Deutsche Firmen exportieren Technikgüter, die der Unterdrückung und Zensur in autoritären und totalitären Staaten dienen können. Auch nach Syrien, wo sich die Lage weiterhin zuspitzt, wurden Güter geliefert, die für Unterdrückungsversuche gegen Demokratiebewegungen einsetzbar sind. Trotz unsereren Nachfragen und einem größer werdenden Interesse der Öffentlichkeit, drückt die Bundesregierung weiterhin beide Augen zu und verbessert nicht die Exportbestimmungen. Ein Zustand den wir Grüne nicht hinnehmen.
Die Demokratisierungswelle des „arabischen Frühlings“ hat auch die Debatte um die demokratiefördernde Wirkung des Internets neu entfacht. Im Zuge dieser Debatte, die jüngst auch vor dem Hintergrund der Diskussion um den Einsatz des „Bundestrojaners“ geführt wurde, sind auch solche Unternehmen verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, deren ins Ausland gelieferte Programme helfen, Kommunikation via E-Mail, in sozialen Netzwerken und in Blogs zu überwachen, zu kontrollieren oder gar ganz verstummen zu lassen sowie Dissidenten zu identifizieren, aufzuspüren und ihre Netzwerke zu durchdringen.
Seit langem fordern wir Grünen die Bundesregierung dazu auf, nicht länger die Augen vor diesen unethischen Geschäften zu verschließen, sondern endlich eine dringend gebotene Reform der überholten Rüstungsexportbestimmungen vorzunehmen und sich dafür einzusetzen, auch sogenannte „Dual-use-Güter“ und entsprechende Techniken zur Störung, Überwachung und Unterbrechung des Internet- und Mobilfunkverkehrs in die entsprechenden Bestimmungen aufzunehmen. Um den Druck auf die Bundesregierung noch einmal zu erhöhen und sie dazu zu bringen, sich mit den deutschen Firmen auseinanderzusetzen, die entsprechende Techniken in autoritäre und totalitäre Staaten liefern, haben wir vor kurzem eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Hier findet Ihr einen Blogbeitrag zu unserer Kleinen Anfrage.
Nach der Beantwortung dieser Anfrage wussten wir bereits, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung bislang offenbar nicht nur immer wieder beide Augen zudrückte, wenn es um den Verkauf entsprechender Programme ging, sondern den Export an autoritäre und totalitäre Staaten durch sogenannte Hermesbürgschaften auch aktiv unterstützt hat. Darüber hinaus wurde im Zuge weiterer Recherchen bekannt, dass das Bundeskriminalamt die Software FinSpy der in Fachkreisen bekannten Firma Gamma International GmbH „zu Testzwecken“ gekauft hat und derzeit prüft, ob sie „den technischen, rechtlichen und fachlichen Vorgaben und Erwartungen“ für Einsätze im Rahmen der Quellen-TKÜ genügt.
Sowohl angesichts der Ankündigung von Seiten der Bundesregierung, zukünftig die entsprechenden Programme vom BKA selbst entwickeln lassen zu wollen, aber auch hinsichtlich der Tatsache, dass wir heute wissen, dass exakt diese Software zumindest in Ägypten zur Überwachung und Unterdrückung demokratischer Proteste zum Einsatz kam und zu vermuten ist, dass Ägypten nicht das einzige Land der Welt ist, dass diese Software für die Überwachung der eigenen Bevölkerung und Zensur nutzte bzw. nutzt, ist es ein höchst bemerkenswerter Vorgang, wenn das Bundeskriminalamt mit derart zweifelhaften Firmen zusammenarbeitet und entsprechende Programme mit staatlichen Mitteln einkauft.
Die Bundesregierung sieht in dieser Praxis jedoch kein Problem. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage von mir vom 27. Dezember 2011 hat das Bundeskriminalamt die entsprechende Software „im Rahmen der üblichen Marktbeobachtung“ erworben und getestet. Wir erinnern uns: Im Oktober 2011 hatte Innenminister Friedrich entschieden, im BKA ein Kompetenzzentrum zur Entwicklung einer behördeneigenen Quellen-TKÜ-Software einzurichten und derartige Software künftig durch das BKA selbst entwickeln zu lassen. Dass BKA prüfe derzeit lediglich, „welche Software kommerzieller Anbieter für den Übergangszeitraum“ eingesetzt werden kann.
