Am vergangenen Wochenende tagte die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Medien- und Netzpolitik von Bündnis 90/Die Grünen in Düsseldorf und Köln. Während der Sitzung fasste die BAG u.a. einen Beschluss für einen öffentlichen-rechtlichen Rundfunk im 21. Jahrhundert, den wir an dieser Stelle noch einmal dokumentieren. Mehr Informationen über die Bundesarbeitsgemeinschaft Medien- und Netzpolitik findet Ihr auch direkt auf der Seite der BAG.

GRÜNE Vorschläge für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk im 21. Jahrhundert

Die vergangenen Jahre waren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in unserem Land nicht einfach. Nicht nur sinkende Quoten, auch die Talk-Show-Schwemme und teils schlecht produzierte Serien waren Anstoß für eine Debatte über die Qualität, die Rundfunkgebühren und die Legitimation des Systems insgesamt. Die Skandale beim Kinderkanal, bei MDR und NDR haben zudem den Eindruck vermittelt, dass teilweise Kontrollen und Aufsicht schlecht oder gar nicht funktionieren und manche Strukturen verkrustet sind.

Wir GRÜNE sagen eindeutig Ja zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir befürworten und fordern aber auch die notwendigen Reformen, Umstrukturierungen, Innovationen und eine neue Offenheit und Transparenz. Gerade in Zeiten von Konvergenz und Digitalisierung halten wir einen starken, inhaltlich umfassenden und auf drei Säulen (Radio, Fernsehen, Internet) aufgestellten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in unserem Land für unverzichtbar.

Da er über eine Abgabe (zurzeit noch als Gebühr, ab 2013 als Beitrag) finanziert wird, ist er weitestgehend unabhängig von einer marktwirtschaftlichen Refinanzierung. Er ist nicht angewiesen auf die Einschaltquoten der „werberelevanten Zielgruppe“ und muss auch Beiträge und Angebote für Gruppen in der Gesellschaft leisten, die sonst kein Gehör finden oder ausgeschlossen werden. Dies gilt u.a. für Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderungen oder solche gesellschaftlichen Gruppen, die medienspezifische Angebote benötigen, wie Kinder und Jugendliche.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 11. September 2007 u.a. erklärt:

„Davon unabhängige Überlegungen zur künftigen Struktur und Aufgabendefinition der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müssen die Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in programmlicher, technischer und finanzieller Hinsicht berücksichtigen.“ 1 BvR 2270/05 vom 11.9.2007

Diese Entwicklungsgarantie wollen wir auch zukünftig stärken, verbunden mit einer größeren Unabhängigkeit für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dieser Anspruch muss auch im technischen und inhaltlichen Bereich weiter mit Leben gefüllt werden. Dazu erwarten wir, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Visionen und Konzepte entwickelt.

Die Aufsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss zukünftig staatsferner ausfallen, als dies heute der Fall ist. Die Glaubwürdigkeit eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die ZuschauerInnen und Zuschauer, hängt auch an dessen Unabhängigkeit. Die „Causa Nikolaus Brender“ hat die aus der politischen Einflussnahme über den zu regierungsnah besetzten ZDF-Verwaltungsrat resultierenden Probleme nur zu deutlich gemacht. Die jetzigen Erkenntnisse über versuchte Einflussnahme auf Redaktionsinhalte bei ARD und ZDF durch VertreterInnen der CSU zeigt, welch falsches Verständnis teilweise noch vorherrscht, was die politische und redaktionelle Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betrifft.

Wir GRÜNE waren es, die die Normenkontrollklage in der Frage nach der staatsferne und einer stärkeren Unabhängigkeit vorangetrieben und damit die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich angestoßen haben. Auch wenn eine Entscheidung noch aussteht, so können die Bundesländer durch die Rundfunkgesetze eine stärkere Staatsferne in den Aufsichts- und Kontrollgremien schaffen, um damit glasklar zu machen, dass Programmentscheidungen und Personalbesetzungen frei von parteipolitischer Farbenlehre sind. Äußerst wichtig für die Legitimität von ARD, ZDF und Deutschlandradio ist daher, dass die Exekutivebene von allen Kontroll- und Aufsichtsgremien ausgeschlossen ist. Die Strukturen sollen nicht politikfrei sein, sondern staatsfern, damit Unabhängigkeit mehr als bisher gewahrt bleibt.

