In unregelmäßigen Abständen berichten wir in der Rubrik “Gastbeiträge“ von eigenen Publikationen in Zeitschriften und Büchern oder geben anderen Menschen Gelegenheit, hier zu veröffentlichen. Von dieser Möglichkeit macht heute Hannah Neumann Gebrauch. Hannah ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und seitdem im ständigen Einsatz für Menschenrechte, Frieden und Feminismus. An dieser Stelle berichtet sie über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im EP zu den Enthüllungen um den menschen- und grundrechtswidrigen Einsatz der Spionagesoftware Pegasus.  

Der Feind in deinem Handy: Der Pegasus-Skandal hat weltweit für Aufsehen gesorgt und derzeit gibt es jede Woche neue Enthüllungen: Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, Politiker*innen oder Anwält*innen wurden und werden Opfer der Spähsoftware aus Israel. Und das nicht nur in den Diktaturen dieser Welt, sondern auch in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Um das genaue Ausmaß des Skandals zu erfassen und den Missbrauch von Spionagesoftware so schnell wie möglich zu beenden, hat das Europäische Parlament nach vielen Monaten des politischen Drucks insbesondere der Grünen und Liberalen einen Untersuchungsausschuss eingerichtet – in dem ich Mitglied und Berichterstatterin für die Grüne Fraktion bin.

Das Mandat

Das Mandat des Ausschusses ist breitgefächert. Während der kommenden 12 Monate werden wir u.a. das Ausmaß der Verstöße gegen Unionsrecht durch den Einsatz von Pegasus und anderer Spionagesoftware beleuchten und Empfehlungen, Transparenz- und Kontrollstrukturen sowie Gesetzesinitiativen entwickeln, um derartige Verstöße gegen geltendes Recht in Zukunft zu verhindern.

Was heißt das konkret?

Wir werden zum Beispiel untersuchen, ob Mitgliedsstaaten Pegasus in einer Weise missbraucht haben, die demokratische Prozesse untergraben könnte, welche gesetzlichen Sicherheitsvorkehrungen es in den jeweiligen Ländern gibt, um die illegale Verwendung von Spähsoftware zu unterbinden, ob diese ausreichend sind und ob durch Pegasus erlangte Informationen an Dritte weitergegeben wurden. Natürlich werden wir auch fragen: „Wer wusste was wann – und hat sich so am Missbrauch mitschuldig gemacht?“

Ein großes Thema für mich ist darüber hinaus die Frage nach der Verwendung von Pegasus gegen Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, Politiker*innen, Anwält*innen und Zivilpersonen aus Drittstaaten. Die lange Liste der betroffenen Länder umfasst u.a. Bahrain, Indien, Jordanien, Marokko, Mexiko, El Salvador und Saudi-Arabien. Die dort begangenen Überwachungen sind drastisch, sie können aber nur indirekt Teil der Untersuchungen des Ausschusses sein. Da wir uns auf die Europäische Grundrechtecharta stützen, muss es eine Verbindung zur Union geben, damit wir aktiv werden können.  

Diese sehen wir bereits im Vorfeld des Ausschusses aber an mindestens vier Stellen. Es gilt, herauszufinden, ob etwa in der EU getätigte finanzielle Einlagen bei Unternehmen, die Spähsoftware herstellen bzw. verkaufen, Menschenrechtsverletzungen möglich gemacht haben. Zudem gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft auch während eines Aufenthalts in der EU überwacht wurden – auch hier ist der Ausschuss zuständig. Hinzu kommen Berichte, dass auch in der EU entwickelte und vertriebene Spionagesoftware in Drittstaaten exportiert wurde, die diese missbräuchlich eingesetzt haben: Ein Beispiel ist Ägypten. Nicht zuletzt besteht eine Verbindung zu EU-Recht auch dann, wenn Sicherheitslücken, die aus der EU heraus an Drittländer verkauft wurden, z.B. für die Überwachung von Regimekritiker*innen eingesetzt wurden.

Über alle Ebenen hinweg ist es Ziel des Ausschusses, die missbräuchliche Nutzung von Spionagesoftware in und durch Mitgliedsstaaten der EU unmöglich zu machen und den Druck auf internationaler Ebene zu erhöhen, damit es zu einer einheitlichen internationalen Verabredung kommt, die den menschenrechtswidrigen Einsatz von Spionagesoftware unterbindet und eine anderweitige Nutzung stark sanktioniert bzw. unmöglich macht.

Bekannte Fälle – innerhalb der EU

Was die EU betrifft, stehen bisher besonders Polen und Ungarn im Fokus der Untersuchungen. So wurde das Handy des polnischen oppositionellen Senators Krzysztof Brejza 2019 während des Wahlkampfs mit Pegasus infiziert – der Senator hat inzwischen Klage eingereicht. Ein Anwalt und eine Staatsanwältin sollen ebenfalls ausspioniert worden sein.

In Ungarn gibt es u.a. mehrere betroffene Journalist*innen, die Kritik an Ministerpräsident Viktor Orbán geübt hatten. Die Menschenrechtsorganisation „Hungarian Civil Liberties Union“ hat im Namen von sechs Opfern der Pegasus-Überwachung rechtliche Schritte eingeleitet.

Darüber hinaus ist auch ein Fall aus Spanien bekannt. So sollte der Präsident des katalanischen Regionalparlaments, Roger Torrent, laut Medienberichten gehackt werden. Demnach waren auch die ehemalige Politikerin Anna Gabriel sowie der Aktivist Jordi Domingo im Visier der Behörden.

Schließlich gibt es Berichte über die Überwachung hoher Regierungsmitarbeiter*innen und Politiker*innen in Frankreich, vermutlich durchgeführt von Marokko.

Wir erwarten, dass es in den nächsten Wochen weitere Enthüllungen geben wird, die wir selbstverständlich in unsere Arbeit einbeziehen werden.

Warum der Ausschuss so wichtig ist

Vor uns liegt eine Mammutaufgabe – das ist allen Beteiligten klar. Zu beachten ist, dass ein Untersuchungsausschuss im EU-Parlament anders funktioniert als im Deutschen Bundestag. Ein Gesetz, mit dem Menschen zur Aussage gezwungen werden können oder durch das Akteneinsicht gewährt werden muss, gibt es auf EU-Ebene nicht. Dafür sind Anhörungen in der Regel öffentlich, was für Transparenz sorgt. Und ein europäischer Ausschuss hat einen weiteren zentralen Vorteil: Er unterbricht die nationalen Regierungs- und Oppositionsreflexe, die bei diesem Thema bisher oft die Aufklärung erschwert haben. Denn wer in einem Land in der Regierung sitzt und damit eventuell Täter*in war, kann in einem anderen Land in der Opposition sein und damit potentiell Opfer.  

Ich bin gespannt, was wir in diesem nun endlich seine beginnenden Ausschuss erreichen können, freue mich darauf, die Arbeit aufzunehmen – und werde euch gerne auch hier weiterhin auf dem Laufenden halten!

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