Eine Anmeldung bei facebook-Konkurrent Google + ist bisher mit der in den AGBs verankerten Auflage verbunden, einen Klarnamen und nicht etwa ein Pseudonym zu verwenden. Mit facebook, das ebenfalls eine pseudonyme Nutzung ausschließt, stehen wir bereits seit Längerem in der Diskussion über diese Verpflichtung, die wir kritisch sehen.

Am heutigen Montag habe ich mich mit zahlreichen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in einem von Christoph Kappes initiierten Offenen Brief an google dafür ausgesprochen, dass das Unternehmen die bisherige Praxis auf den Prüfstand stellt und zukünftig auch eine anonyme Nutzung von google+ möglich macht.

In unserem gemeinsamen Brief haben wir noch einmal auf die bestehenden deutschen Gesetze hingewiesen. So sieht das Telemediengesetz explizit eine anonyme und pseudonyme Nutzung von Internetdiensten als ein elementares Recht der Nutzerinnen und Nutzer vor.

Und das aus gutem Grund: Anonymität im Netz erfüllt eine wichtige Schutzfunktion für die Nutzerinnen und Nutzer. Vor allem datenschutzpolitische Aspekte sind hier zu nennen:

Sicherlich wäre mancher Nutzer des Sony-Playstation- Netzworks froh gewesen, wenn er/sie sich als Max Mustermann oder Emily Erdbeere hätte anmelden können. So kann es keine Reaktion auf die jüngsten Datenschutzlecks sein, die Abschaffung von Anonymität und Pseudonymität im Netz zu fordern, wie es jüngst Innenminister Friedrich erst wieder getan hatte. Im Gegenteil: Die Stärkung sowohl anonymer als auch pseudonymer Anbgebote muss das Gebot der Stunde sein.

In unserem Brief haben wir Philip Schindler eingeladen, mit uns in einen Dialog einzutreten, um eventuelle Missverständnisse auszuräumen und sondieren zu können, welche Optionen es gibt, die bestehende deutsche Rechtslage doch noch umzusetzen.

Hier dokumentieren wir noch einmal den genauen Wortlaut des Offenen Briefes:

Google UK Ltd.
Vice President, Northern and Central Europe
Philip Schindler
SW1W 9TQ London

Deutschland, den 5. September 2011

Sehr geehrter Herr Schindler,

wir, die Unterzeichner, wenden uns heute an Sie wegen der Unternehmenspolitik Ihrer Muttergesellschaft Google Inc.

Die Nutzungsbestimmungen Ihres neuen sozialen Netzwerkes “Google +”, das wir für einen gelungenen Wurf halten und gerne nutzen, sehen in Ziffer 13 vor, dass Nutzern den “volle(n) Name(n), mit dem Sie normalerweise von Freunden, Familie und Kollegen angesprochen werden“ verwenden müssen. Nach dieser sog. Common Name Policy ist also jeder Name erlaubt, unter dem man allgemein bekannt ist. Nicht erlaubt ist ein kaum bekannter Künstlername, ein Allerweltsname “Peter Meier23” oder ein Pseudonym, so dass Ihr Dienst in diesen Fällen nicht genutzt werden darf, wenn die Identität des Nutzers unter diesem Namen nicht allgemein bekannt ist.

Wir unterstützen die Argumentation Ihrer Muttergesellschaft, dass diese Regelung das Kommunikationsniveau heben soll. In der Tat gehört es auch für uns zum guten Ton, dass man sich einander vorstellt und namentlich miteinander kommuniziert. Dieses Ziel wird jedoch durch Ihre Maßnahme kaum erreicht, da jedermann versuchen kann, unter einer Anscheins-Identität aufzutreten, deren Echtheit Sie mit gängigen Online-Verfahren schwer überprüfen können. Auch die Verhinderung von Spam erscheint uns als sehr schwaches Argument, da jeder Spammer versuchen wird, sich einen glaubwürdigen Echtnamen zu geben.

Aus unserer Sicht sind diese Argumente bei weitem zu schwach für eine derart schwerwiegende Begrenzung in der Nutzung.

Wir begrüßen es sehr, dass es schon lange für ein Google-Konto unter Ziff. 2 Ihrer Nutzungsbestimmungen heißt: “Die Nutzung der Dienste ist auch unter einem Pseudonym möglich.” Wir würden uns daher auch wünschen, dass Sie dieselbe Regelung für Google Plus gelten lassen. Zudem ist auch die Rechtslage in Deutschland zu beachten. § 13 Absatz 6 TMG lautet: “Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren.” Unsere Frage ist: Ist Ihnen die Bereitstellung mit pseudonymer Nutzung technisch nicht möglich oder nicht zumutbar?

Das TMG bringt klar zum Ausdruck, dass in der Sache seit Jahren durch den Gesetzgeber entschieden ist, was die hiesige Auffassung hierzulande ist: Dass nämlich die Nutzung eines solchen Dienstes grundsätzlich nicht an die Verwendung des echten Namens und auch nicht an einen Rufnamen gekoppelt sein soll, sondern pseudonym zu ermöglichen ist. Wir möchten Sie bitten, diese Entscheidung zu respektieren und darauf hinzuwirken, dass diese durch Ihre Muttergesellschaft eingehalten wird.