Diese Veränderung muss einhergehen mit einer Neuausrichtung der Besetzung der Aufsichts- und Kontrollgremien. Der Status Quo gehört auf den Prüfstand. Das Ziel muss sein, die tatsächlich relevanten gesellschaftlichen Gruppen des 21. Jahrhunderts abzubilden. So sind junge Menschen extrem unterrepräsentiert, auch bei der Besetzung mit Frauen herrscht weiterhin ein Ungleichgewicht. Um in diesen Bereichen voranzukommen und die notwendigen Umbrüche einzuleiten, fordern wir die Einführung einer Frauenquote von 50%. Wir fordern außerdem eine stärkere Beteiligung jüngerer Menschen. Auch wenn sich einige Landesrundfunkanstalten inzwischen für MigrantInnen geöffnet haben, herrscht auch hier noch ein Mangel an Repräsentanz.

Staatsferne gilt auch für die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). Bisher werden die Kommissionsmitglieder durch die MinisterpräsidentInnen benannt. Hier müssen wir eine staatsfernere Lösung finden. Zudem muss auf eine größere Diversität bei den Kommissionsmitgliedern geachtet werden (eine Frau unter 16 Mitgliedern), und auch die Zielvorgabe für die Anzahl von Mitgliedern aus unterschiedlichen Fachbereichen gehört evaluiert.

Eine echte Weiterentwicklung benötigt auch das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Frei vom Akzeptanzdruck sind die öffentlich-rechtlichen Sender nicht, denn auch ein Programm, das niemanden interessiert, steht unter permanenten Legitimationsdruck.

Vor allem ARD und ZDF müssen wieder mehr Mut beweisen. Innovative Unterhaltung sowie Information und Dokumentation sollte regelmäßig den Weg in die Prime-Time des Hauptprogramms finden und nicht vorrangig in Spartenkanälen „versauern“. Auch wenn es nicht nur Arte- oder ZDFneo-Formate im Ersten und Zweiten geben kann und soll, so muss die Unterscheidbarkeit zu den privaten Angeboten doch deutlich stärker im Hauptprogramm sichtbar werden – das gilt für alle Altersgruppen.

Im Radiobereich wird dieser Anspruch schon jetzt stärker erfüllt. Dieses Problem ist für uns aber ein Hinweis darauf, dass die Strukturen in vielen Anstalten zu eingefahren und in der Breite des Angebots innovationshemmend sind. Hier fordern wir die notwendigen Umstrukturierungen, um eine spürbare Entbürokratisierung und auch Einsparungen zu erreichen. Dies muss einhergehen mit einer neuen umfänglichen Transparenzkultur. Dazu zählt sowohl die Stärkung der Mitbestimmung innerhalb der Sender – z.B. bei der Besetzung von Führungspositionen oder durch das umfassende Einführen von Redaktionsstatuten – als auch durch eine Neufassung der Satzungen der Gremien, von denen immer noch zu viele hinter verschlossenen Türen tagen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine starke Säule unserer Demokratie. Umso wichtiger ist es, dass dem auch innerhalb der Anstalten Rechnung getragen wird. Bisher gibt es in den Anstalten viele Top-Down-Entscheidungen. Stärkere innerbetriebliche Demokratie könnte in den öffentlich-rechtlichen Sendern die Innovationsfähigkeit voran treiben und zu stärkerer Identifikation führen. Auch mehr wirtschaftliche Transparenz gegenüber unabhängigen ProduzentInnen und DienstleisterInnen ist dringend notwendig, es sollten vielmehr Formate öffentlich ausgeschrieben werden im Rahmen der Programmfreiheit. Voraussetzung ist aber, dass ein „equal treatment“ bei Bezahlung und Arbeitsbedingungen in den Verträgen festgehalten wird, dass nicht auf Kosten der MitarbeiterInnen, Produktionen von Dritten ausgeführt werden. Der Expansion der kommerziellen Töchter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind klare Grenzen zu setzen.

