Am 25.10.2010 fand im Unterausschuss Neue Medien des Bundestages ein öffentliches Expertengespräch mit Sachverständigen zum Thema „Kampf gegen Darstellung von Kindesmissbrauch im Internet: Technische und organisatorisch Fragen“ statt. Wir haben zu den ausführlichen Hintergründen der Anhörung gebloggt, genauso zu den von uns an die Bundesregierung gerichteten Fragen als Vorbereitung der Anhörung.

Hier noch einmal die drei Fragen, die ich im Vorfeld der Anhörung an die Bundesregierung gerichtet hatte:

1) Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung bezüglich der Intensität von Strafverfolgungsmaßnahmen in Staaten vor, die über eine Sperrinfrastruktur verfügen, im Vergleich zu solchen Ländern, die keine Sperrung vornehmen und lassen sich statistische Aussagen dahingehend treffen, dass die Strafverfolgung mit Sperren zu- bzw. abnimmt?

2) Sind der Bundesregierung die von Fachleuten immer wieder geäußerten Unzulänglichkeiten bezüglich der personellen (z.B. Problem der Beförderungswege) als auch der technischen (z.B. veraltete Bilderkennungssoftware) Ausstattung deutscher Behörden bei der Verfolgung von Straftaten im Sinne von § 184 b StGB bekannt und welche Pläne von Seiten der Bundesregierung gibt es, diese Mängel zu beheben, um so die Strafverfolgung zu effektivieren?

3) Welches Bundesministerium hat welche Zuständigkeit beim Thema Netzsperren und gibt es eine Absprache zwischen dem Bundesministerium des Inneren und dem Bundesministerium für Justiz bezüglich der Zuständigkeit beim Thema Netzsperren (z.B. ein Ministerium auf europäischer zuständig, eines auf deutscher Ebene zuständig o.ä.)?

Nun haben uns die Antworten der Bundesregierung erreicht.

Antwort auf Frage 1:
Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.

Antwort auf Frage 2:
Die vom Bundeskriminalamt verwendete Bilderkennungssoftware entspricht dem aktuellen Stand der Technik. Sie wird zur Bekämpfung der Herstellung und Verbreitung von Kinderpronographie effektiv eingesetzt. Entwicklungen in der Wissenschaft im Hinblick auf technische Neuerungen werden intensiv beobachtet und bei Anwendungsreife übernommen.

Verbesserungsmöglichkeiten für das Vorgehen auch im Hinblick auf das eingesetzte Personal werden ständig geprüft und entsprechende Hinweise hierauf stets sorgfältig erwogen.

Antwort auf Frage 3:
Die Bundesregierung verweist zunächst auf die Koalitionsvereinbarung. Danach besteht Einigkeit, dass es notwendig ist, Missbrauchsdarstellungen von Kindern im Internet schnellstmöglich zu löschen statt diese zu sperren. Zunächst für ein Jahr sollen solche Inhalte auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes nicht gesperrt werden. Stattdessen betreiben die Polizeibehörden in enger Zusammenarbeit mit den Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft wie der deutschen Internetbeschwerdestelle sowie dem Beschwerdestellennetzwerk INHOPE die Löschung kinderpornographischer Seiten. Soweit hierbei polizeiliche Belange im Rahmen der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung, insbesondere die Arbeit des Bundeskriminalamtes betroffen sind, obliegt dem Bundesministerium des Inneren, zu dessen Geschäftsbereich das Bundeskriminalamt gehört, hierfür die Federführung innerhalb der Bundesregierung. Die Zuständigkeit für das Zugangserschwerungsgesetz obliegt innerhalb der Bundesregierung dem Bundesministerium der Justiz.

Soweit auf europäischer Ebene gesetzgeberische Maßnahmen im Rahmen des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates in Rede stehen, obliegt die Federführung für die Verhandlungen hierüber wegen des materiell-strafrechtlichen  Schwerpunktes der geplanten Richtlinie dem Bundesministerium für Justiz.“

Anmerkungen zu den Antworten der Bundesregierung:
Die Antwort auf Frage 1) ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar, da das BKA in seiner Stellungnahme zur Anhörung im Unterausschuss Neue Medien vom 21. Oktober 2010 schreibt, dass „die Staaten, in denen Zugangserschwerungen durchgeführt werden, wie z. B. Schweden, Norwegen, Dänemark und Großbritannien“ diese Maßnahmen „wie auch das Bundeskriminalamt“ lediglich als „einen Baustein in einer Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Herstellung, des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie.“ ansehen würden, dann aber selbst zugeben muss, dass, manche der Länder, so z.B. Dänemark und Norwegen, „aufgrund der jahrelangen schlechten Erfahrungen mit der Anregung von Löschungen, die Staaten, in denen die festgestellten kinderpornografischen Angebote gehostet werden“, mittlerweile nicht mal mehr unterrichten würden, d.h. jegliche Bemühungen dem Problem durch internationale Kooperation Herr zu werden, eingestellt haben. Das müsste der Bundesregierung zumindest bekannt sein.