Wir glauben zudem, dass wir sehr gewichtige Argumente für unseren Standpunkt vorbringen können und möchten eindringlich an Sie appellieren, bei Ihrer Muttergesellschaft folgendes vorzutragen:

1. Wir sind uns darüber im Klaren, dass Pseudonymität nicht für jedermann Alltagsrelevanz aufweist. Sie erfüllt jedoch wichtige Schutzfunktionen: Menschen mit privaten Problemen aller Art, die sie nicht unter ihrem gesetzlichen Namen schriftlich besprechen können, sowie Personen des öffentlichen Lebens, die nicht immer öffentlich sein wollen, nutzen die Pseudonymität gleichermaßen wie Kinder, Lehrer und politische Akteure. Wir glauben zudem, dass in der weiteren konzeptionellen Entwicklung des Netzes auch und gerade der Schutz von Minderheiten und politisch Andersdenkenden, die sich nicht so frei wie wir artikulieren können, als maßgeblich herausstellen wird. Wenn die moderne Demokratie im Geiste Alexander Hamiltons den Schutz von Minderheiten vor Übergriffen der Mehrheit als ihren Kern definiert hat, dann sollten wir das Internet als Errungenschaft unserer demokratischen Gesellschaften nicht dahinter zurückfallen lassen.

2. Die Nutzung eines Pseudonyms ermöglicht es Bürgern, im Einzelfall und nach ihrem eigenen Dafürhalten eine Meinung frei artikulieren zu können, ohne Ächtung und Nachteile befürchten zu müssen. Dies ist essentiell für die freie Meinungsbildung in einer Demokratie. Es entspricht zudem auch der natürlichen Begegnung in der Realität, wo sich Menschen zunächst ohne Namensnennung begegnen und einander dann vorstellen, wenn sie selbst es für geboten halten. Ferner bietet die pseudonyme Nutzung Bürgern in totalitären Staaten gewissen Schutz vor Repressionen.

3. Ein Missbrauch ist zwar möglich, etwa durch Schmähungen und Beleidigungen. Ihm können aber durch Systemmaßnahmen (Meldeverfahren etc.) Grenzen gesetzt werden. Er ist im übrigen auch bei anderen Kommunikationsmitteln von Briefen bis zu Telefon und E-Mail nicht ausgeschlossen. Insbesondere Soziale Netzwerke sollten hier nicht hinter herkömmliche Kommunikationsmittel zurückfallen, wenn es keine zwingenden Gründe gibt: Wo jeder selbst entscheidet, wen er liest, ist auch die Reichweite von Missbrauch beschränkt.

Die Diskussion um die Nutzungsbestimmungen hält nun schon einen Monat an, ohne dass wir von Google Verbindliches über den weiteren Prozess gehört hätten. Wir hoffen natürlich, dass Sie sich angesichts der weltweiten Proteste in einer intensiven internen Diskussion befinden. Von außen ersichtlich ist es jedoch nicht, und daher bitten wir Sie um eine baldige Information, wo Sie in Ihrem Entscheidungsprozess stehen und welche Optionen Sie für gangbar halten. Sollten Sie sich schon entschieden haben, Ihre bisherige Linie nicht zu ändern, bitten wir Sie darum, uns die Gründe zu nennen. Wir möchten uns rational entscheiden können, ob wir Ihren Dienst weiter nutzen und wie weit wir ihn in unserem Kommunikationsverhalten im digitalen Raum berücksichtigen wollen. Diese Erwartung haben wir im übrigen auch an andere Netzwerke, insbesondere Facebook.

Wir laden Sie darüber hinaus herzlich zu einem Hintergrundgespräch ein, bei dem wir unsere Standpunkte austauschen können, eventuelle Missverständnisse ausräumen und auch sondieren können, welche vermittelnden Optionen es gibt.

Unseren Brief haben wir unter http://pseudonymmusssein.posterous.com/pseudonyme-auf-google-plus# veröffentlicht. Auf diese Weise sind Feedbacks vieler Internetnutzer für Sie gut auffindbar.

Mit freundlichen Grüßen

UnterzeichnerInnen des Briefes:

Dorothee Bär, MdB, CSU
Sascha Lobo
Markus Beckedahl, Digitale Gesellschaft e.V.
Nico Lumma
Teresa Buecker
Falk Lüke
Stefan Gehrke
Wolfgang Macht
Peter Glaser
Stephan Noller
Joachim Graf
Dr. Konstantin v. Notz, MdB, Bündnis 90/Die Grünen
Anke Gröner
Enno Park
Lars Hinrichs
Ingo Scholz
Manuel Höferlin, MdB, FDP
Jimmy Schulz , MdB, FDP
Christoph Kappes
Christiane Schulzki-Haddouti
Lars Klingbeil, MdB, SPD
Michael Seemann
Jürgen Kuri
Dr. Peter Tauber, MdB, CDU
Christiane Link
Stephan Uhrenbacher
Ulrike Langer
Jörg Wittkewitz

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