Als wichtigen Schritt hin zu diesen grundsätzlichen Veränderungen sehen wir den Aufbau eines neuen, ansprechenden Jugendsenders, getragen von ARD und ZDF. Für uns GRÜNE ist klar: Der Aufbau eines eigenständigen und ausfinanzierten Jugendsenders, der auf den Standbeinen Internet, Fernsehen und Radio basiert, sollte eines der zentralen Ziele des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in diesem Jahrzehnt sein.

Es geht um die zukünftige Akzeptanz und Stellung des öffentlichen Rundfunks in Deutschland.

Die Zeit drängt: In den nächsten drei Jahren sollte aus grüner Sicht die Idee eines Jugendsenders in die Realität überführt werden. Hier sehen wir ARD und ZDF in der Verantwortung, die Stärken aus beiden Sendefamilien zu bündeln und gemeinsam voranzugehen. Es wäre schwer vermittelbar, wenn ein Jugendsender kein Gemeinschaftsprojekt werden würde. Die Erfahrungen des ARD-Verbunds mit dem Aufbau der Radio-Jugendwellen, so wie die Erkenntnisse des ZDF bei der Etablierung und Profilierung neuer Fernseh-Digitalkanäle wie „ZDF Kultur“ oder „ZDFneo“ bilden dafür ein starkes Fundament.

Ein Jugendsender ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wir erachten es als angebracht, dass alleine für die Programmgestaltung 1% der Gesamteinnahmen aus den Rundfunkgebühren zur Verfügung gestellt wird. Damit soll die Voraussetzung geschaffen werden, dass der Jugendsender eine eigene starke Marke wird und nicht neben den bisherigen sechs Digitalkanälen als reiner Zusatz läuft.

Wir halten es für möglich, zwei der bisherigen Digitalkanäle in einen neuen Jugendsender zu überführen. Hierfür kommen am ehesten Sender mit ähnlichem Profil, wie „ZDFneo“, „ZDF KULTUR“, „EinsPlus“ oder „Eins Festival“, in Frage. Nicht zur Disposition stehen für uns Nachrichtenkanäle wie „Tagesschau 24“ oder „ZDF INFO“, da diese originäre öffentlich-rechtliche Aufgaben erfüllen. Hier wünschen wir uns eine noch stärkere Europäisierung der Berichterstattung – dies kann auch durch einen Beitritt von ARD und ZDF zu einem paneuropäischen Sender wie EURONEWS geschehen.

Wir sehen zudem die Notwendigkeit, dass die Verbreitung und der Empfang nicht nur digital erfolgen kann, sondern auch terrestrisch und mobil möglich sein muss, um von Anfang an so viele junge Menschen wie möglich zu erreichen. Der Aufbau des Jugendsenders muss von Beginn an auf drei Säulen aufbauen:

• einem umfassenden begleitenden und eigenständigen Online-Angebot mit möglichst kompletten Streaming-Rechten und innovativen Lizenzkonzepten.

• einer Begleitung und Einbindung in das Radio-Konzept.

• ein attraktives Fernsehangebot, das eigene Inhalte produziert, aber auch angemessene Inhalte einkauft.

Diese Neuaufstellung wird auch im Rahmen der Umstellung von der Gerätegebühr zum Rundfunkbeitrag notwendig. Deshalb waren und sind wir GRÜNE für eine Mediengebühr.

