Vor einigen Wochen hatten wir die Bundesregierung zu ihren Gründen für die Umstellung der IT-Infrastruktur des Auswärtigen Amtes auf Microsoft-Software befragt. Nun liegt die Antwort (PDF, 9 MB, BT-Drs. 17/5589) vor.

Um es gleich vorweg zu nehmen:  Die Antworten der Bundesregierung auf die von uns gestellten Fragen muten teilweise bizarr an. So ist aus unserer Sicht zum Beispiel nicht nachvollziehbar, dass das Auswärtige Amt weiterhin für alle umgestellten Rechner die Microsoft-Lizenzen bezahlt und die Schulungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unverändert durchgeführt hatte.

Diese Ressourcenverschwendung sowie das jahrelange Verharren auf veraltete Versionen des Mailprogramms Thunderbird kann auch eine Erklärung dafür sein, warum die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes so unzufrieden mit der Nutzung der Freien Software waren: Für sie war es schlicht ein doppelter Lernaufwand, der wohl bei vielen Angestellten für mehr Verwirrung als Klarheit gesorgt haben dürfte. Die Verantwortlichen im Auswärtigen Amt müssen sich aus unserer Sicht nun fragen lassen, ob nicht auch die Bereitstellung einzelner Windows-Arbeitsplätze und besser geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eventuell auftretende Kompatibilitätsprobleme hätten lösen können.

Die Kosten für den Parallelbetrieb hingegen als Argument für die Abkehr von der Open-Source-Strategie darzustellen bzw. dadurch zu argumentieren, es fielen keine zusätzlichen Kosten für den Strategiewechsel an, ist vor diesem Hintergrund aus unserer Sicht ebenfalls nicht nachvollziehbar.

Auf unsere Fragen nach den Maßnahmen der Bundesregierung, Kompatibilität und Nutzerfreundlichkeit der Open-Source-Anwendungen zu verbessern, antwortet die Bundesregierung, dass man nun auf Microsoft-Programme umsteige. Dies scheint die einzige, für die Leitung des Auswärtigen Amtes denkbare Maßnahme gewesen zu sein. Das Geld, das vom Auswärtigen Amt für die Lizenzen der Dual-Boot-Systeme und Schulungen ausgegeben wurde, hätte jedoch auch in die Verbesserung der Open-Source-Lösungen fließen können. Dies wäre aus unserer Sicht die weitaus bessere Variante gewesen. Dass die Kosten für die nun folgende Umstellung auf Windows 7 bereits im Budget eingeplant sind, es aber nicht möglich gewesen sein soll, in die entsprechende Sicherheitsüberprüfung und Anpassung freier Software zu investieren, ist aus unserer Sicht ebenfalls nicht nachvollziehbar.

Wenig überzeugend klingt angesichts des bestehenden Marktes an Linux- und Open-Source-Dienstleistern auch die Argumentation der Bundesregierung, dass bei freier Software keine Produkthaftung gegeben sei.

Insgesamt wird auf unsere Fragen zu den Kosten und zur Sicherheit des Einsatzes freier und quelloffener Software von Seiten der Bundesregierung nur oberflächlich eingegangen. In vielen Fällen gibt uns die Bundesregierung darin Recht, dass es durch die Nutzung von freier und quelloffener Software zu Sicherheitsgewinnen und vieler weiterer Vorteile kommt. Die aus den eigenen Antworten resultierenden Konsequenzen zieht die Bundesregierung jedoch leider nicht, vielmehr wird die Ressorthoheit des Auswärtigen Amtes betont. Dass die Hauptgründe für die damalige Softwareumstellung, neben der Kostenersparnis, auch Sicherheits- und Stabilitätsgewinne für die weltweit verteilten Botschaften und Auslandsvertretungen des Auswärtigen Amtes gewesen sind, beachtet die Bundesregierung ebenfalls nicht weiter.

