Heute hat die EU-Kommissarin für Digitale Agenda, Neelie Kroes, in einer Pressekonferenz ihren neuen Berater für Freiheit im Internet vorgestellt: Karl-Theodor zu Guttenberg soll die neue „No Disconnect“-Strategie der Kommission vorantreiben. Das ganze war ein absurdes Schauspiel auf Kosten einer der drängendsten Fragen demokratischer Rechtsstaaten.

Als Europäisches Parlament haben wir die EU-Kommission aufgefordert, konkrete Vorschläge zum Schutz des freien Informationsaustausches im Internet zu machen. Doch statt irgendwelche Lösungen auf den Tisch zu legen, lamentiert die Kommissarin für die digitale Agenda in der EU gemeinsam mit dem ehemaligen deutschen Verteidigungsminister über die Notwendigkeit einer aktiven Zivilgesellschaft gegen Sperrregime im Ausland. Dabei war es die EU-Kommission selbst, die noch vor nicht allzu langer Zeit verpflichtende Netzsperren in der EU vorgeschlagen hatte. Und noch dazu: Der nach Selbstdarstellungsmöglichkeiten suchende Karl-Theodor zu Guttenberg war als Spitzenmann der CSU ein Verfechter von Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und Europa.

Es drängt sich mehr als auf, dass diese Pressekonferenz nichts anderes war, als ein weiterer Inszenierungsversuch des gescheiterten Politikers zu Guttenberg. Dass die EU-Kommissarin Neelie Kroes sich hierzu instrumentalisieren lässt, muss ein Nachspiel haben.

Ich werde noch heute eine entsprechende parlamentarische Anfrage an die EU-Kommission versenden. Zu Guttenberg wurde im Übrigen durch freie Akteure im Internet des Plagiats in mehreren Fällen überführt. Dieser Leistung zollt der betroffene Politiker nicht nur keinen Respekt, sondern er verhöhnt es durch seine Leugnung der offensichtlich vorsätzlichen Tat und den heutigen Auftritt als vermeintlicher Verfechter der Freiheit im Internet. Dieser Politiker hat keinerlei Starthilfe von der EU-Kommission verdient – er gehört ignoriert. Und statt ständig mit dem Zeigefinger auf repressive Staaten und deren Maßnahmen gegen InternetnutzerInnen zu zeigen, sollte die EU-Kommission mal die eigene Politik hinterfragen.

Die heutige Presse könnt ihrnoch einmal anschauen. Wir halten Euch hier bei GrünDigital über die weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden.

 

Update (12.12., 16:45)

Ich habe der Kommission nun folgende schriftlichen Fragen gestellt:

Karl-Theodor zu Guttenberg und die „no disconnect“-Strategie der Kommission

Vizepräsidentin Neelie Kroes hat am 12.12.2011 bekannt gegeben, dass sie Karl-Theodor zu Guttenberg als Berater für die Unterstützung von Internetnutzern, Bloggern und Cyberaktivisten in autoritär regierten Ländern hinzugezogen hat. Ich frage die Kommission:

1. Welche Gründe haben die Kommission dazu bewegt, den ehemaligen deutschen Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als Berater in diesen Fragen heranzuziehen?

2. Wann genau und auf wessen Initiative hat die Kommission diese Entscheidung gefällt?

3. Welche Rolle soll Karl-Theodor zu Guttenberg bei der Arbeit der EU-Kommission spielen, und was sind seine Aufgaben als Berater? Wird er bzw. sein derzeitiger Arbeitgeber CSIS dafür vergütet?
Ist der Kommission bekannt, dass das CSIS nicht im Transparenzregister der EU eingetragen ist?

5. Wie kann die Kommission die Hinzuziehung mit der Debatte zur Person Guttenbergs, seiner Überführung wegen Plagiats und der darauf erfolgten Aberkennung seines Doktorgrades vereinbaren?

6. Wie kann die Kommission die Hinzuziehung mit der in diesem Kontext erfolgten Diffamierung entsprechender Internetplattformen zur Aufdeckung von Plagiaten vereinbaren?

7. Wie kann die Kommission die Hinzuziehung mit der Tatsache vereinbaren, dass zu Guttenberg 2009 als Wirtschaftsminister ein sehr umstrittenes Gesetz zur Sperrung von Webseiten vorgelegt hat?

8. Welchen Mehrwert verspricht sich die Kommission durch seine Hinzuziehung für die Freiheit im Internet?

9. Wird zu Guttenberg im Rahmen seiner Beratungstätigkeit alleine Gespräche führen, oder nur unter Begleitung bzw. Beteiligung der Kommission? Wer ist sein Ansprechpartner auf Seiten der Kommission?

10. Wird im Rahmen von „no disconnect“ Software, die gefördert und verbreitet wird, eigens entwickelt,  und wird diese unter freien Lizenzen (Free and Open Source) verfügbar sein?

11. Wird die Kommission Dienste oder Programme zur Anonymisierung der Internetnutzung anbieten?

12. Richtet sich die „no disconnect“-Strategie nur an Staaten außerhalb der EU, oder wird die Kommission auch darauf hinwirken, dass Menschenrechte und Grundfreiheiten auch innerhalb der EU sowohl online als auch offline gewahrt  werden? Wenn ja wie? Wird zu Guttenberg hier ebenfalls eine Rolle spielen?

 

Ihr könnt die Schriftliche Anfrage hier als PDF herunterladen.

 

Update 2 (16.3.2012)

Die Kommission hat nach wochenlangem Warten am 21. Februar 2012 geantwortet.

Informationskommissarin Neelie Kroes sieht weiterhin keine Probleme mit dem Plagiator und Netzsperrenbefürworter Karl-Theodor zu Guttenberg. Zur genauen Ausrichtung der „no disconnect strategy“ und der Verwendung der dort etwa zu entwickelnden Software kommt bis auf sehr vage Aussagen nichts an Gehalt.

Telepolis hat der ganzen Angelegenheit hinterher recherchiert und durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz eine Reihe von internen Dokumenten und Mails aus der Kommission bekommen. Daraus geht u.a. hervor, dass Guttenberg entgegen der Antworten von Kroes nicht als Einzelperson, sondern als Mitarbeiter des nicht im EU-Lobbyregister eingetragenen US-Thinktanks CSIS geführt wird, und dass er für einen Kurztrip nach Brüssel 5.000 Euro Spesen hätte abrechnen können. Mehr zu den Hintergründen seiner Berufung durch die Kommissarin Kroes hatte Telepolis bereits im Januar berichtet – sehr lesenswert. Ich werde das Thema und diese Personalie weiter im Auge behalten.

 

Mehr zum „Netzaktivisten“ zu Guttenberg hat Linus Neumann bei netzpolitik.org zusammengetragen.

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