Am kommenden Montag (11. November, 15:00-18:30) wird die nächste Anhörung im Rahmen der Sonderuntersuchung des Europäischen Parlaments zur Massenüberwachung stattfinden. Sie wird sicherlich eine der interessantesten Anhörungen werden.

Zum ersten Mal wird jemand aus dem US Congress teilnehmen – Jim Sensenbrenner, Vorsitzender des Unterausschusses für Kriminalität, Terrorismus, Heimatschutz und Ermittlungen im Repräsentantenhaus und Co-Autor des US PATRIOT Act 2001. Er hat am 29. Oktober gemeinsam mit Patrick Leahy, Vorsitzender des Justizausschusses im Senat, den USA Freedom Act eingebracht, der die flächendeckende Massenüberwachung durch die NSA massiv einschränken würde durch Änderungen am Patriot Act und am Foreign Intelligence Surveillance Act.

Außerdem werden sich erstmals amerikanische Firmen zu den Enthüllungen durch Edward Snowden hier äußern. Facebook, Microsoft und Google haben zugesagt, Yahoo hatte abgesagt, mit Apple gab es ein Treffen bei der Delegationsreise in Washington.

Programm

Live-Stream

Ein Überblick über die bisherigen Aktivitäten rund um die Massenüberwachung und die EP-Sonderuntersuchung findet sich hier.

 

Kleine Zwischenbilanz

Seit im Juni die ersten Enthüllungen von Edward Snowden über die Massenüberwachung durch die amerikanische National Security Agency (NSA) veröffentlicht wurden, haben wir im Europäischen Parlament darauf gedrängt, dass ernsthafte Konsequenzen gezogen werden. Wir haben die Resolution, die am 4. Juli zur Einsetzung der EP-Sonderuntersuchung führte, federführend mit geschrieben und verhandelt.

Viele der Expertinnen und Experten, die Jan Philipp Albrecht vorgeschlagen hatte, sind auch eingeladen worden, darunter die investigativen Technik-Journalisten Jacob Appelbaum und Duncan Campbell, CCC-Sprecherin Constanze Kurz, Edward Snowdens Anwältin Jesselyn Raddack, sowie die Geheimdienst-Whistleblower Thomas Drake, J. Kirk Wiebe und Annie Machon. Caspar Bowden, der seit zwei Jahren vor den Möglichkeiten des FISA Court für Cloud-Überwachung warnt und dazu eine Studie für die Sonderuntersuchung verfasst hat, war bereits im Sommer 2012 bei einer von uns organisierten Anhörung im Europäischen Parlament.

Jan hat parallel als Berichterstatter für die neue EU-Datenschutzverordnung sichergestellt, dass endlich ein weitgehender Schutz vor Zugriffen ausländischer Behörden auf europäische Daten sichergestellt wird. Außerdem soll es klare Vorgaben für die Datenschutzbehörden im Umgang mit anonymen Informanten (Whistleblowern) geben. Diese Vorschläge – zusammen mit den anderen Kompromissen, die wir im letzten halben Jahr ausgehandelt haben – wurden 21. Oktober im Innenausschuss mit breiter Mehrheit angenommen.

Am 23. Oktober hat das Europäische Parlament außerdem eine gemeinsame Resolution von Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen angenommen, die mit deutlichen Worten einen Stopp des SWIFT-Bankdatenabkommens fordert, nachdem im Zuge der Snowden-Enthüllungen herauskam, dass die US-Dienste das Abkommen einfach umgehen und sich massenhaft zusätzliche Daten direkt aus dem Netzwerk des Diensleisters für die Bankenkommunikation absaugen.

Unsere Forderung nach einem Ende des Safe-Harbor-Abkommens zum Datenaustausch mit den USA wird derzeit von der EU-Kommission geprüft und mittlerweile sogar von Konservativen unterstützt, nachdem der Safe-Harbor-Experte Chris Connolly uns am 7. Oktober ein Update seiner Studie von 2008 gegeben hatte. Wir Grünen haben uns darüber hinaus für die Aussetzung der Handelsgespräche zwischen den USA und der EU eingesetzt und gefordert, dass das neue Cybercrime-Center von Europol in die Aufklärung der Spähangriffe einbezogen wird. Auch die Europäische Kommission haben wir mit wiederholten kritischen Anfragen unter Druck gesetzt.

Im Zuge der Sonderuntersuchung des Europäischen Parlaments liegen nun viele Fakten auf dem Tisch. Über die Aktivitäten der NSA wurden eine umfangreiche Studie erstellt und mehrere Anhörungsrunden durchgeführt. Wie der Netzaktivist und investigative Journalist Jacob Appelbaum eindrücklich berichtete, erstellt die NSA mittels automatisierter Massenauswertung der weltweiten Telekommunikation digitale Dossiers von so gut wie allen Menschen dieses Planeten. Dabei wird nicht nur durch die Vordertür auf Daten von Unternehmen wie Microsoft, Facebook oder auch SWIFT zugegriffen, sondern zusätzlich noch durch die Hintertür an den Internet-Kabeln gelauscht oder per Cyberattacke in die Server eingebrochen.

Dass dies inzwischen auch vielen Amerikanern sogar dann als unakzeptabel gilt, wenn nur nicht-Amerikaner betroffen sind, wurde bei den Gesprächen in Washington Ende Oktober sehr deutlich. Hier schält sich nach und nach eine grenzüberschreitende Allianz von Parlamentariern und Datenschutz-NGOs heraus, die auch langfristig großes Potenzial haben dürfte.

