Dass es innerhalb der SPD eine Unterstützung für die anlasslose Vorratsdatenspeicherung gibt, ist seit geraumer Zeit bekannt. Zuletzt war es Ralf Stegner, der die Speicherung entsprechender Daten für drei bis vier Monate forderte. SPD-Innenminister auf Länderebene gehen teilweise noch weiter. Nun positionieren sich auch die Netzpolitiker innerhalb der SPD zu diesem Thema – in fataler Art und Weise. In der Vergangenheit hat sich dieser Gesprächskreis immer als progressive Kraft in der SPD-internen Debatte verstanden und sich als solcher auch in der Öffentlichkeit präsentiert. So machte man stets den Eindruck, das Netz verstanden zu haben und gab vor, unsere Bürgerrechte schützen uns stärken zu wollen. Jetzt wurde von Mitgliedern des Gesprächskreis Netzpolitik in der SPD allerdings ein Entwurf für einen Musterantrag zum Thema Vorratsdatenspeicherung vorgelegt, der von anderen aus dem Gesprächskreis verteidigt wird. Es scheint also die Mehrheitsmeinung dieses Kreises zu sein.
Vor diesem Hintergrund halte ich den Antrag sowohl politisch als auch strategisch für falsch. Mit fast zehn Jahren Parteipolitik auf dem Rücken weiß ich natürlich, wie Parteitage funktionieren und wie man dort und im Vorfeld versucht Kompromisse zu erzielen bzw. Brücken zu Gruppen mit anderen Meinungen zu schlagen. Was aber vorgelegt wurde, zeigt für mich ein falsches Verständnis in diesem Politikfeld auf, grundsätzlich und nicht nur in Fachfragen. Im Folgenden versuche ich mich einmal am Text „abzuarbeiten“ und für mich offene Fragen, Kommentare und kritische Anmerkungen anzuführen.
Orginaltext Musterantrag jeweils kursiv:
Grundrechte wahren, Freiheit und Sicherheit stärken: Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform überarbeiten und differenziert betrachten
=> Das zeigt deutlich auf: der Antrag will eine Veränderung der bisherigen Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung (seit März 2010 als verfassungswidrig erklärt). Man hält grundsätzlich an der Kernidee der Vorratsdatenspeicherung, nämlich der anlasslosen Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten, fest.
Der Bundesparteitag möge beschliessen:
Die SPD setzt sich auf europäischer Ebene für eine grundlegende Überarbeitung der europäischen Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung ein. Ziel muss sein, eine differenzierte und verfassungskonforme Richtlinie zu erstellen und in deutsches Recht umzusetzen. Jegliche Art von Vorratsdatenspeicherung ist für die Sozialdemokratie ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und darf daher, wenn überhaupt, nur in engen Grenzen erfolgen. Als einzige Partei betrachtet die deutsche Sozialdemokratie die Vorratsdatenspeicherung differenziert, um die die unveräußerlichen Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu sichern, andererseits die Kriminalitätsbekämpfung für das 21. Jahrhundert zu rüsten.
=> Aha, die SPD setzt sich also als einzige Partei differenziert mit der Vorratsdatenspeicherung auseinander. Das man fünf Jahre nach Beschluss der Richtlinie immer noch keine abgeschlossene Meinung als Partei dazu hat, widerspricht dieser These. Wenn andere Parteien klare Positionen, positiv wie negativ, dazu formulieren, scheint das aus Sicht der SPD also nicht differenziert zu sein. Wie sooft reagieren die Sozialdemokraten auf Kritik, indem sie sie als „Fundamentalismus“ bezeichnen. Bei Freiheitsrechten bin ich gerne Fundamentalist. Zumal die SPD das Gesetz im Herbst 2007 in der Großen Koalition erst implementiert hat. Zynisch finde ich, dass man die europäische Richtlinie nur auf Deutschland bezieht. Verfassungsgerichtsurteile aus anderen EU-Ländern werden nicht betrachtet, die grundsätzliche Skepsis mit dem System Vorratsdatenspeicherung in anderen Ländern werden schlicht ignoriert. Ich frage mich, wieso man hier nicht das Ziel ausgibt, die Richtlinie ganz zurückzunehmen. Nur wenn man Ziele politisch formuliert, haben sie auch eine Chance. Wer von Anfang an Kompromisse macht, kann eigentlich nur verlieren.
Die sozialdemokratische Europa- und Bundestagsfraktion sowie die über den Bundesrat beteiligten sozialdemokratischen Funktionsträger in den Ländern, werden daher aufgefordert:
1. Auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass die Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung grundlegend überarbeitet wird: Es soll den Mitgliedsstaaten überlassen sein, ob sie Telekommunikationsanbieter zur Speicherung verpflichten (Kann-Regelung). Bei Beibehaltung einer europaweiten Verpflichtung ist die Maximalspeicherfrist von verdachtslos gespeicherten Daten auf sechs Monate, statt bisher auf zwei Jahre, festzulegen. Für sensible Daten wie beispielsweise Telefon-Verbindungsdaten sollte eine maximal auf wenige Tage beschränkte Speicherverpflichtung und hohe Zugriffshürden gelten. Bewegungsprofile durch Funkzellenauswertung dürfen generell nicht ermöglicht werden.
