Der jüngste Richtlinienvorschlag der EU enttäuschter in vielfacher Hinsicht: Die geplanten Regelungen verfehlen nicht nur das Ziel eines wirksamen Schutzes von Kindern vor sexuellem Missbrauch und Ausbeutung, hinsichtlich der verpflichtenden Einführung von Netzsperren wirken sie sogar kontraproduktiv, weil sie besseren Schutz lediglich suggerieren, tatsächlich jedoch nichts bringen.

Die Kommission hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihren Anspruch bezüglich der Regelung inhaltlich zu begründen. Sie überschreitet hier ganz klar ihre Kompetenz. Zu diesem Schluss kommen sowohl der wissenschaftliche Dienst als auch das Europareferat des Bundestages.

Wir Grüne hatten daher vorgeschlagen, erstmalig von den neu gewonnenen Rechten des Deutschen Bundestages nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Gebrauch zu machen und eine Subsidiaritätsrüge nach Brüssel zu schicken. Eine solche Rüge wäre die letzte Chance gewesen, die Kommission politisch zurückzupfeifen und zu verhindern, dass Netzsperren europaweit – und damit auch in Deutschland – eingeführt werden. Dies war der erste Antrag dieser Art im Deutschen Bundestag.

Wir hatten ganz bewusst allen anderen Fraktionen die Möglichkeit gegeben, sich unserer Initiative anzuschließen und so der Stimme des Bundestages mehr Gewicht in Brüssel zu verleihen. Diese Chance hat schwarz-gelb durch die Absetzung unseres Antrages von der Tagesordnung des federführenden Rechtausschusses vereitelt.

Durch die Vertagung, die lediglich das Ziel verfolgte, die Widerspruchsfrist verstreichen zu lassen, hat die Koalition nicht nur die Einführung von Netzsperren in Europa und die leidige Fortsetzung einer längst beendet geglaubten Diskussion zu verantworten, sondern auch, dass das Parlament seine neu gewonnenen Rechte gegenüber der europäischen Ebene nicht wahrnehmen kann. Das ausgerechnet die FDP, die immer vollmundig versprochen hat, dass es mit ihr keine Netzsperren geben werde, die Vertagung dieses Punktes beantragt hat, ist ein bürgerrechtliches Armutszeugnis für die ehemals Liberalen. Mit ihrem destruktiven Abstimmungsverhalten hat die schwarz-gelbe Koalition insgesamt bewiesen, dass sie aus der Netzsperren-Debatte der Vergangenheit rein gar nichts gelernt hat.

Zur Erinnerung: In einem langen und mühsamen Prozess hatte sich, nicht zuletzt dank der Unterstützung einer breiten Bürgerrechtsbewegung und einer von 133.000 Menschen unterschriebenen Petition schließlich bei allen Fraktionen des Bundestages die Überzeugung durchgesetzt, keine Sperren vornehmen zu wollen, da sich diese nicht nur als ineffektiv, sondern auch als unverhältnismäßig erwiesen haben. Die neue schwarz-gelbe Koalition hatte sich am Anfang der Legislatur darauf verständigt, Teile des Zugangserschwerungsgesetzes nicht anzuwenden. Das Ganze auf einem verfassungsrechtlich höchst fragwürdigem Weg.

Zudem weigerten sich CDU/CSU und FDP beharrlich, das Zugangserschwerungsgesetz ordnungsgemäß zurückzunehmen, wie es die Oppositions-Fraktionen in Anträgen vorschlugen. Nur aufgrund der schwarz-gelben Zusage, ab sofort ausschließlich den Grundsatz „Löschen statt Sperren“ verfolgen und umgehend ein eigenes „Löschgesetz“ sowie eine umfassende und mehrdimensional angelegte Strategie zur wirklich effektiven Bekämpfung von sexuellem Missbrauch, die sich nicht bloß einseitig auf die neuen Medien fokussiert, vorzulegen, tolerierte die Opposition dieses höchst undemokratische Vorgehen.

Im Zuge der gestrigen Debatte im Plenum des Bundestages über unseren Antrag „Sexuellen Missbrauch effektiv bekämpfen – Netzsperren in Europa verhindern“ hat die Koalition aus CDU/CSU und FDP bewiesen, welche Halbwertzeit sie ihren eigenen Aussagen beimisst. Heute wissen wir: Das Versprechen der Koalition, Netzsperren in Deutschland auszuschließen und stattdessen die betreffenden Seiten effektiv zu löschen, war reiner Scheinaktivismus. Die FDP ist erneut vor der Netzsperren-Lobby der Union eingeknickt.
Die Union hingegen nutzt den Richtlinienvorschlag der europäischen Kommission nun, um eine zurecht verlorene Debatte wieder zu beleben und so von dem gefundenen Konsens, keine Sperren anwenden zu wollen, abzurücken. Sie hat gestern endlich zugegeben, was ohnehin schon alle wussten: Aus ihren netzpolitischen Verfehlungen der letzten Legislaturperiode hat die Union scheinbar nichts gelernt und führt Netzsperren ab sofort offiziell wieder in ihrem Repertoire – natürlich nicht ohne ständig zu betonen, dass es sich bei Sperren nur um eine ultima ratio handelt.

Auch wurde während der gestrigen Debatte deutlich, welche Kämpfe derzeit innerhalb der Koalition ausgefochten werden. So betonten die Redner der FDP immer wieder, dass die Justizministerin federführend im Bereich Netzsperren sei. Dies scheint angesichts des gestrigen Debattenverlaufs und dem Abstimmungsverhalten der FDP in den Ausschüssen jedoch eher Wunschdenken zu sein.

Auch hat die gestrige Debatte einen kleinen Vorgeschmack darauf gegeben, welche Diskussionen der Enquete-Kommission noch bevorstehen. Mit ihrem Gebaren hat die Koalition offenbart, dass es für sie nicht leicht wird, dem im Einsetzungsantrag formulierten Anspruch, „das Internet als freiheitliches Medium“ von staatlicher Seite zu schützen, gerecht zu werden.

Mein Fazit des gestrigen Tages lautet also: Die Debatte um Netzsperren droht wieder in den Bundestag zurückkehren – diesmal über den Umweg Europa in Form einer EU-Richtlinie. Dass es die Bundesregierung verpasst hat, die deutsche Position gegenüber der Kommission unmissverständlich klar zumachen, war ein schwerer Fehler.

Es scheint so, als hätte die Koalition aus ihren netzpolitischen Verfehlungen nichts gelernt. Das darunter nun auch die Rechte des Parlaments, das vor Kurzem vom Bundesverfassungsgericht explizit dazu aufgefordert wurde, die Zuständigkeit der Europäischen Kommission – gerade im hochsensiblen Bereich des Strafrechts – fortwährend zu überprüfen, leiden muss, ist ein weiterer Beleg dafür, dass diese Koalition alles recht ist, um die eigenen Interessen durchzusetzen.

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