In Europa mehren sich allerorten die Stimmen, die aufgrund des grundlegenden Vertrauensverlustes viele Abkommen zwischen der EU und den USA aufkündigen oder nicht neu verhandeln wollen. Die im Juni von EU-Kommission und US-Regierung eingesetzte EU-US-Expertengruppe dagegen scheint keine neuen Erkenntnisse zu bringen, wie Vertreter der Kommission am 7. November in der EP-Anhörung offen zugaben. Sie dient anscheinend vor allem der Funktion, dass Vertreter von US-Regierung und europäischen Regierungen eine Ausrede dafür haben, nicht bei der Untersuchung des Europäischen Parlaments aussagen zu müssen.

Daneben ist die Arbeit europäischer Geheimdienste ein wichtiges Thema. Bereits in der ersten Anhörung am 5. September hatte der von uns vorgeschlagene britische Journalist Duncan Campbell enthüllt, dass neben Großbritannien und Frankreich auch der schwedische Geheimdienst tief in den Datenaustausch mit der NSA verstrickt ist. Über die Geheimdienstaktivitäten in UK, Frankreich, Schweden, Deutschland und den Niederlanden liegt nun eine Studie vor, die am 7. November vorgestellt wurde.

Zu den Aktivitäten des GCHQ in Großbritannien berichtete Gus Hosein, Geschäftsführer von Privacy International, dass es nicht nur offenbar keine Rechtsgrundlage für die Massenüberwachung durch das Tempora-Programm gibt, sondern dass diese sogar eingeführt wurde, obwohl das Parlament sich im Zuge der Reform des Communication Act explizit dagegen entscheiden hatte.

Hier wurde bereits auch intensiv über verbesserte Möglichkeiten der Geheimdienst-Aufsicht durch Parlamente und Gerichte diskutiert. Neben verschiedenen Klagen, die von NGOs bereits gegen die Regierungen in den USA, in Großbritannien und vor kurzem auch in den Niederlanden eingereicht wurden, werden auch auf unserer Seite rechtliche Schritte geprüft, um zumindest gegen die Cyberattacken auf die EU-institutionen durch das GCHQ vorzugehen.

Das grundlegendere Problem ist aber viel größer: Ein „überwachungsindustrieller Komplex“ zwischen Geheimdiensten, Strafverfolgern und Unternehmen im Schatten des Rechts oder offen illegal entstanden ist, und der ohne einen Nachweis der Notwendigkeit und Effektivität solcher Maßnahmen auf immer weitere Überwachung setzt. Hier muss politisch eine grundlegende rote Linie gezogen werden. Wichtige Empfehlungen geben dafür zum Beispiel die „Internationalen Grundsätze für die Anwendung der Menschenrechte in der Kommunikationsüberwachung„, die von einem breiten Bündnis aus NGOs entwickelt wurden.

Darüber hinaus muss der Schutz von Whistleblowern und Journalisten, die über diese Themen berichten, massiv verstärkt werden. Das wurde deutlich sowohl in den Aussagen von ehemaligen MitarbeiterInnen von NSA und MI5, als auch in dem flammenden Plädoyer des Guardian-Chefredakteurs Alan Rusbridger in der EP-Anhörung am 5. September, die Pressefreiheit zu retten. Sogar unsere Arbeit im Parlament ist hiervon nicht ausgenommen: Es ist mehr als unakzeptabel, dass das Europäische Parlament Edward Snowden vermutlich nicht einmal per Videokonferenz anhören kann, weil die NSA durch die Überwachung des Datenverkehrs seinen Aufenthaltsort in Moskau herausfinden könnte.

Daneben wird langsam klarer, wie wir der bei EU-Mitgliedstaaten beliebte Ausrede „das ist für die nationale Sicherheit – da ist die EU gar nicht kompetent“ etwas entgegen setzen können. Sergio Carrera, Ko-Autor der Studie zu den Geheimdiensten europäischer Staaten, machte bei der Anhörung am 7. November sehr deutlich, dass in demokratischen Rechtsstaaten „Sicherheit“ nur heißen kann, dass man eben genau diese Rechtsstaatlichkeit und die demokratische Kontrolle von Regierungsaktivitäten sichern und gerade nicht aufs Spiel setzen muss.

Einer der Höhepunkte der bisherigen Anhörungen in dieser Hinsicht war ein Statement von Edward Snowden, das seine Anwältin Jesselyn Radack am 30. September verlas. Darin forderte er unter anderem, dass Entscheidungen nicht für die Menschen getroffen werden sollen, sondern dass die Bürger sie nach gründlicher Debatte selber treffen müssen. Damit traf er genau den Kern der Diskussion: Es geht um die Zukunft unserer Demokratien!

 

Ausblick

Weitere Anhörungen werden an folgenden Daten stattfinden:

· 14. November, 15:00-18:30 (Bruxelles): Überwachung durch EU-Mitgliedstaaten, Sicherheit der EU-Institutionen

· 18. November, 19:00-21:30 (Strasbourg): Vorstellung des Entwurfs des Abschlussberichts

· 2. Dezember, 15:00-18:30 (Bruxelles): IT-Tools für Sicherheit und Datenschutz

· 5. Dezember, 15:00-18:30 (Bruxelles): öffentlicher Workshop mit Beteiligung interessierter Bürgerinnen und Bürger für Feedback zum Berichtsentwurf

· 9. Dezember: 19:00-21:30 (Strasbourg): Austausch mit Justizkommissarin Reding zum Safe Harbor-Abkommen und der EU-US Expertengruppe

· Im Februar 2014 soll der finale Abschlussbericht dann vom Plenum des Europäischen Parlaments angenommen werden.

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