=> Für einen Antrag, der Konkretisierung einfordert, sind Formulierungen, wie „maximal auf wenige Tage“, nicht angebracht. Sind das jetzt drei Tage, sieben Tage, 14 Tage oder wie z.B. für den NRW-SPD-Innenminister, Ralf Jäger, vielleicht 30 Tage? Im Vergleich zur bisherigen Maximalmöglichkeit von zwei Jahren, können auch 30 Tage schnell als „wenige Tage“ verstanden oder interpretiert werden. Fast schlimmer finde ich aber, dass man bei einer Beibehaltung der Muss-Regelung die Maximalspeicherdauer von sechs Monaten, und sei es nur nur für bestimmte Daten, im SPD Gesprächskreis als akzeptabel anerkennt und damit verhältnismäßig findet. Ansonsten würde man es ja nicht schriftlich formulieren oder es gar als Kompromiss fordern, falls die gewünschte Soll-Regelung scheitert. Es wird keine Begründung geliefert, wieso IP-Daten weniger „sensibel“ sind als Telefondaten. IP-Adressen scheinen kein persönliches Datum für SPD Netzpolitiker zu sein.
2. Keine gesetzliche Regelung für eine Vorratsdatenspeicherung kann die Arbeit von Ermittlungsbehörden ersetzen. Die SPD setzt sich daher dafür ein, dass Polizei und Staatsanwaltschaften ausreichend personell sowie technisch ausgestattet sind, damit Straftaten – egal wo sie stattfinden – rasch aufgeklärt werden können. Dem technischen Fortschritt sollte mit umfangreichen Weiterbildungsinitiativen für Ermittlungsbehörden Rechnung getragen werden.
=> Jepp, das stimmt. Ist aber etwas allgemein gehalten, warum funktioniert es denn nicht schon heute?
3. Sich sowohl auf Bundes- als auch europäischer Ebene nur für solche Regelungen einzusetzen, die mit den Maßgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vereinbar sind. Darüber hinausgehend ist für die SPD eine Zustimmung zu einer Vorratsdatenspeicherung wenn überhaupt nur möglich, wenn folgende Anforderungen berücksichtigt werden:
=> Schön wäre hier eine Bewertung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gewesen. Die CDU behauptet ja auch, dass sie die Neufassung der Vorratsdatenspeicherung mit dem Urteil vereinbar machen wollen.
a) Der Abruf und die Nutzung der Verbindungsdaten darf nur bei Verdacht auf schwerste Straftaten erfolgen. Das sind insbesondere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung (Katalogstraftaten nach §100a StPO). Auskünfte für Ordnungswidrigkeiten sind auszuschließen.
b) Keinesfalls darf eine verdachtslose Speicherung von Funkzellen (Cell-IDs) bei Mobiltelefonen (Telefonverbindungen und mobiles Internet) stattfinden. Gleiches gilt für die Speicherung von E-Mail-Verbindungsdaten.
c) Die Beauskunftung von Anschlussinhabern anhand einer IP-Adresse kann als milderes und weniger eingriffsintensives Mittel zur Aufklärung von Straftaten genutzt werden. Dabei sollte ein Abruf jedoch nur innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen können.
=> Man streitet sich ja schon seit langem, was „angemessen“ bei der Vorratsdatenspeicherung ist. Wenn es für die Fraktionsarbeit im Bund und Europa wirklich eine Relevanz haben soll, muss man hier konkreter werde. Sonst hat jeder SPD-Hardliner in der Innenpolitik seine eigene Interpretation davon, was „angemessen“ ist oder er/sie dafür hält.
d) Eine Nutzung der Daten darf ausschließlich
für strafrechtliche, nicht für zivilrechtliche Auskünfte erfolgen.
e) Jeder Abruf von Vorratsdaten muss unter Richtervorbehalt stehen.
f) Es ist eine generelle Unterrichtungspflicht für die von einem Datenabruf Betroffenen aufzunehmen.
=> Mit welcher Frist dies geschehen soll, wird nicht gesagt. Auch eine Aussage darüber, ob es nach Ansicht des Gesprächskreis kostenlose Auskunftsrechte aller TelekommunikationsteilnehmerInnen geben soll, fehlt.
g) Für Berufsgeheimnisträger und andere Geheimnisträger (wie Journalisten, Abgeordnete, Rechtsanwälte, Priester, etc.) muss ein absolutes Verwertungsverbot gelten.
