diesem Donnerstag tagt erneut der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Überwachungs- und Geheimdienstaffäre. Beginn der öffentlichen Beweisaufnahme Sitzung am Donnerstag ist 11.30 Uhr. Um 11 Uhr beginnt die nichtöffentliche Beratungssitzung. Sitzungsort ist erneut der Europasaal des Paul-Löbe Hauses (PLH 4.900). Auch diesmal wird netzpolitik.org wieder live aus der Sitzung berichten.

Der Ausschuss wird im Rahmen der heutigen Sitzung zwei Zeugen des Bundesnachrichtendienstes (BND) anhören. Thematisch befassen wir uns diese Woche weiterhin vor allem mit der Operation GLO, der Überwachung von Telekommunikation durch die BND-Außenstellen Schöningen und Rheinhausen sowie die Weitergabe der Daten an die US-amerikanische NSA bzw. die Geheimdienste der sogenannten „5-Eyes“-Staaten. Derzeit manifestiert sich der Eindruck, dass verschiedene BND-Außenstellen den „5-Eyes“-Staaten bei ihrer Massendatenerfassung und -verarbeitung zuarbeiten.

Der erste Zeuge ist Herr E.B.: Nach Auskunft des Kanzleramtes ist E.B. seit 2004 Leiter der BND-Außenstelle Schöningen. Die Aktivitäten der Außenstelle Schöningen werden in einem Snowden-Dokument, das der Spiegel in der sogenannten „Deutschland-Akte“ im letzten Jahr veröffentlicht hat, erwähnt. Danach erfasst der BND in Schöningen Kommunikation aus der Satellitentelefonie, aus Handykommunikation über GSM, aber auch E-Mails. Im Jahr 2006 waren es laut diesem NSA-Dokument rund 500.000 Mitschnitte pro Tag. Die NSA würde von dieser Sammlung profitieren, heißt es in dem Papier weiter. In diesem Zusammenhang wollen wir aufklären, was der bundesdeutsche BND in Schöningen exakt gemacht, welche Daten er abgegriffen hat, aus welchem geographischen Gebiet sie stammen, wie sie verarbeitet wurden und an wen sie übermittelt wurden und eventuell noch werden. Nach Berichten von Zeit Online-Artikel werden auch aktuell noch zahlreiche Metadaten in Schöningen erhoben und gespeichert. Von dem Zeugen wollen wir daher unter anderem auch wissen, was heute noch in Schöningen passiert. Außerdem ist für uns die Frage relevant, inwiefern auch GPS-Daten aus der Satellitentelefonie erfasst und z.B. an US-amerikanische Dienste übermittelt wurden und werden.

Als zweiten Zeugen wird der Ausschuss heute Herrn R.S. anhören: Er ist zum Komplex GLO geladen. Herr R.S. war während der Laufzeit von GLO (2003 bis 2006) in der Außenstelle Rheinhausen, in der die Daten aus dieser Erfassung bearbeitet wurden, für die Nachrichtengewinnung und -bearbeitung zuständig. Ungeklärt ist auch bei GLO weiterhin, in welchem Umfang Daten aus dem Kabel in Deutschland erfasst wurden und was genau an US-Dienste weitergegeben wurde. Hier erwarten wir Aufklärung von dem Zeugen. Da R.S. auch über GLO hinaus in der Außenstelle Rheinhausen tätig war und ist, werden wir ihn auch zu weiteren Abgriffen an Kabeln und Satelliten, der Datenverarbeitung und Weitergabe an die „5-Eyes“-Staaten befragen. Auch Rheinhausen trägt zu den 220 Mio. Metadaten pro Tag bei, so berichtet Zeit Online. Das gilt es näher zu beleuchten.

