Mit Spannung wurden die 14 Thesen von der Netzgemeinde erwartet, sollen diese doch die zukünftige Richtung der Regierung im Bereich Netzpolitik vorgeben. Auf der Homepage des Ministeriums konnten Bürgerinnen und Bürger in einer Abstimmung die einzelnen Punkte bewerten. Das bisherige Ergebnis ist jedoch durchwachsen: Neben vielen allgemein gehaltenen Punkten, denen man schwer die Zustimmung versagen kann, fanden sich auch viele Punkte, welche von den Bürgerinnen und Bürgern als Rückschritt bewertet werden.

 

These1: „Bewusstsein für gemeinsame Werte schärfen“

Mit der Forderung nach der Etablierung von Werten wie Chancengleichheit und Solidarität kann man immer punkten. Doch nicht ausreichend durch rechtlichen Rahmenbedingungen gestärkte und mit Sanktionen bewehrte Regulierungsmaßnahmen verpuffen schnell, wenn es um konkrete Problemstellungen geht. Daher ist die erste Forderung zwar durchaus richtig, jedoch fehlt ein konkreter Anknüpfungspunkt für die Frage nach der Umsetzung – die beispielsweise durch eine Förderung der Medienkompetenzvermittlung an Schulen stattfinden könnte.

 

These 2: „Rechtsordnung mit Augenmaß weiterentwickeln“

Mit dem von de Mazière gewünschten technikneutralen Ansatz für zukünftige Gesetze greift er eine von Seiten der Bundes- und Landesdatenschutzbeauftragten bereits oft – und bisher vergebens – gestellte Forderung auf. Jedoch verweist er darauf, dass vorerst auf bestehendes Recht – das gerade wegen seines Stückwerkcharakters und oftmaligem Einzelfallbezug kritisiert worden ist – zurückgegriffen werden soll.

Dies widerspricht auch der anschließenden Forderung nach einer besseren internationalen Koordination von Recht und Regulierung. Denn eine internationale Ausrichtung der deutschen Netzpolitik ist derzeit – wenn überhaupt – nur rudimentär vorhanden und könnte nur durch ein Umdenken und eine radikale Abkehr von den bisherigen Verfahren gestärkt werden.

 

These 3: „Freie Entfaltung im Netz und Ausgleich zwischen kollidierenden Freiheitsrechten Privater ermöglichen “

„Die freie Entfaltung der Persönlichkeit im Internet lässt sich jedoch nicht durch das klassische Datenschutzrecht im Sinne eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt begrenzen. “, so de Mazière. Statt dessen fordert er eine stärkere Anwendung sozialer Regeln und appelliert an den guten Willen. Kritiker merken daher an, dass man ja auch nicht den Straßenverkehr mit dem Knigge regeln möchte und das Internet kein datenschutzrechtsfreier Raum werden dürfe.

 

These 4: „Selbstbestimmung und Eigenverantwortung stärken“

Die hier angesprochene Aufklärung und Selbstkontrolle der Nutzerinnen und Nutzer kann nur auf einem Fundament ausreichender gesetzlicher Rahmenbedingungen stattfinden, der leider nicht weiter erläutert wird. In jedem Falle ist eine Vereinfachung des Auskunfts- und Widerspruchsrecht ebenso wie die Stärkung der Rechte der User an den eigenen Daten zu begrüßen – wenn sie denn auch endlich umgesetzt werden und somit den blumigen Worten endlich Taten folgen.

 

These 5: „Anonymität und Identifizierbarkeit abwägen“

Das Recht auf unbeobachtete Kommunikation ist aus Sicht des Innenministers kein wichtiger Bestandteil freiheitlich verfasster Demokratien. Denn auch wenn „wichtige Rechtsgeschäfte“ bekannter „Gläubiger und Schuldner“ bedürfen, so de Mazière, sieht er in der Anonymität des Internets anscheinend eher eine Bedrohung statt es als Nährboden für Meinungsfreiheit zu betrachten. Er möchte daher auch das Internet in unterschiedliche Bereiche (privat, öffentlich und sozial) einteilen, um – falls der User Anlass dazu gibt – eine Identifikation zu ermöglichen. Um dies umsetzen zu können bedarf es einer gewachsenen Kontroll- und Regulierungsstruktur mit gewaltigem bürokratischen Überbau. Es sei denn, man geht wieder zu einem pauschalen Generalverdacht gegen alle Bundesbürgerinnen und Bürger über – und führt ganz im Sinne von de Mazière und seinen Kollegen von der Unionsfraktion – die Vorratsdatenspeicherung wieder ein. „Er erweckt den Anschein, als würde er sich sein eigenes Internet backen wollen. Doch eine Absage an die Anonymität im Internet würde einen Paradigmenwechsel einleiten, der dringend verhindert werden muss.“, bringt es Malte Spitz vom Bundesvorstand der Grünen treffend auf dem Punkt. Datenschützern und Bürgerrechtlern dürfte dieses de Mazière’sche Internet daher wohl völlig zu recht auf den Magen schlagen.