=> Haha, wie soll das stattfinden und funktionieren? Registrierung mit Journalisten- oder Abgeordnetenausweis beim Log-In im Internet? Ansonsten werden deren Daten trotzdem gespeichert und Geheimdienste können natürlich auch zugreifen, da bei denen eine andere Kontrolle herrscht. BerufsgeheimnisträgerInnen können mit diesem Vorschlag trotzdem in Überwachung und Kontrolle geraten. Menschen, die Seelsorgehotlines oder Whistleblower die Journalisten anrufen, sind trotzdem ausgeliefert, ihre Daten sind nachvollziehbar.Der Schutz dieser Berufsgruppen ist damit in digitalen Kommunikationsmedien nicht länger gewährleistet. Natürlich werden auch heute bestimmte Daten von solchen Berufsgruppen gespeichert, aber es gibt immer noch legale Alternativen, ISPs die nicht speichern, Prepaid Karten etc.
h) Die Bestimmungen zum technischen Datenschutz sind entsprechend den verfassungsgerichtlichen Vorgaben deutlich auszubauen. Dazu gehören namentlich eine getrennte Speicherung, die sichere Verschlüsselung von Daten, das Vier-Augen- Prinzip verbunden mit fortschrittlichen Verfahren zur Authentifizierung für den Zugang zu den Schlüsseln und eine revisionssichere Protokollierung von Zugriff und Löschung.
i) Der Bundesdatenschutzbeauftragte muss die Umsetzung sowie den laufenden Betrieb jederzeit kontrollieren können. Verstöße gegen den Datenschutz oder das Verbot der Datenabfrage müssen wirksam sanktioniert werden. Neben entsprechenden Bußgeldtatbeständen ist ein gesetzliches Beweisverwertungsverbot für zu Unrechte erlangte Auskünfte einzuführen.
j) Eine Erstattung der Kosten der Telekommunikationsanbieter zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung sind vorzusehen.
Da die Begründung vom Parteitag nicht beschlossen werden dürfte, äußere ich mich dazu erst mal nicht weiter.
Unklare Fragen sind für mich:
Sind Anonymisierungsdienste weiterhin legal nutzbar?
Welche Speicherdauer wird für IP-Adressen bei einer nationalen Umsetzung gefordert?
Müssen alle SIM-Karten registriert werden?
Welche Datenarten sollen wie gespeichert werden?
Gibt es nur eine Unterscheidung zwischen Telefon und Internet oder auch noch weitgehender.
Die Fragen mögen detailreich sein, aber in einer Partei die sich seit Jahren bei dem Thema streitet oder in die falsche Richtung läuft, wäre es an der Zeit, hier konkret zu werden Ansonsten vertritt jeder und jede anschließend eh was er oder sie will.
Meine oben genannte grundsätzliche Kritik zielt aber darauf ab, dass die Notwendigkeit solcher Speicherorgien in dem Text des vermeintlich noch am progressivsten SPD-Expertengremium im Bereich der Innen- und Netzpolitik gar nicht mehr hinterfragt wird. Es geht in dem Antrag anscheinend nur noch um das „Wie“ einer solchen anlasslosen Speicherung und nicht mehr um das grundsätzliche „Ob“. Da hatte ich ehrlich gesagt andere Hoffnungen, da es in der Vergangenheit auch andere Stimmen gab, die die Einführung einer solchen Praxis insgesamt hinterfragt und kritisiert haben. Die Kritik an Quick Freeze, die ansonsten im Umfeld dieses Antrags geäußert wird, teile ich nicht. Klar ist doch, dass dieser Vorschlag deutlich stärker in die Grundrechte eingreift und schwächt, als es das Quick Freeze-Verfahren tun würde. Mit diesen – elementaren – Fragestellungen wird sich innerhalb des Gremiums jedoch scheinbar gar nicht mehr auseinandergesetzt. Und, liebe Schreiberlinge, nur weil das Bundesverfassungsgericht etwas nicht für völlig verfassungswidrig erklärt hat, muss man es trotzdem nicht einführen, sondern kann auch sagen:„Nein, das ist der falsche Weg!“.Das hätte ich mir von Euch erhofft!
Ich erkläre hiermit meine Solidarität und biete Unterstützung für alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an, die „den Arsch in der Hose haben“, sich auf dem Parteitag im Dezember hinzustellen und einen Antrag einzubringen, der den Mechanismus der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ablehnt und auf dessen Ende und nicht dessen Änderung hinarbeitet. Dieser Antrag tut dies definitiv nicht.
[h2]Werde aktiv gegen die Vorratsdatenspeicherung![/h2]
Zeichne die Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung mit und komme am 10. September nach Berlin um bei der Freiheit statt Angst Demo mitzudemonstrieren.
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