Die Antwort auf unsere Frage 3), also der Frage nach den Zuständigkeiten, ist vor allem vor einem Hintergrund interessant: In der Antwort der Bundesregierung auf Lars Klingbeil (SPD) vom 15. Oktober 2010 hieß es auf die Frage, auf welcher Datengrundlage eine Evaluierung des Zugangserschwerungsgesetzes erfolgen solle, von Seiten der Bundesregierung, dass die Evaluierung „u.a. auf der Basis statistischer Erhebungen“ erfolgen solle. Dazu zähle, so die Bundesregierung, „neben einer Auswertung der Anzahl der festgestellten und durch das Bundeskriminalamt (BKA) an das Ausland übermittelten sowie der darauf aufbauend gelöschten Internetseiten auch etwa die Prüfung, ob hinreichende Rahmenbedingungen zur Gewährleistungen von Löschungen vorhanden waren“.

In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken zum „Sachstand `Löschen statt Sperren´“ vom 20. Oktober 2010  heißt es dann wiederrum von Seiten der Bundesregierung  in den Antworten auf die Fragen 41 bis 43 bezüglich der nach einem Jahr anstehenden Evaluierung des ausgesetzten Zugangserschwerungsgesetzes und der Frage, welches Ministerium für die Evaluierung zuständig sei, dass man sich noch auf keinen genauen Termin, wann die einjährige Evaluierungsfrist ablaufe, festgelegt habe und es auch noch nicht klar sei wie die Ausgestaltung der Evaluierung aussehen werde. Hierüber würden die zuständigen Ressorts, das Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Bundesministerium für Justiz und das Bundesministeriums des Inneren „auf der Grundlage der dazu enthaltenen Aussagen im Koalitionsvertrag noch entscheiden“.

Wir erinnern uns: Im Koalitionsvertrag heißt es unter dem Kapitel „Internetsperren“ lediglich:
Die Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornographie ist für uns von herausragender Bedeutung. Kinderpornographische Angebote in Kommunikationsnetzen müssen mit aller Kraft bekämpft werden. Die dauerhafte wirksame Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern ist politische Verantwortung und rechtsstaatliches Gebot zugleich.

Wir sind uns darüber einig, dass es notwendig ist, derartige kriminelle Angebote schnellstmöglich zu löschen statt diese zu sperren. Wir werden daher zunächst für ein Jahr kinderpornographische Inhalte auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes nicht sperren. Stattdessen werden die Polizeibehörden in enger Zusammenarbeit mit den Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft wie der deutschen Internetbeschwerdestelle sowie dem Providernetzwerk INHOPE die Löschung kinderpornographischer Seiten betreiben.

Nach einem Jahr werden wir dies im Hinblick auf Erfolg und Wirksamkeit evaluieren und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse ergebnisoffen eine Neubewertung vornehmen. Vor Abschluss der Neubewertung werden weder nach dem Zugangserschwerungsgesetz noch auf Grundlage der zwischen den Providern und BKA abgeschlossenen Verträgen über Internetsperren Sperrlisten des BKA geführt oder Providern übermittelt.

Im Klartext: Im Koalitionsvertrag finden sich also zwar Aussagen darüber, dass evaluiert werden soll, Antworten auf die Fragen wie und durch wen diese Evaluierung stattfinden soll, finden sich jedoch nicht. D.h. weder auf die Frage, welches Ressort tatsächlich zuständig ist, noch wie die Evaluierung ausgestaltet werden soll, hat die Bundesregierung bislang Antworten. Während die Bundesregierung am 15. Oktober 2010 noch zumindest ansatzweise wusste, wie eine Evaluierung des Zugangserschwerungegesetzes aussehen soll, weiß sie dies am 20. Oktober 2010 scheinbar nicht mehr.