Weiterhin ringt der Ausschuss mit der schwarz-roten Bundesregierung um seine Rechte: So weigert sich die Bundesregierung bislang, dem Untersuchungsausschuss Akten zu Schöningen zu liefern. Dabei haben wir sowohl BND- als auch Kanzleramtsakten zu den Sachverhalten, die in dem genannten Snowden-Dokument thematisiert werden, bereits am 3. Juli 2014 angefordert. Daraufhin hat der BND einen vierseitigen, nichtssagenden Vermerk über den Besuch der NSA-Delegation in Schöningen im Sommer 2006 geliefert. Mehr nicht.  Nichts über die dort stattfindende Erfassung von Telekommunikation, nichts über den Datenaustausch mit anderen Diensten. So wird die wichtige Aufklärungsarbeit des Parlaments weiter behindert.

Auch auf einen weiteren Beweisbeschluss zu anderen Erfassungsansätzen des BND außer EIKONAL von Dezember letzten Jahres, hat die Bundesregierung bislang kein Aktenstück zu den Vorgängen in Schöningen geliefert – obwohl der Ausschuss genau das mittlerweile mehrfach angemahnt hatte. Die Missachtung des Parlaments setzt sich also auch hier fort. Eine wirkliche Begründung für ihre anhaltende Verweigerungshaltung gegenüber dem Parlament hat uns die Bundesregierung bis heute nicht geliefert; ihre Argumentation bleibt diffus. So verfestigt sich der Eindruck, dass die Bundesregierung die Aufklärungsarbeit des Parlaments auch weiterhin systematisch auszubremsen versucht. Auffällig ist, dass der Ausschuss vor allem dann immer hingehalten wird, wenn es um Überwachungsmaßnahmen aus der Zeit nach der rot-grünen Regierung geht. So übersandte man Akten zu EIKONAL und GLO, die Aufklärung bezüglich aktueller geheimdienstlicher Massenüberwachung soll der Ausschuss jedoch anscheinend gar nicht genauer untersuchen dürfen. Auch hier zeichnet sich also ab, dass wir weiterhin für unsere Rechte gegenüber der Exekutive werden streiten müssen.

Die heutige Sitzung findet vor dem Hintergrund anhaltender Leaks über umfassende Überwachungsprogramme und geheimdienstliche Angriffe auf digitale Infrastrukturen statt. Die Stichworte der letzten Tage lauteten Regin, Equation-Group und Gemalto. Diese Angriffe zeigen eine nochmals andere Dimension der Überwachung und Versuche der Dienste, digitale Infrastrukturen flächendeckend zu kompromittieren, die zu späterem Zeitpunkt sicherlich auch Gegenstand der Aufklärung des Untersuchungsausschusses sein werden. Während die Snowden-Dokumentation „Citizenfour“ von Laura Poitras gerade verdient einen Oscar erhielt plant die Große Koalition derzeit, anstatt endlich über die Abkehr der verfassungsrechtlich höchst fragwürdigen Massenüberwachung nachzudenken, den weiteren Ausbau des geheimdienstlichen Apparats.

So ziehen beispielsweise die mittlerweile vorliegenden Entwürfe eines IT-Sicherheitsgesetzes oder die Pläne der Großen Koalition zur Reform des Verfassungsschutzes keinerlei gebotene rechtsstaatliche Konsequenzen aus den Erkenntnissen der Diskussion der letzten knapp zwei Jahre – im Gegenteil. Statt den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz digitaler Infrastrukturen und privater Kommunikation endlich entschlossen anzugehen und  – wie versprochen – Deutschland zum „Verschlüsselungsland Nummer eins“ zu machen, sinniert die Große Koalition darüber, wie man digitale Infrastrukturen weiter aufbohren und Instrumente der anlasslosen Massenüberwachung schnellstmöglich umsetzen kann. Statt die bestehende Instrumente einer rechtsstaatlichen Einhegung zu unterwerfen, dringend gebotene gesetzliche Klarstellungen vorzunehmen, die parlamentarische Kontrolle vom Kopf auf die Füße zu stellen und sich entschlossen sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Bühne für neue Schutzmechanismen einzusetzen, setzt man den Weg der Massenüberwachung mit neuen Befugnissen zur strategischen Rasterfahndung zu Cyberabwehrzwecken ungeniert fort.

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