Erfreulich war hingegen, dass in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage auffallend nicht mehr von „in der Bundesverwaltung standardisierten Programmen“ gesprochen wird, wie das noch sehr stark in der Antwort auf die Anfrage der SPD-Fraktion (PDF, Drs.-Nr. 17/4567)der Fall war. Ein bezeichnendes Zitat dazu:

„Nein, die Bundesregierung plant nicht, die Stellung marktbeherrschender Unternehmen im IT-Bereich aktiv zu stärken. Es ist auch nicht geplant, Lösungen solcher Hersteller formal in den Rang eines Standards zu erheben.“ (eigene Hervorhebung)

Hier hat offensichtlich ein Lerneffekt eingesetz. Positiv ist zudem zu vermerken, dass die neuen „Standards und Architekturen für E-Government-Anwendungen (SAGA)“ derzeit umfassend aktualisiert und überarbeitet wurden, um den Einsatz von offenen Standards in der Zukunft noch weiter zu fördern. Das Dokument befindet sich laut BMI in einer Abstimmungsphase. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Papier dann auch tatsächlich praktische Auswirkungen hat. Denn angesichts der bisherigen Ausgestaltung von SAGA kann man durchaus  gespannt sein, was von den wohlklingenden Worten schließlich übrig bleibt und tatsächlich auch umgesetzt wird.

Insgesamt erhärtet sich durch die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage der Eindruck, dass es nach wie vor keine kohärente Strategie der Bundesregierung zu Freier Software und Offenen Standards gibt. Es scheint sich vielmehr zu bestätigen, dass es bei der Leitung des Auswärtigen Amtes offensichtlich keinen politischen Willen mehr gibt, an der bisherigen Open-Source-Strategie festzuhalten und dieser durch eine konsequente Weiterentwicklung zum Erfolg zu verhelfen. Das ist bedauerlich. Einige immer wieder als verbesserungswürdig auffallende Details, wie die einfache und intuitive Bedienbarkeit von Open-Source-Software, hätten in einem Umfeld wie dem Ministerium als Projekt und durch Ausschreibungen für Erweiterungen durchaus erfolgsversprechend angegangen werden können. Leider versteckt sich das Amt hinter dem Henne-Ei-Diskussion der Interoperabilität.

Die vollständige Antwort der Bundesregierung findet ihr hier:„Förderung von freier und quelloffener Software in Bundesbehörden, insbesondere im Auswärtigen Amt“ (PDF, 9 MB, BT-Drs. 17/5589). Wir freuen uns über Kommentare und Anmerkungen. In den Antworten stecken noch einige interessante Themen, wie z.B. der Bereich Virtualisierung und Green IT, Open-Source-Software und Anforderungsgestaltung bei Ausschreibungen, die schwierige Entscheidung, auf eine eigene Linux-Distribution und Abkopplung von Updatezyklen zu setzen, das auf den Juli 2010 datierte Scheitern einer Bundesdistribution  sowie die laut Bundesregierung fehlende Produkthaftung bei Freier Software.

Wir fordern Euch auf: Macht Euch selbst ein Bild und helft dabei, die Antwortd er Bundesregierung auzuwerten. Die Free Software Foundation und der Linuxverband haben hierzu ein Etherpad aufgesetzt, in dem die Anfrage von Euch allen ausgewertet werden kann. Wir würden uns sehr freuen, wenn sich möglichst viele von Euch an der Auswertung der Kleinen Anfrage beteiligen würden.

Eine Kurzbewertung der Antworten der Bundesregierung findet Ihr bei der Free Software Foundation Europe. Eine etwas ausführlichere Bewertung hatte gestern auch bereits das Linux Magazin vorgenommen.

UPDATE: Nun hat auch heise eine Bewertung vorgenommen.

UPDATE II: Auch Pro Linux hat sich die Antworten der Bundesregierung auf unsere Kleinen Anfrage noch einmal genauer angeschaut.

UPDATE III: Und nun hat auch SPON noch einen Artikel zu unserer Kleinen Anfrage verfasst.

UPDATE IV: Auch zeit online, golem, netzpolitik,  nochmals heise und Der Standard hatten noch etwas geschrieben.

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