In der Antwort auf unsere Frage, die wiederum abermals exakt eine Woche nach der Beantwortung der Anfrage der Linken, also am 27.10.2010, bei uns eingegangen ist, antwortet die Bundesregierung aus unserer Sicht dafür relativ unmissverständlich: „Die Zuständigkeit für das Zugangserschwerungsgesetz obliegt innerhalb der Bundesregierung dem Bundesministerium der Justiz.“

Unserer Ansicht nach lässt diese Aussage nur eine Interpretation zu: Wenn man sich innerhalb der Bundesregierung offensichtlich nunmehr geeinigt hat, dass die Zuständigkeit für das Zugangserschwerungsgesetz lediglich bei einem  Ministerium – alleinverantwortlich – liegt, ist es nur folgerichtig, dass die Evaluierung des betreffenden Gesetzes auch nur allein bei diesem Ministerium zu verorten ist.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang natürlich, dass das Bundesjustitministerium die Evaluierung auf den Grundlagen der Daten, die wiederum nach Anweisung an das Bundeskriminalamt (Stichwort „Ministererlass“), welche dem Bundesinnenministerium unterstellt ist, vornehmen muss.Ob diese Datengrundlage tatsächlich für eine Evaluierung ausreicht, darf aus heutiger Sicht bezweifelt werden.

Interessant ist auch der Punkt, dass das Bundesministerium des Inneren noch immer die in vielerlei Hinsicht problematische Bezeichnung Kinderpornographie benutzt, während das Bundesministerium der Justiz mittlerweile dazu übergegangen ist, von „Missbrauchsdarstellungen von Kindern im Internet“ zu sprechen.

Die Antwort auf die zweite von uns an die Bundesregierung gestellte Frage, die nach der Bewertung der technischen und personellen Ausstattung, hat uns ebenfalls sehr überrascht. Die Tatsache, dass von Seiten der Bundesregierung anscheinend nichts unternommen werden soll, die – vorsichtig ausgedrückt – gering anmutende Zahl von  Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern innerhalb des BKAs, die mit der Löschung von Seiten, die den sexuellenMissbrauch von Kindern dokumentieren, aufzustocken, um so die Löschbemühungen, die sich nach Aussagen des Amtes als nach wie vor sehr schwierig erweisen, hat uns doch überrascht.

In einer ähnlich lautenden Frage des Abgeordneten Martin Dörrmann (SPD), die ebenfalls die Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden zum Inhalt hat und die Bundesregierung am 15. Oktober 2010 beantwortete, heißt es von Seiten der Bundesregierung:

„Das BKA setzt nach eigener Einschätzung (Hervorhebung durch Verfasser dieses Beitrags) ausreichend Personal zur Bekämpfung der Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie ein. Auch die im BKA zur Verfügung stehende und eingesetzte technische Ausstattung zur Erfüllung dieser Aufgabe ist ausreichend.“

Wir wissen also, sowohl durch die Antwort der Bundesregierung als auch durch die gleichlautenden Aussagen des BKA-Präsidenten Ziercke während der Anhörung im Unterausschuss Neue Medien, dass das BKA die personelle Ausstattung als ausreichend empfindet. Interessant ist natürlich in diesem Zusammenhang auch die Feststellung, dass, wenn es um die personelle Ausstattung geht, lediglich die Bundesregierung die Meinung des BKAs wiedergibt, während sie, wenn es um die technische Ausstattung geht, selbst weiß, dass diese ausreichend ist.

Von großem Interesse ist nun natürlich die Frage, ob die Bundesregierung die Aussage, dass die personelle Ausstattung des Bundeskriminalamtes für einen effektiven Kampf gegen derartige Missbrauchsdarstellungen auf Internetseiten, der ja vom BKA selbst als nicht befriedigend empfunden wird (sonst würde ja auch nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Forderung nach Netzsperren und einer raschen Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung erhoben werden) genauso bewertet. Aus diesem Grund habe ich die Bundesregierung am 28. Oktober 2010 in einer weiteren schriftlichen Frage gefragt:

Wie bewertet die Bundesregierung, auch vor dem Hintergrund, dass man im Zuge der Aussetzung des Zugangserschwerungsgesetzes das Bundeskriminalamt in einem Ministererlass dazu angewiesen hat, Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch im Internet zu löschen, bzw. deren Löschung zu veranlassen, den Umstand, dass nun bekannt wurde, dass innerhalb des eigens zu diesem Zwecke neu geschaffenen „BKA-Arbeitsschwerpunktes `Löschen statt Sperren´“ nach Aussagen des Bundeskriminalamtes lediglich 6,3 Vollzeitstellen für die Erledigung dieser Aufgabe zur Verfügung stehen und ist die Bundesregierung, unabhängig von den Aussagen des Bundeskriminalamtes, der Ansicht, dass ihr Ziel einer möglichst effektiven Löschung von Internetseiten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern im Internet dokumentieren, angemessen verfolgt werden kann?

Über die Antwort der Bundesregierung halten wir Euch abermals auf dem Laufenden.

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