Das bisherige System hat bei der Entwicklung der Geräte nicht Schritt gehalten und damit Akzeptanzprobleme ausgelöst, die zu Ungleichbehandlungen führten. Außerdem fördert das bestehende System zunehmend Verwirrung, da nicht klar ist, wer welches Gerät wann anmelden muss. Mit der Rundfunkgebührenreform, die ab Januar 2013 in Kraft tritt, sind wichtige Schritte in die richtige Richtung gegangen worden. Dabei muss künftig verstärkt auf die Einhaltung des Datenschutzes geachtet werden. Wir treten für mehr Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung ein, die bereits vereinbarten Evaluationen werden wir kritisch begleiten. Wir sehen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Teil unserer digitalisierten Welt und stellen uns daher gegen die derzeitigen künstlichen Gängelungen und willkürlichen zeitlichen Restriktionen. Dadurch, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer zukünftig einen Beitrag zahlen, der sich durch das Programmangebot begründet – und nicht mehr pro Empfangsgerät, muss auch die Aufbereitung und Nutzbarkeit des Angebots neu ausgerichtet werden.

Deshalb muss es ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutsche Welle auch möglich sein, ihre Inhalte vollumfänglich online verfügbar zu machen. Wir fordern deshalb die umgehende Abschaffung der Depublizierungspflicht nach 7 Tagen und die Beseitigung künstlicher Hürden bezüglich Inhalt und der Form im Onlinebereich. Der rechtlich vorgeschriebene 3-Stufen-Test ist in seiner jetzigen Form zu starr und aufwendig. Diese Vorgaben und Regelungen blockieren Innovationen, führen zu massivem Unverständnis der ZuschauerInnen und schmälern gerade bei jungen Menschen die Akzeptanz für die öffentlich-rechtlichen Anstalten und den Haushaltsbeitrag. Wir brauchen mit dem Internet neben Radio und Fernsehen eine staatsvertraglich abgesicherte 3. Programmsäule für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Zur Grundversorgung gehört auch, dass die Brügerinnen und Bürger problemlos Zugang zu den Angeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhalten. Da immer mehr Hersteller und Anbieter mit proprietären Plattformen auf den Markt drängen, muss die vorrangige Auffindbarkeit von öffentlich-rechtlichen Inhalten gewährleistet und die Nutzung offener Standards und Schnittstellen auch dort verpflichtend gewährleistet sein.

Diese Veränderungen, hin zu einem starken öffentlich-rechtlichen Angebot auf allen geeigneten Plattformen im digitalen Zeitalter, sollen verbunden werden mit weiteren Projekten zur Öffnung und stärkeren Teilhabe an den Angeboten der Sender.

Wir GRÜNE haben das Ziel, dass die öffentlich-rechtlichen Archive frei zugänglich und nutzbar sind. Einmal publizierte Werke sollen für die Allgemeinheit ohne Einschränkung jederzeit abrufbar und nachnutzbar sein. Dabei dürfen die RedakteurInnen und freien MitarbeiterInnen der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht schlechter gestellt werden als heute. Es muss eine Grundlage geschaffen werden, die den UrheberInnen die Zweitvergütungsausfälle bei zukünftiger Nutzung ausgleicht. Die Anstalten und die VertreterInnen der freien MitarbeiterInnen sind dazu aufgerufen, nach einer Lösung zu suchen, die diesen Interessenausgleich gewährleistet. Um zudem eine Nutzung der Inhalte möglich zu machen, plädieren wir dafür, Inhalte unter Creative-Commons-Lizenzen offen zugänglich zu machen.

Zur Neuaufstellung und Stärkung der öffentlich-rechtlichen Sender im 21. Jahrhundert gehört auch die Werbefreiheit. Dies unterstreicht die wirtschaftliche Unabhängigkeit und dient auch der stärkeren Unterscheidung zu privaten Angeboten. Sponsoring sollte auf Kultur- und Sportveranstaltungen beschränkt bleiben, da hier in der Regel entsprechende Lizenzen für solche Sendungen nur als Paket mit Sponsoringverträgen erworben werden können.

Wir Bündnisgrüne wissen: Diese Reformschritte sind nicht von heute auf morgen umsetzbar. Sie sind vielmehr Vorschläge mit Blick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für die nächsten Jahre. Es geht darum, die Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland zu sichern – durch Modernisierung, Umstrukturierung und Öffnung. Hieran wollen wir GRÜNEN in der Medienpolitik, den Aufsichts- und Kontrollgremien und mit allen Interessierten weiter zusammen arbeiten.

Hier findet Ihr den Beschluss als PDF.

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