Anlässlich des heutigen Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu zwei von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) und einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern eingereichten Verfassungsbeschwerden gegen automatisierte Datenauswertungen durch die Polizei in Hamburg und Hessen (hier die PM des Gerichts) habe ich heute gemeinsam mit Misbah Khan die Gesetzgeber in Bund und Land aufgefordert, auf einem verfassungsrechtlich heiklen Feld mehr Sorgfalt walten zu lassen und immer wieder vorgebrachte Kritik zukünftig ernster zu nehmen als bisher.

Dass die klassische Polizeiarbeit zunehmend durch automatisierte, also auf künstlicher Intelligenz beruhender, Datenerhebung, -verknüpfung und -auswertung ersetzt wird, ist eine rechtsstaatlich fragwürdige Entwicklung. Diese naive Technikgläubigkeit schlägt sich in gleich mehreren polizeigesetzlichen Novellen verschiedener Bundesländer der letzten Jahre nieder. Gerade erst sprach das Gericht ein Urteil zum Polizeigesetz von Mecklenburg-Vorpommern.

Wiederholt haben wir als Grüne Bundestagsfraktion auf die erhebliche Fehleranfälligkeit der eingesetzten Technologien, die damit verbundenen Gefahren für die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger und auf sehr ernst zu nehmende verfassungsrechtliche Bedenken hingewiesen.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) macht mit der heutigen Entscheidung deutlich, dass der Einsatz derartiger Technologien, die zum Ziel haben, kriminelles Verhalten bereits im Vorfeld vorherzusagen, nur in sehr engen verfassungsrechtlichen Grenzen möglich ist.

Das Gericht mahnt rechtsstaatlich klare Vorgaben in den entsprechenden gesetzlichen Regelungen an. Dargelegt werden muss unter anderem, unter welchen konkreten Bedingungen und zur Verhinderung welcher Straftaten der Einsatz zulässig ist. Zudem sind verschiedene rechtsstaatliche Schutzmechanismen zwingend einzuziehen.

Die heute bereits vielfach zum Einsatz kommende Technik ist häufig eben nicht „intelligent“. Vielmehr ist sie oftmals extrem fehleranfällig und mit erheblichen verfassungsrechtlichen Problemen behaftet. Der Gesetzgeber muss diese Bedenken zukünftig viel ernster nehmen.

Wir weisen noch einmal darauf hin, dass rechtsstaatliche Institutionen gerade auf einem verfassungsrechtlich derart heiklen Feld gut beraten sind, nicht blindlings auf hoch fehleranfällige Technologien fragwürdiger IT-Firmen zurückzugreifen. Auch muss die Expertise der zuständigen Datenschutzbeauftragen zukünftig mehr Beachtung finden.

Die heutige Entscheidung wird weitreichende Auswirkungen auf die Polizeiarbeit auch in anderen Bundesländern haben. Auch die Bundesebene muss die Auswirkungen sowohl auf den polizeilichen wie nachrichtendienstlichen Bereich genau analysieren. Als Ampel stellen wir uns dieser Herausforderung und werden die Entscheidung auch bei der Aufstellung einer Überwachungsgesamtrechnung sehr genau im Blick behalten.

Wir danken den Klägerinnen und Kläger um die GFF für ihr Engagement für unsere Freiheitsrechte.

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3 Responses

  1. Ein wichtiger Schritt in der laufenden Debatte um die Polizeiarbeit im Informationszeitalter!
    Für uns Grüne sehe ich aber erst den Anfang der Arbeit: dass Gotham/Palantir nicht unserem demokratischen Verständnis entspricht war klar. Was mir noch fehlt ist ein konkreter Lösungsvorschlag, der Fahndung und Datenverarbeitung in sinnvollem Rahmen ermöglicht (z.B. die Strafverfolgung von Hasskommentaren, generell der Austausch zwischen den Landesbehörden) ohne eben polizeiliche Willkür, institutionelle Diskriminierung („predictive Policing“) oder Skandale wie die NSU 2.0- Drohmails zu ermöglichen. Wir müssen raus kommen aus der Abwehrdebatte, und einen eigenen demokratischen und machtbewussten Vorschlag vorlegen.

  2. Lieber Sebastian, 1. war das, glaube ich, anders als zu schreibst, gar nicht „jedem klar“. 2. Wir führen auch längst nicht nur „Abwehrdebatten“, schau dir doch mal unsere zahlreichen Beschlüsse, Anträge im Bundestag, Debatten bei Polizeikongressen etc. an. 3. Das BVerfG gibt ja einen Rahmen vor, in dem man sich bewegen kann. Diesen gilt es nun umzusetzen, zuallererst auf Landesebene, denn diese Gesetze wurden ja mehrfach erfolgreich beklagt. Gleichzeitig machen wir ja in dem gemeinsamen Statement deutlich, dass auch der Bundesgesetzgeber sich dieser Herausforderungen stellen muss, sowohl mit Blick auf den polizeilichen als auch den nachrichtendienstlichen Bereich. Die entsprechenden Reformvorhaben laufen längst, z.B. neues BPol-Gesetz als auch Reform des Rechts der Nachrichtendienste sind derzeit in der konkreten Erarbeitung. Daher glaube ich, machen wir seit langem, was du anmahnst, derzeit sogar gesetzgeberisch extrem konkret.

    Beste Grüße
    JoernPL für die Redaktion

  3. „… aufgefordert, auf einem verfassungsrechtlich heiklen Feld mehr Sorgfalt walten zu lassen …“
    Das ist der entscheidende Punkt:

    wenn die Normenkontrolle (Sicherstellung der Verfassungstreue) immer erst NACHDEM ein Gesetz in Kraft ist, über Karlsruhe abgefragt, und dann – wie wir vom BND-Gesetz wissen – in der Neufassung ja auch wieder nicht verfassungstreu verändert wird, dann können unsere konstitutionellen Grundrechte ja nie gewinnen.
    Die Normenkontrolle zur Verfassungstreue muss endlich VOR das in-Kraft-Setzen eines Gesetzes gebracht werden.

    (Dann gäbe es keine geheimen Staatstrojaner, dann käme kein Client-Side-Scanning, dann hätten Datenschutzbeauftragte die ihnen in der EU zustehenden Befugnisse, dann besäßen wir echten Whistleblowerschutz – statt Vorratsdatenspeicherung & „Datenhehlerei“-Strafgesetz-§ (!), dann käme die Registermodernisierung nicht mit Sammlung aller Bürgerdaten auf der einen Steuer-Id durch, dann könnten Ulrich Kelber und ich auch entspannter darauf reagieren, dass ARD, ZDF, Phoenix leider die verlässliche Berichterstattung zu Themen der informationellen Selbstbestimmung nicht richtig zu schaffen scheinen : )

    Bekommen wir EUGH-Normenkontrolle VOR Gesetz-Produktivsetzung?

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