Gestern fand der jährliche Safer Internet Day statt. Dieses Jahr stand der Aktionstag unter dem Motto #OnlineAmLimit und widmete sich unter anderem der Frage, welche Fähigkeiten Erwachsene, Kinder und Jugendliche für eine gesunde Balance im Internet benötigen. Tobias Bacherle, Obmann im Ausschuss für Digitales, und Denise Loop, Obfrau im Familienausschuss, haben das zum Anlass genommen, um klarzustellen: Der Alltag von Kindern findet heute längst im digitalen Raum statt. Spiele, Chatten, Tiktok – auch das Durchschnittsalter der Kinder, die das Internet nutzen, wird immer jünger. Digitale Medien gehören zum Alltag von Kindern und Jugendlichen. Ihr Schutz und auch ihre Rechte im digitalen Raum werden immer wichtiger. Verfassungsrechtlich verankerter Kinderschutz, Grundrechte und Privatsphäre müssen im digitalen Raum zusammengedacht werden. Der vorliegende Gastbeitrag wurde gestern auf watson.de veröffentlicht.

Mit der Verjüngung der User:innen steigt die Herausforderung, das Internet zu einem offenen, selbstbestimmten und demokratischen Raum zu machen, in dem Kinder und Jugendliche sich frei bewegen und ihre Persönlichkeit entfalten können, sowie hinsichtlich all ihrer Rechte explizit geschützt werden. 

Wie also kann eine freie Entfaltung der Persönlichkeit und Selbstbestimmung im Internet und zugleich ein starker, konsequenter Schutz gegen Gefahren wie Grooming, sexualisierte Gewalt und die Verbreitung solcher Inhalte gewährleistet werden?

Zur Realität des digitalen Zeitalters gehört, dass auch Kinder und Jugendliche digitale Rechte, das heißt, ein Recht auf einen freien und sicheren Zugang zum Netz haben. Kinder und Jugendliche verbringen große Teile ihrer Freizeit im Internet. Hier geht es auf der einen Seite also um digitale Teilhabe, um die Möglichkeit, selbst entscheiden zu können, auf welchen Social Media Plattformen ich mich anmelde und Teil einer Community und Kultur sein möchte. Besonders queere Jugendliche finden im Internet Ansprechpersonen und Verbündete, wenn sie sich auf der Suche nach ihrer eigenen Identität machen und diese im unmittelbaren sozialen Umfeld nicht finden oder dort nicht auf Akzeptanz stoßen. 

Es gilt also auch, die Grundrechte von Kindern online zu wahren. Eine anlasslose Überwachung jeglicher Kommunikation in Form der Chatkontrolle, etwa über explizit eingebaute Sicherheitslücken (das sog. Client Side Scanning), gilt es daher abzulehnen. Auch eine Identifizierungspflicht, etwa durch eine Klarnamenpflicht oder eine deanonymisierte Altersverifikation im Netz, kann besonders auch für Kinder keine Lösung in der Frage sein, wie wir ein sicheres Internet für Kinder gewährleisten. Denn auch Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf informelle Selbstbestimmung und eben die anonyme oder pseudonyme Nutzung des Internets. 

Zur Realität gehört aber genauso: Wir müssen gewährleisten, dass sich Kinder auf einen effektiven, konsequenten und wirksamen Schutz vor Gewalt im Internet verlassen können. Weltweit sehen wir aber, dass sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Netz, deren Darstellung und Verbreitung in den vergangenen Jahren immens in die Höhe geschnellt ist. 

Dies bedeutet unfassbares Leid für die Betroffenen. Menschen, die in jungen Jahren Opfer sexualisierter Gewalt werden, leiden oft ein Leben lang an schwersten psychischen und körperlichen Folgen der Übergriffe. Jede Person, die Abbildungen sexualisierter Gewalt an Kindern verbreitet und herunterlädt, trägt hierbei eine Mitschuld und sollte die entsprechenden rechtlichen Konsequenzen tragen. Dabei erfordert die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt an Kindern einen Ansatz, der neben effektiven Strafverfolgungsmöglichkeiten auch die Präventionsarbeit stärkt und eine kinderrechtliche Perspektive einnimmt. 

Neben der Prävention, die immer ein unverzichtbarer Teil des Kinderschutzes ist, muss es daher einfache, sichtbare und zugängliche Möglichkeiten geben, um Inhalte sexualisierter Gewalt zu melden und sich unmittelbare Hilfe zu suchen. Dazu gehört der Ausbau der klassischen Hilfe- und Meldesysteme für Opfer sexualisierter Gewalt, genauso wie das digitale, rechtssichere Melden von verdächtigen Inhalten in Messenger-Chats, in Online-Spielen und in den “For You”-Pages von TikTok und Co. 

Auch die Plattformen müssen hier in die Pflicht genommen werden, für demokratische und gewaltfreie Standards auf ihren Plattformen zu sorgen und somit das Risiko für Gewalttaten auf ihren Plattformen zu reduzieren und etwaiges Löschen, Sperren, Melden und Ermitteln schnell, wirksam und konsequent anzugehen. Zudem ist dabei zentral, dass gemeldetes Material, welches noch nicht gelöscht werden konnte, nicht mehr angezeigt werden kann. 

Darüber hinaus müssen die Ermittlungsbehörden für eine effektive und umsetzbare Bekämpfung sexualisierter Gewalt an Kindern personell und auch strukturell weiter ausgebaut werden. Das von der EU-Kommission vorgeschlagene europaweite Koordinationszentrum halten wir daher für einen sinnvollen Teil des EU-Verordnungsvorschlag. Als Politik ist es unsere Aufgabe, die Gesetze und Angebote so zu gestalten, dass Kinder und Jugendliche die Möglichkeiten des Internets kreativ nutzen können. 

Diese Anforderungen zeigen auch: Es ist die Verantwortung des Umfelds der Kinder und Jugendlichen, durch digitale Schutzkonzepte sichere digitale Räume zu schaffen und zu erhalten. Die Kinder und Jugendlichen selbst sind nicht dafür verantwortlich, sich zu schützen.  

Kinder in ihrer Freiheit und Unversehrtheit im Netz, genauso wie ihre Privatsphäre im Internet zu schützen, sind also zwei Seiten einer Medaille und keine Gegenspieler, wie in der aktuellen Debatte ja gerne angenommen wird. Erfolgreiche Netz- und- Jugendschutzpolitik muss beides gewährleisten: Sie muss eine kinderrechtliche Perspektive einnehmen, die sowohl den Schutz-, den Teilhabe- und den Befähigungsaspekt von Kindern und Jugendlichen in den Blick nimmt.

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