Die Entscheidung der Bundesregierung, sich nach einer viel zu langen Zeit der Untätigkeit endgültig von Netzsperren abzuwenden, war lange überfällig. Die Erkenntnisse aus den zahlreichen Diskussionen der vergangenen zwei Jahre haben eindeutig belegt: Netzsperren sind kein probates Mittel, die Verbreitung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen im Internet zu unterbinden. Im Gegenteil: Sie sind kontraproduktiv, verleiten zur Untätigkeit und verdecken die Sicht auf eine dringend benötigte Gesamtstrategie für den Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen.

Auch wenn der Bundesregierung nach Vorlage der jüngsten Evaluierungsergebnisse des BKA kaum eine andere Möglichkeit blieb, haben wir Grünen die Entscheidung, das Zugangserschwerungsgesesetz aus gesetzlichem Wege zurücknehmen zu wollen, ausdrücklich begrüßt. Da auch nach diesem längst überfälligem Schritt die Antworten von Seiten der Bundesregierung auf etliche Fragen bezüglich des  Zugangserschwerungsgesetzes und der Evaluierung der bisherigen Löscherfolge ausstanden, haben wir zusammen mit der SPD-Fraktion die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage zum verfassungswidrigen Zustand der Aussetzung, zur Zukunft des Zugangserschwerungsgesetzes und zum Stand der überfälligen Evaluation gestellt. Zu den genauen Hintergründen findet ihr hier mehr Infos.

Inzwischen liegt die Antwort der Bundesregierung vor. Um es gleich vorweg zu nehmen: Leider bleiben auch nach Durchsicht der Antworten noch etliche Fragen unbeantwortet. So drückt sich die Bundesregierung nach wie vor um eine klare Stellungnahme bezüglich der Frage nach der offenkundig verfassungswidrigen Aussetzung des zweiffelos ordnungsgemäß verabschiedeten Gesetzentwurfs.

Die Frage nach der Rechtsgrundlage des Nichtanwendungserlasses des Bundesinnenministeriums an das Bundeskriminalamt begründet sie damit, dass dieser sich auf den Anwendungsspielraum des § 1 Abs. 2 des Zugangserschwerungsgesetzes stützt. Diese Antwort ist aufgrund der Tatsache, dass das Gesetz einen solchen Anwendungsspielraum unseres Erachtens nach eben nicht vorsieht, schlichtweg irreführend. Vor diesem Hintergrund überrascht es dann auch nicht, dass die Regierung die Frage, ob sie die Einschätzung der Fragesteller und zahlreicher angehörter Sachverständigen teil, dass ein solches Vorgehen verfassungswidrig sei, unbeantwortet lässt.

Gleichzeitig sind aber auch die Fragen nach der – aus unserer Sicht nach wie vor zwingend erforderlichen – Evaluierung der bisherigen Löschbemühungen, deren Erfolge sich im Laufe des letzten Jahres ja bereits massiv verbessert haben, mehr als unbefriedigend: So beantwortet die Bundesregierung die hierauf abzielende Frage damit, dass sie eine solche Evaluierung nicht mehr für nötig erachte, vielmehr die bisherigen statistischen Auswertungen des Bundeskriminalamtes für ausreichend hält.

Die Bundesregierung dokumentiert durch ihre Antwort ihr mangelndes Interesse daran, das Verfahren weiter zu verbessern. Das ist aus vielerlei Gründen für uns nicht nachvollziehbar. So waren sich bislang alle Fraktionen einig, an der weiteren Verbesserung der Löscherfolge weiterarbeiten zu wollen. Hierfür ist eine Evaluierung nach sauberen statistischen Kriterien zwingend notwendig. Die durch das BKA geführte „Statistiken“ sind als Grundlage einer solchen Evaluierung jedoch in vielerlei Hinsicht denkbar ungeeignet, allein schon aufgrund der Tatsache, dass das Verfahren mehrfach verändert wurde.

Insgesamt bezeugt die Bundesregierung durch ihren fehlenden Evaluierungswillen letztenendes auch die eigene Zufriedenheit mit den bisherigen Löscherfolgen. Davon, das weitere Anstrengungen dringend notwendig sind, zum Beispiel bei der internationalen Zusammenarbeit, kein Wort mehr.