Selbst wenn man der Bundesregierung zugesteht, dass sie eventuell nichts von dem Einsatz der entsprechenden Programme in Ägypten wusste, da verschiedene Medien erst nach der Bestellung der Software zu Testzwecken von deren Einsatz berichteten, zeigen die Antworten der Bundesregierung auf verschiedene von mir zu dem Thema gestellten Parlamentarischen Fragen, dass sie auch in Kenntnis der problematischen Umstände ganz offenbar nicht gewillt ist, den Export entsprechender Techniken zu unterbinden.
Statt die Unternehmen, von denen wir heute wissen, dass sie entsprechende Techniken an autoritäre und totalitäre Staaten liefern, an die Kandare zu nehmen, hilft die Bundesregierung diesen Unternehmen durch Bürgschaften, ihre Überwachungstechniken zu exportieren. Darüber hinaus ist sich die Bundesregierung nicht zu schade, die gleiche Technik, die in diesen Staaten eingesetzt wurde und wird, selbst – wenn auch leicht modifiziert – einzusetzen.
Jetzt hat das ARD-Magazins „Fakt“ einen weiteren, interessanten Beitrag zu der Thematik ausgestrahlt, der sich direkt auch auf unsere Vorarbeiten bezieht. Dem Magazin liegen Beweise vor, nach denen deutsche Unternehmen Überwachungstechnik auch nach Syrien geliefert haben. Die Journalistinnen und Journalisten konnten nachweisen, dass erst Siemens, dann der Nachfolger Nokia Siemens Networks und schließlich auch das hieraus entstandene Nachfolgeunternehmen Trovicor entsprechende Techniken lieferten. Auch Ultimaco wird einmal mehr genannt. Das syrische Mobilfunkunternehmen Syriatel hat demnach von Siemens sogenannte „Monitoring Center“ erhalten. Während die Verantwortlichen bei Siemens mittlerweile die Lieferung nach Syrien bestätigten, wollten sich Vertreterinnen und Vertreter des Münchner Unternehmens Trovicor gegenüber den Journalistinnen und Journalisten zu den Vorwürfen nicht äußern.
Der Verdacht, dass deutsche Firmen nach Syrien lieferten, steht nicht erst seit gestern im Raum. Aus diesem Grund hatten wir auch bereits eine Woche vor dem Bericht von Fakt eine schriftliche Frage an die Bundesregierung gerichtet.
Ist der Bundesregierung bekannt, ob deutsche Unternehmen Technologien zur Störung von Telekommunikationsdiensten sowie Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs an die Arabische Republik Syrien geliefert haben und wurde der Bundesregierung der Export entsprechender Güter, z.B. von der Firma Trovicor, gemeldet?
In ihrer Antwort vom 2. April verweist die Bundesregierung auf die Syrien-Embargo-Verordnung (EU) Nr. 36/2012, die am 18. Januar 2012 in Kraft getreten ist und nach der der Export von Ausrüstung, Technologie und Software zur Überwachung des Internets und des Telefonverkehrs nach Syrien ohne vorherige Genehmigung ab sofort verboten ist. Von dem für Ausfuhrgenehmigungen zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) wurden seit Inkrafttreten dieser Bestimmungen keine Genehmigungen für Ausfuhren der genannten Güter nach Syrien erteilt. Eine Auswertung der letzten 5 Jahre habe zudem ergeben, dass dem BAFA auch für diesen Zeitraum keine Ausfuhren von Technologien zur Störung von Telekommunikationsdiensten sowie Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs nach Syrien gemeldet wurden.
Die Antwort der Bundesregierung suggeriert, dass man das Problem erkannt habe und nun endlich tätig werde. Tatsächlich war es jedoch die Europäische Union, die, nachdem der Druck bezüglich Syriens zu hoch wurde, entsprechende Embargos verhängt hat. Für andere Länder bestehen diese Regelungen weiterhin nicht.
Durch ihre Antwort macht die Bundesregierung zudem deutlich, wie zahnlos die bisherigen Regelungen sind. Den Export nach Syrien konnten sie nicht verhindern, schließlich hatte sich kein Unternehmen bei der BAFA gemeldet.
Heute wissen wir: Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat die Unternehmen, die entsprechende Techniken lieferten, bewusst durch Hermes-Bürgschaften unterstützt. Das Bundeswirtschaftsministerium lobt die entsprechende Techniken zudem werbewirksam in Broschüren. Darüber hinaus hat sich das Bundeswirtschaftsministerium auf europäischer Ebene, auch das war eine Erkenntnis unserer Kleinen Anfrage, wiederholt gegen eine Verschärfung der Exportbestimmungen eingesetzt.