 

These 6: „Verantwortung zwischen Anbietern und Nutzern gerecht aufteilen“

Laut de Mazière sollte in „Bezug auf die „Verkehrssicherheit“ eine Gefährdungshaftung mit Exkulpationsmöglichkeit oder Beweislastumkehr in Betracht gezogen werden. Bei Berücksichtigung anerkannter Sicherheitsstandards oder zertifizierter Verfahren, etwa bei elektronischen Identitäten, könnte diese Haftung reduziert werden.“

Die E-Card-Strategie der Bundesregierung soll somit durch rechtliche Anreize untermauert werden, wodurch Unternehmen zur Anwendung der Zertifizierungsverfahren der durch den Trustcenter e.V. – die Mitgliedsliste liest sich im übrigen wie das Gruselkabinett des Datenschutzes – vereinbarten Standards bewegt werden sollen. Die Sicherheit und vor allem aber auch die Kostenfrage der neuen elektronischen Ausweisdokumente haben in den letzten Jahren für viel Kritik gesorgt. Auch sind derartige Verfahren mit Kosten – sowohl auf Nutzer- als auch auf Anbieterseite verbunden. Malte Spitzs Betrachtung hierzu ist daher wie folgt: „Ein Internet, in dem man sich vorher mit seinem Ausweis anmelden muss, in dem Internetdienstleister eine Erlaubnis beantragen müssen, ist nicht das Internet, das wir nutzen wollen.“ – anscheinend ist dies jedoch das Netz, von dem unser Innenminister träumt. Ein Alptraum für Bürgerrechtler und Datenschützer.

 

 

These 7: „Staatliche Grundversorgung sicherstellen“

Der Zugang zum Internet ist zu einer wichtigen Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe geworden. Auch de Mazière möchte, dass das „Internet flächendeckend zur Verfügung steht und sichere Basisdienste bereitgestellt werden “, ohne jedoch durch übermäßige Regulierung die Innovationsfähigkeit des Internets zu gefährden. Gerade vor dem Hintergrund dieser Forderung erscheint einer Neubewertung der – mit dem laut dieser These de Mazières gerade eben nicht beabsichtigten – zunehmend überbordenden Regulierung des Netzes durch den Staat mehr als angebracht. Datensicherheit ist zugegeben ein wichtiges Feld. Die Bereitstellung von dringend notwendiger Infrastruktur, um eine Partizipation breiter Bevölkerungsschichten am Netz zu ermöglichen, sollte jedoch im Vordergrund stehen, bevor man Miliardenprojekte zur Datensicherheit umsetzt, deren Nutzen wohlbemerkt noch nicht bewiesen ist. Staatliche Regulierung darf das Innovationspotential des Internets nicht unterschätzen – auch in Punkto Datensicherheit.

 

These 8: „Die gesamte Bandbreite des Ordnungsrechts nutzen“

Behördliche Warnungen, Veröffentlichungen und behördliche Kontrollen können ein sinnvolles Instrument sein, um mit Hilfe der öffentlichen Aufmerksamkeit auf Unternehmen einzuwirken. Allein das Beispiel Facebook hat gezeigt, dass parteiübergreifende Initiativen durchaus auch Quasi-Monopolisten zum umdenken bewegen können. Jedoch muss berücksichtigt werden, dass trotz allem noch die Unschuldsvermutung gilt und es nicht sein kann, dass Unternehmen – obwohl sie nach geltendem Recht handeln – an den öffentlichen Pranger gestellt werden, um eine Verhaltensänderung zu bewirken. Diese Aufgabe nehmen schon jetzt unabhängige Institute, Vereine und NGOs wahr.

Es stellt sich somit die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, die „harten“ Instrumente der Regulierung in Form von wirksamen Gesetzen endlich an die Erfordernisse der zunehmend digitaleren Gesellschaft anzupassen. Denn mit verbindlichen Regeln agiert der Staat nicht länger als Bittsteller gegenüber unangemessenen Geschäftspraktiken von Internetunternehmen. Es ist sehr zuvorkommend von unserem Herren Innenminister, dass er Unternehmen vor rechtlichen Schritten warnen möchte. Fraglich ist jedoch, ob die jeweiligen Behörden durch eine überzogene Nutzung dieser „weichen“ Instrumente nicht auch ein Stück weit an Durchsetzungskraft verlieren würden.

