Seitdem sich die Justizminister der EU-Mitgliedsstaaten am 3. Dezember 2010 geeinigt hatten, europaweit verpflichtende Netzsperren für Abbildungen sexuellen Missbrauchts von Kindern einzuführen, befürchteten viele Verteidiger eines freien Internet, dass die in Deutschland bereits 2009 intensiv geführte Debatte zu den Risiken und Nebenwirkungen einer solchen Maßnahme vergebens war. Dabei liegen mittlerweile noch mehr Fakten auf dem Tisch, die zeigen, dass eine solche Zensurinfrastruktur für die Bekämpfung des Kindesmissbrauchs unnötig ist (laut eco sind 2009 99% aller gemeldeten Seiten erfolgreich aus dem Netz entfernt worden, mehr als 84% davon innnerhalb von einer Woche), dass sie aber in anderen Ländern zur Sperrung legaler Webseiten benutzt werden. Die Urheberrechtsindustrie steht ja bereits in den Startlöchern, um auch Pirate Bay und ähnliches zu zensieren.

Die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments, die konservative Italienerin Roberta Angelilli, hat kurz vor Weihnachten ihren Vorschlag präsentiert. Er sieht vor, dass die Einführung solcher Sperren den Mitgliedsstaaten erlaubt, aber nicht vorgeschrieben wird. De facto würde sich also an der derzeitigen Rechtslage nichts ändern, aber die europaweite Verpflichtung wäre ausgebremst. Um zu verhindern, dass Angelilli in den Verhandlungen mit Rat und Kommission einknickt, muss das EP bzw. der federführende Innenausschuss nun möglichst präzise seine Position festschreiben.

Da klar ist, dass es für ein Verbot von Websperren derzeit keine Mehrheit im Parlament oder im Ministerrat geben würde, habe ich mich mit Unterstützung der relevanten NGOs zumindest für eine deutliche Verbesserung der Situation in den Ländern eingesetzt, wo bereits gesperrt wird. Nach schwierigen Verhandlungen ist es mir gelungen, gemeinsam mit Abgeordneten von Sozialdemokraten, Liberalen und Linken (und natürlich in enger Kooperation mit unserer grünen Schattenberichterstatterin Jean Lambert aus England sowie dem Rest unserer Fraktion) einen Änderungsantrag einzubringen, der gute Chancen auf eine Mehrheit hat. Er beinhaltet folgende Punkte:

  • Websperren sind nicht verpflichtend für alle EU-Mitgliedsstaaten.
  • Sie dürfen von den Mitgliedsstaaten nur auf Grundlage von Gesetzen eingerichtet werden. Damit wäre die derzeitige gesetzeslose Sperrsituation in UK und Skandinavien beendet.
  • Gesperrt werden darf nur, wenn nachgewiesen ist, dass alle Löschversuche gescheitert sind. Damit ist klar, dass Sperren kein Ersatz für Handeln mehr sein kann und die Polizei sich nicht hinter Stoppschildern verstecken kann.
  • Die einzelnen Sperrverfügungen brauchen einen Richterbeschluss. Das basiert auf allgemeinen Verfassungsprinzipien: Ein Eingriff das Grundrecht auf Informationsfreiheit muss von einem Richter angeordnet sein.
  • Betroffene haben die Möglichkeit, sich gerichtlich zur Wehr zu setzen.

Die erste Abstimmung findet am Abend des 14. Februar auf einer Sondersitzung des EP-Innenausschusses in Straßburg statt. Leider gibt es in Straßburg keine Livestream-Technik, aber ich werde unter @janalbrecht live twittern und voraussichtlich anschließend sofort eine Pressemitteilung veröffentlichen.

taz-Artikel vom 07.02. „Eu Kommission für Netzsperren: Nur das Parlament kann sie noch stoppen“ http://www.taz.de/1/netz/netzpolitik/artikel/1/nur-das-parlament-kann-sie-stoppen/

Der Richtlinienentwurf von Innenkommissarin Cecilia Malmström: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/10/st16/st16958.de10.pdf

Netzpolitik.org über den Ratsbeschluss im Dezember: http://www.netzpolitik.org/2010/eu-justizminister-fur-netzsperren-noch-2-monate-fur-uns/

Der Beschlussentwurf von Roberta Angelilli: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL+PE-452.564+01+DOC+PDF+V0//DE&language=DE

Alle 342 Änderungsanträge – die von mir ausgehandelten sind 320, 321, 337, 341: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL+PE-456.647+02+DOC+PDF+V0//EN&language=DE

Die Kampagne „Stop Web Blocking!“ von EDRi: http://www.edri.org/stop_web_blocking

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