Dies alles zeigt: Die Bundesregierung hat die Debatte um die entsprechende Technik nicht etwa verschlafen, wie Stephan Urbach auf SPON postuliert. Sie hat die seit langem von uns und anderen immer wieder thematisierten Erkenntnisse – ganz bewusst – ignoriert und sich darüber hinaus sogar gegen eine Verschärfung der entsprechenden Regelungen auf europäischer Ebene eingesetzt.
Seit langem fordern wir die Bundesregierung auf, die entsprechenden Regelungen endlich zu verschärfen. Geschehen ist nichts. Dabei ist es ein eklatanter Widerspruch, wenn Vertreter der Bundesregierung in Sonntagsreden immer wieder die demokratisierende Wirkung der Neuen Medien loben, gleichzeitig aber die Unternehmen dabei unterstützen, entsprechende Technik zu liefern, die im Stande ist, freie Kommunikation im Netz zu sabotieren und Facebook, Twitter und Co. verstummen zu lassen.
Eine Aussage, wie die der US-Außenministerin Clinton, die vor Kurzem ankündigte, Unternehmen, die entsprechende Techniken liefern, genauer unter die Lupe nehmen zu wollen, würden wir uns auch von der Bundesregierung wünschen. Spätestens nach Beantwortung unserer Kleinen Anfrage hat sich unser Verdacht bestätigt, dass die Bundesregierung nicht nur immer wieder beide Augen beim Export entsprechender Techniken zudrückt, sondern diese dreckigen Geschäfte sogar aktiv befördert. Leider mussten wir in den letzten Monaten die Erfahrung machen, dass die schwarz-gelbe Koalition Wirtschaftsinteressen vor den Schutz von Menschenrechten stellt. Die Bundesregierung hat immer wieder gezeigt, dass sie noch immer nicht Willens ist, hier endlich tätig zu werden.
Wir sind es leid, weiter abzuwarten. In Kürze werden wir Grünen daher einen Antrag vorlegen, in dem wir die Bundesregierung auffordern, die Exportbestimmungen für Güter, die der Unterdrückung und Zensur in autoritären und totalitären Staaten dienen können, endlich zu verschärfen. Dass die Bundesregierung trotz einer seit Monaten anhaltenden Diskussion nicht von selbst tätig wurde, ist ein Armutszeugnis in Sachen Menschenrechte und angesichts der schrecklichen Verhältnisse in einem Land wie Syrien skandalös.
Weiterführende Infos:
- Blogbeitrag Bundesregierung testet Spionagesoftware FinSpy als Ersatz für Bundestrojaner vom 11. Januar 2011
- Blogbeitrag Schriftliche Frage an die Bundesregierung zum Kauf von FinSpy durch das BKA vom 15. Dez. 2011
- Blogbeitrag Export von Überwachungstechnologie – Bundesregierung sendet fatales Signal an den Arabischen Frühling vom 8. November 2011.
- Kleine Anfrage zu Export deutscher Zensur- und Überwachungstechnik an autoritäre und totalitäre Staaten
- Blogbeitrag Dual Use: Exportkontrolle ohne Zähne von Reinhard Bütikofer vom 29. Nov. 2011
- Beitrag im Handelsblatt von Malte Spitz und Konstantin Notz „Freiheit des Internets: Wenn deutsche Technik Twitter verstummen lässt“ vom Februar 2011
- Grundsatzrede von US-Außenministerin Clinton “Internet Rights and Wrongs: Choices and Challenges in a Networked World” vom 15. Februar 2011
- Blogbeitrag von Malte Spitz zum Beschluss des Kleinen Parteitags vom 19. März 2011
- Beschluss Revolutionäre Veränderungen in Nordafrika und im Nahen Osten
- Liveblog Workshop Völker, hört die Tweets! Twitter, Blogs u. Menschenrechte beim Netzpolitischen Kongress. Volker Beck, Christian Rickerts (Reporter ohne Grenzen) und Hesam Misaghi (Committee of Human Rights Reporters)
- Blogbeitrag von Malte Spitz Welchen Einfluss hat die digitale Welt auf unsere Demokratie?
- Hinweis auf die Videoaufzeichnung einer im EP stattgefundene Diskussion über freie Meinungsäußerung im Netz
- Hinweis auf eine Podiumsdiskussion über Internetzensur in China mit Michael Anti
- Bericht von „Reporter ohne Grenzen“ anlässlich des Welttags gegen Internetzensur
- Bericht der OpenNet-Initiative zu Verwicklungen westlicher Firmen bei Zensurbestrebungen autoritärer und totalitärer Staaten
- Artikel „Exportschlager Zensur“ in der taz vom 1.April 2011
- Bericht von heise über die Diskussion im Europäischen Parlament vom 5. April 2011
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