Der 3. Netzpolitische Kongress der Grünen Bundestagsfraktion 28. Oktober 2016 war ein voller Erfolg. Mit über 400 Gästen diskutierten wir wichtige ethische Fragen aktueller digitaler Entwicklungen. In einem Gastbeitrag des Berliner medienpolitischen Magazins pro media durfte ich über die Veranstaltung noch einmal Bilanz ziehen. An dieser Stelle dokumentieren wir den Beitrag, der in der Ausgabe 12/2016 erschienen ist.

FÜR EINE ETHIK DER DIGITALISIERUNG. BILANZ DES 3. NETZPOLITISCHEN KONGRESSES VON B90/DIE GRÜNEN

Seien es Robotik und Automatisierung in der Arbeitswelt, künstliche Intelligenz in der medialen Öffentlichkeit oder autonome Systeme in der Mobilität: Die Digitalisierung hat längst alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst. Wie können wir sie nach gemeinsamen ethischen Prinzipien politisch gestalten und ihre Potenziale ausschöpfen – ohne dabei Herausforderungen und Missstände zu negieren? Unter dieser Leitfrage diskutierte der 3. Netzpolitische Kongress der Grünen Bundestagsfraktion am 28. Oktober 2016 im Deutschen Bundestag mit über 400 Gästen in Workshops, Speed Datings und zahlreichen Debatten.

DIGITALISIERUNG GESTALTEN

So appellierte der Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter zu Beginn der Konferenz an die Gäste, die Digitalisierung aller Lebensbereiche nicht einfach über sich ergehen zu lassen. Es sei es eine der größten gesellschaftlichen und politischen Aufgaben des 21. Jahrhunderts, den technischen Fortschritt aktiv und in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen zu gestalten. Auch die Betreiber von Plattformen seien hier in der Verantwortung und dürften nicht tatenlos dem immer maßloseren Hass im Netz zuschauen. Genauso sah dies Sascha Lobo, der in seiner Video-Keynote fünf dringliche Handlungsfelder ausmachte: Das Fundament für die Digitalisierung sei die Infrastruktur. Beim Glasfaserausbau hänge Deutschland, genau wie beim E-Government, im internationalen Vergleich zurück. Das Grundprinzip eines demokratischen und innovationsfreundlichen Netzes sei die Netzneutralität, die unbedingt zu schützen sei. Sowohl bei der Zukunft der Arbeit als auch bei der sich entfaltenden Plattformökonomie brauche es eine anpackende Bundesregierung und die richtigen politischen Weichenstellungen. Die Debattenkultur im Netz zu pflegen und dem aufkeimenden Hass im Netz demokratisch entgegenzutreten, sei wiederum die drängendste Aufgabe.

HASS UND HETZE ENTGEGENTRETEN

In einem starken Appel rief Kübra Gümüşay in ihrem Lightning Talk ebenfalls zu mehr Mut zu wohlwollendem Streit auf, über den die konstruktive Debatte im Netz zurückzugewinnen sei.Hass im Netz sei einerseits Abbild unserer Gesellschaft und zugleich Vorbote dessen, was uns im realen Leben erwarte. Als Gesellschaft müsse man sich diesem organisierten Hass mit aller Entschlossenheit entgegenstellen – genauso wie die Bundesregierung, die bis heute bei der Bekämpfung klar strafbarer Meinungsäußerungen im Netz den – die eindeutige deutsche und europäische Rechtslage noch immer ignorierend – Unternehmen eine folgenlose Frist nach der anderen setzt und sich damit mittlerweile nur noch lächerlich macht.

MORAL NICHT AN MASCHINEN OUTSOURCEN

In ihrer Keynote fragte sich die Vertreterin der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation, Jillian York, welches Menschenbild bei der technologischen Entwicklung angelegt werde. Technische Entwicklungen seien immer Ausdruck der gesellschaftlich dominanten Normen. Da die Algorithmisierung tief in alle Lebensbereiche hineinwirke, müsse transparent und überprüfbar sein, wer welchen Code wie einsetzt. So dürften wir uns nicht von der Idee leiten lassen, dass gesellschaftliche Probleme per se technisch zu lösen seien. York sprach sich für das Grundprinzip aus, moralische Entscheidungen niemals an Maschinen zu delegieren und dies gesetzlich klarzustellen.

TRANSPARENZ UND KONTROLLE VON ALGORITHMEN

Nach einer Lesung von Volker Strübing über die kleinen und großen Herausforderungen an der Kante von Analog und Digital folgten weitere Vorträge: Prof. Eric Hilgendorf legte anhand eindrucksvoller Beispiele selbstfahrender Autos dar, auf welchen ethischen Fundamenten rechtliche Entscheidungen über Leben und Tod bei automatisierten Systemen fußen müssten. Matthias Spielkamp stellte ein Projekt vor, mit dem Nutzerinnen und Nutzer Transparenz und Kontrolle über Algorithmen (zurück)gewinnen können. Google-Vicepresident Nicklas Lundblad und Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Club stritten hoch kontrovers aber fair darüber, wie Plattformanbieter dazu gebracht werden können, über die Verfahren und Methoden ihrer Software Auskunft zu geben.

DIE ROLLE DES STAATES IM DIGITALEN

Die Verhältnismäßigkeit von staatlichen Überwachungsmaßnahmen, die Bedeutung von Verschlüsselungsmechanismen und die Freiheit im Netz, kurz die Rolle des Staates im Digitalen waren Themen der Debatte von die ich mit Klaus Vitt, dem Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik, führen durfte. Während Klaus Vitt die Bemühungen der Bundesregierung zur Erhöhung der IT-Sicherheit skizzierte und unter anderem auf das IT-Sicherheitsgesetz veriwes, betonte ich, dass weder das neue BND-Gesetz, das verfassungsrechtlich hoch bedenkliche Praktiken schlicht legalisiert, noch der Aufbau einer Bundesbehörde zur Umgehung von Verschlüsselungstechnologien (ZITIS) dem staatlichen Auftrag entsprechen, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Stattendlich die Ärmel hochzukrempeln und den Grundrechtsschutz sicherzustellen, stellt man Prinzipien wie die Datensparsamkeit derzeit offen in Frage und setzt weiterhin auf unzureichende IT-Standards statt innovativer Datenschutzkonzepte. Vertrauen in die wichtigste Infrastruktur unserer Zeit entsteht so nicht.

NETZPOLITISCHE KOMPETENZ BÜNDELN

Deutlich wurde erneut: Insgesamt ist die IT-Politik der Bundesregierung bis heute hoch widersprüchlich. Dies liegt vor allem daran, dass innerhalb der Bundesregierung jede/r sein eigenes netzpolitisches Süppchen kocht und Ministerien statt miteinander lieber gegeneinander arbeiten. Zentrale digitalpolitische Entscheidungen werden so blockiert. Eine netzpolitische Kompetenzbündelung ist überfällig. Die Netzpolitik gehört an den Kabinettstisch. Wir brauchen endlich klar Zuständigkeiten und eine Digitalstrategie aus einem Guss. Hierbei müssen die ethischen Fragestellungen, vor die uns das Internet und die Digitalisierung heute stellen und über die wir auf unserem Kongress diskutierten, entschlossen angegangen werden. Vor dem Hintergrund, dass eine Trennung schon heute kaum noch möglich ist, müssen wir in der realen Welt mühsam erkämpfte Grundrechtsschutzstandrads auch in der digitalen Welt verteidigen. Tun wir dies nicht, werden wir sie auch andernorts verlieren.

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