So heißt es in der Vorbemerkung der Bundesregierung wörtlich:

„Diese verbesserte Zusammenarbeit hat nach Auffasung der Bundesregierung dazu geführt, daß die im World Wide Web verfügbaren Darstellungen von Kindsmissbrauch nunmehr erfolgreich gelöscht werden können.“

Ein starkes Stück, zumal die zur Zeit der Verabschiedung des Zugangserschwerungsgesetzes zuständige Ministerin von der Leyen noch versprach, eine Evaluierung „von einem fachlich unabhängigen Institut“ (SPON vom 26. Mai 2009) durchführen lassen zu wollen.  Ein starkes Stück aber auch vor dem Hintergrund, dass es doch in der Vergangenheit gerade die Befürworter von Netzsperren aus dem konservativen Spektrum waren, die exakt diese Statistiken des BKA immer als Beleg für die Notwendigkeit von Sperren angeführt hatten.

Auch windet sich die Bundesregierung bei der Beantwortung unserer Fragen um eine klare Positionierung eines zukünftigen Vorgehens im Kampf gegen Missbrauchsdarstellungen im Netz. Zwar hat sie zwischenzeitlich einen Referentenentwurf eines Gesetzes verschickt, mit dem sie das Zugangserschwerungsgesetz – diesmal auf verfassungsrechtlich sauberem Weg – zurücknehmen will. Dies haben wir ausdrücklich begrüßt. Noch mehr hätten wir es allerdings begrüßt, wenn die Bundesregierung einfach auf die seit langem im Verfahren befindlichen Gesetzesentwürfe aller drei Oppositionsfraktionen zurückgegriffen hätte. Hierdurch hätte man viel Zeit gewonnen. Zeit, die man gut hätte nutzen können.

Weil sich die Aktivitäten der Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren darin erschöpft haben, über die Sinnhaftigkeit von Netzsperren zu diskutieren, ist der Nachholbedarf groß. Seit Anfang der Legislatur fordern wir die Bundesregierung nun dazu auf, sich einer mehrdimensionalen Gesamtstrategie zur Verhinderung von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen zuzuwenden. Leider eines solche Gesamtstrategie noch immer.

Mit großer Überraschung haben wir auch zur Kenntnis genommen, dass das so genannte „Harmonisierungspapier“, das zwischen Beschwerdestellen, der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und dem BKA über Monate ausgehandelt wurde, bereits nach Aussagen der Bundesregierung „im März“ unterzeichnet wurde, das Papier seit 31. März Anwendung findet, das Parlament bisher jedoch immer noch nicht über dessen Inhalt unterrichtet wurde.

So heißt es in der Antwort auf Frage 11 von Seiten der Bundesregierung:

„Nachdem zwischenzeitlich die Zustimmung der Beteiligten vorliegt, beabsichtigt die Bundesregierung, die Mitglieder des Deutschen Bundestages alsbald in geeigneter Form über den Inhalt der Zusammenarbeitsvereinbarung zu informieren.“

Auch ist aus unserer Sicht nicht nachzuvollziehen, dass trotz des bisherigen Konsens, dass eine einwöchige Überprüfung kaum ausreicht, vielmehr eine werktägliche Überprüfung der Löschung betreffender Inhalte bei Weitem zielführender wäre, in dem Papier nach wie vor nicht vorgesehen ist. Obwohl ein solches Vorgehen auch von den Beschwerdestellen begrüßt wird.

Dennoch gibt es in der Kleinen Anfrage der Bundesregierung auch durchaus Antworten, die zu begrüßen sind. So gibt die Bundesregierung zum Beispiel noch einmal zu Protokoll, dass sie sich auf Europäischer Ebene gegen eine verpflichtende Regelung zur Einführung von Netzsperren ausspricht. Damit folgt sie auch dem Entschluss des federführenden Ausschusses des Europäischen Parlaments.

Soweit an dieser Stelle eine kurze – sicher unvollständige – Bewertung der Antworten der Bundesregierung auf die von Grünen und SPD gemeinsam gestellte Kleine Anfrage. Die auch nach der Beantwortung der Kleinen Anfrage offen gebliebenen Fragen werden wir der Bundesregierung noch einmal zu stellen. Die Möglichkeit hierfür bietet sich bereits am kommenden Montag: Nachdem die Bundesregierung es wiederholt versäumt hat, dem Parlament auf Antrag der Oppositionsfraktionen einen Sachstandsbericht zum weiteren Vorgehen in Sachen Zugangserschwerungsgesetz zu geben, wird dieser nun am kommenden Montag auf der Tagesordnung des Unterausschusses Neue Medien stehen – leider abermals in einer nichtöffentlicher Sitzung.

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