Vor Kurzem haben die europäischen Regulierer erste Ergebnisse einer Studie vorgelegt, die zu dem Schluss kommt, dass zahlreiche Telekommunikationsfirmen gegen das Prinzip eines freien und offenen Internets und der Netzneutralität verstoßen. Wir hatten ausführlich über die Studie und deren Inhalt berichtet. Vor dem Hintergrund der aktuellen Studie und der vorab in Kurzform präsentierten Ergebnisse hatte ich die Bundesregierung im Rahmen der letzten parlamentarischen Fragestunde gefragt, ob sich an ihrer Position bezüglich der Notwendigkeit, hier gesetzgeberisch tätig zu werden, etwas verändert hat. Durch ihre Antwort zeigt die Bundesregierung einmal mehr, dass ihr die Wahrung der Netzneutralität kein so wichtiges Anliegen ist, wie sie gerne suggeriert.
Vetreterinnen und Vertreter der Bundesregierung tun immer wieder so, als hätten nicht zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von Bürgerrechts- und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, aus der Wissenschaft und nicht zuletzt aus der Opposition immer wieder auf die mangelnde Transparenz und die nicht absehbaren Folgen des ACTA-Abkommens gewarnt. Fernab der Tatsache, dass die Bundesregierung durch zahlreiche parlamentarische Initiativen der Oppositionsfraktionen des Bundestages mehrfach auf die verschiedenen Problematiken des ACTA-Abkommens aufmerksam gemacht wurde, hat auch der Bundesrat bereits im Frühjahr 2010, also gut zwei Jahre vor der Entscheidung der Bundesregierung, die ACTA-Ratifizierung zunächst auf Eis zu legen, in einer umfangreichen Entschließung auf die Unzulänglichkeiten des Abkommens aufmerksam gemacht. Vor diesem Hintergrund noch immer zu behaupten, man habe keine Kenntnis bezüglich vorgebrachter Kritik gehabt, ist ein starkes Stück.
Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung gibt es - nicht nur innerhalb der schwarz-gelben Koalition - eine intensive Diskussion um dieses Mittel der Strafverfolgung, seinen Nutzen und die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme, die insofern einen rechtsdogmatischen Dammbruch darstellt, als dass die Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger verpflichtend anlasslos und verdachtsunabhängig auf Vorrat gespeichert werden. Gerade hat die Europäische Kommission Deutschland eine letzte Frist gesetzt, die bestehende Richtlinie umzusetzen. Der Zeitpunkt dieser Fristsetzung überasscht aus meheren Gründen. Nun wurde bekannt, dass sich Innenminister Friedrich, der innerhalb der Bundesregierung eigentlich nicht die Federführung in Sachen Vorratsdatenspeicherung innehat, ein Schreiben an die Europäische Kommission verfasst hat, in dem er die "Nichtumsetzung" bemängelt. Zu dem Schreiben des Innenministers und möglichen Auswirkungen hat Konstantin eine parlamentarische Frage an die Bundesregierung gerichtet.
Morgen wird Staatssekretär Dr. Max Stadler aus dem Bundesministerium für Justiz im Unterausschuss Neue Medien sein, um den Abgeordneten Rede und Antwort zum Leistungsschutzrecht zu stehen - leider in einer nichtöffentlichen Sitzung. Wir sehen ein Leistungsschutzrecht für Verlage sehr kritisch. Die Bundesregierung hat zwar betont, dass lediglich gewerbliche Angebote wie News-Aggregatoren zahlen sollen. Aber schon hier stellen sich viele Fragen: Was sind news-Aggregatoren genau? Zahlen nur sie? Oder alle gewerblichen Anbieter? Wo soll die Grenze zwischen privaten und gewerblichen Angeboten im Netz verlaufen? Ist ein Blog mit journalistischen Inhalten gewerblich oder privat, wenn über einen flattr button gespendet werden kann? Wenn schon ein solches Angebot unter gewerblich fallen würde, hätte das enorme Konsequenzen für die Vielfalt im Netz. Und was genau der Schutzgegenstand des Leistungsschutzrechtes eigentlich sein soll, ist auch noch unklar. Offenbar scheint sich die Koalition da selbst nicht einig.
Die Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung hat bereits im September 2011 das für die öffentliche Beratung im Petitionsausschuss notwendige Quorum von 50.000 Mitzeichnungen erreicht. Alle Oppositionsfraktionen hatten die Koalition aufgefordert, dem Willen der Bürgerinnen und Bürger nachzukommen und die Petition öffentlich zu beraten. Das von der Petition ausgehende Signal ist unmissverständlich: Die Bürgerinnen und Bürger lehnen die pauschale Überwachung ihrer Kommunikation ab. Sie wollen nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Die schwarz-gelbe Koalition weigert sich nunmehr zum dritten Mal, eine von über 65.000 Bürgerinnen und Bürger mitgezeichnete Petition gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung öffentlich zu beraten. Die schwarz-gelbe Koalition will offenbar kaschieren, dass sie in Sachen Vorratsdatenspeicherung höchst zerstritten ist. Es ist inakzeptabel, dass Union und FDP ihren Streit auf dem Rücken engagierter Bürgerinnen und Bürger austragen.
Der schwarz-gelbe Koalitionsausschuss hat vor Kurzem die Absicht erklärt, ein sogenanntes Leistungsschutzrecht für Verlage einführen zu wollen. CDU/CSU und FDP geben vor, das Urheberrecht im Internet zu verbessern. Tatsächlich tut die schwarz-gelbe Koalition hierfür rein gar nichts. Den seit Jahren angekündigten dritten Korb einer dringend benötigten Urheberrechtsreform, der groß als „Wissenschaftskorb“ angekündigt war und tatsächliche Verbesserungen für Viele bringen könnte, schiebt sie weiter auf die lange Bank. Ob der Korb in dieser Legislaturperiode überhaupt noch kommt, ist mittlerweile mehr als fraglich. Nun wird das Leistungsschutzrecht als Heilbringer propagiert.
Gestern hatte die Süddeutsche Zeitung darüber berichtet, dass die Europäische Kommission heute Deutschland eine letzte, vierwöchige Frist vor Aufnahme des Klageverfahrens gegen die Bundesrepublik wegen Nichtumsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung setzt. Die bisherige Linie der EU-Kommission ist alles andere als überzeugend: Zum jetzigen Zeitpunkt gerichtlich gegen die Bundesrepublik Deutschland vorgehen zu wollen, ist angesichts der für den Sommer angekündigten grundlegenden Überarbeitung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeichnerung Symbolpolitik mit der Brechstange. Die Europäische Kommission wäre gut beraten, zunächst die eigenen Hausaufgaben zu erledigen. Statt die dringend benötigte EU-Datenschutzreform weiter zu torpedieren, wie es derzeit Minister Friedrich tut, muss sich die Bundesregierung endlich für eine Rücknahme der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene einsetzen und die Bürgerinnen und Bürger so vor einem weiteren Ausverkauf ihrer verfassungsrechtlich garantierten Rechte über die europäische Ebene bewahren.
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