Am Vorabend der Demo „Freiheit statt Angst“ nahm ich an der Netzpolitischen Soirée der grünen Bundestagsfraktion mit Renate Künast, dem Datenschutzbeauftragten von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert und dem „Tarantino der Blog-Kultur“ Jeff Jarvis teil. Am folgenden Morgen traf ich Jeff Jarvis zufällig wieder. In unserem Gespräch drückte er sein Unverständnis darüber aus, warum Thilo Weichert solche Probleme mit Google habe. Später schrieb er auch noch einen ausführlichen Blogpost darüber.

In meinen Augen hatte er am Vorabend schon einen wichtigen Grund für die Skepsis gegenüber Google selbst analysiert: Die Menschen in Deutschland wollen keine Fehler machen, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Vermutlich hat Jeff Jarvis damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn die verschiedenen Einstellungen zur Blamage würde auch erklären, warum es einen solchen Unterschied in der Bedeutung des Privaten in der Öffentlichkeit diesseits und jenseits des Atlantiks gibt.

Meines Erachtens hat dies vor allem mit einer sehr unterschiedlichen „Fehlerkultur“ in den beiden Staaten zu tun. Ich glaube, nirgendwo sonst sind Versagen und Niederlagen so negativ behaftet wie in Deutschland. Macht beispielsweise ein Unternehmer Pleite, ist dies ein gesellschaftliches Stigma, eine neue Kreditvergabe wird schwierig. In den USA dagegen werden Fehler viel eher verziehen. Menschen bekommen immer wieder eine neue Chance. Aus einer Niederlage gehen sie möglicherweise gestärkt hervor, denn aus Fehlern lernen hat dort eine positive Bedeutung: Da hat sich jemand etwas getraut.

Die „deutsche“ Haltung hatte der US-amerikanische Blogger Felix Salmon schon 2009 in seinem Beitrag für das SZ-Magazin „Zehn Gründe, warum Blogs in Deutschland nicht funktionieren“ thematisiert. Er schrieb:

5. Ein Blogger muss sich irren, wenigstens manchmal. Wenn er sich nie irrt, dann ist er nie interessant. In den meisten Ländern ist das eine der großen Schwierigkeiten für die Blogosphäre: Die Menschen haben Angst davor, etwas zu schreiben, das sie dumm aussehen lässt. In Deutschland ist diese Angst besonders stark ausgeprägt, weil hier jedes öffentliche Wort genau gewogen wird. Wenn du über etwas schreibst, womit du dich nicht auskennst, wirst du Angst haben, einen wichtigen Aspekt zu übersehen. Wenn du über etwas schreibst, womit du dich gut auskennst, wirst du Angst haben, dass die Leute dich nicht mehr ernst nehmen, wenn du einen Fehler machst.

Diese unterschiedliche „Fehlerkultur“ ist nicht so einfach zu überwinden und sorgt für gegenseitiges Unverständnis. In der Auseinandersetzung um Datenschutz und Privatsphäre darf man diesen Unterschied meiner Meinung nach nicht unterschätzen. Denn solche kulturellen Differenzen sind im Netz weniger offensichtlich, aber auch nicht einfach aufzuheben. Die globalen Menschen sind nun mal doch durch „ihre“ Kultur und „ihren“ gesellschaftlichen Werterahmen geprägt, dies sollte man in der Debatte berücksichtigen.

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