 

These 9: „Auf bewährte Eingriffsbefugnisse zurückgreifen“

De Mazière greift in dieser These den allseits bekanntn Mythos vom rechtsfreien Raum Internet auf. „Der Staat muss sich dabei am milderen Mittel und den Eingriffsbefugnissen der realen Welt orientieren. “ – was dies genau bedeuten kann wird dem interessierten Leser leider nicht mitgeteilt. Angesichts der Affäre um die Onlinedurchsuchung ohne Richtervorbehalt in NRW, der Entwicklung eines VoIP-Abhör-Tools durch bayrische Behörden und anderen nicht ganz so milden Mitteln, die in der „realen Welt“ deutlich das übliche Maß der staatlichen Eingriffsbefugnisse überschritten haben…. sollte man in derartige Versprechungen nicht allzuviele Hoffnungen investieren.

 

 

These 10: „Realistische Erwartungen an die Sicherheitsbehörden formulieren und ihre IT-Kompetenz verbessern “

Die Qualifikation und Ausstattung von Ordnungs- und Sicherheitsbehörden lassen derzeit noch zu wünschen übrig. Daher kann man eine Verbesserung des Zugangs zu Fachkräften und Technik – sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Sicht – nur befürworten. Der Staat sollte sich tatsächlich nur auf Maßnahmen beschränken, die in der „digitalen Welt“ wirklich umgesetzt werden können. Kritiker sehen gerade in diesem Themenbereich noch einen deutlichen Nachbesserungsbedarf. Die viel zu leicht umgehbaren DNS-Sperren zur Bekämpfung von dokumentiertem Kindesmissbrauch im Rahmen des Gesetzesentwurfs aus den Reihen der Unionsfraktion ist nur eines von vielen Beispielen für ineffektive Maßnahmen. Wenn den Polizeibehörden genügend Mittel und Personal bereitgestellt werden würde, um Kindesmissbrauch efektiv bekämpfen zu können – sowohl mit „realen“ als auch „digitalen“ Mitteln – wäre viel getan. Und das auch noch ganz ohne eine Infrastruktur für Zensur aufzubauen.

 

 

These 11: „Technologische Souveränität wahren“

Den Ausspruch des Unionspolitikers de Mazière, Deutschland müsse seine eigene IT-Infrastruktur stärken, um Abhängigkeiten zu vermeiden, möchte man aus gutem Grund mit einem ungläubigen Schmunzeln quittieren. Denn noch immer hängen weite Teile der staatlichen Behörden an bekannten Monopolen im Hard- aber auch Softwarebereich. Freie Software ist in den meisten Behörden ein Fremdwort, wie erst kürzlich die kleine Anfrage der sächsischen grünen Landtagsfraktion zeigte. Das Beharren auf „nationalen Kernkompetenzen“ darf nicht auf Kosten der freien Entfaltung der IT-Industrie geschehen und die Bundesregierung darf sich nicht zum Spielball einzelner Unternehmen machen lassen, denen sie die Wahrnehmung dieser „Kernkompetenzen“ überträgt. Technologische Souveränität durch die Nutzung offener Standards und Freier Software – sollte daher die Devise lauten.

 

 

These 12: „Online-Angebote nutzerorientiert und kostengerecht ausbauen“

Die Teilhabe an demokratischen Prozessen kann durch neue Medien deutlich gestärkt werden. Online-Petitionen sind dabei nur der erste Schritt. Geradezu sarkastisch wirkt daher auch hier die Forderung de Mazières nach einer Stärkung dieser Instrumente. Denn die bisher erfolgreichste Petition – jene gegen Internetsperren – wurde von der Union als nicht aussagkräftig abgetan. Und das trotz der weit mehr als 134.000 Unterstützer.

Der Staat müsse laut de Mazière auch von „Fall zu Fall entscheiden, ob und in welchem Maße die Kosten für ein Online- Angebot vom Nutzer oder von der Allgemeinheit getragen werden soll. “ Es bleibt daher nur zu hoffen, dass staatliche Bezahl-Dienstleistungen die Ausnahme bleiben und nach wie vor die Möglichkeit einer analogen kostenfreien Nutzung bestehen bleibt. Denn kostenpflichtige Angebote stellen eine ökonomische Hürde für die – an anderer Stelle doch aus dem gleichen Munde geforderte – Verbreiterung der Partizipation der Bürgerinnen und Bürger durch das Medium Internet dar, welche de Mazière doch eigentlich stärken wollte…

 

 

These 13: „Elektronische Behördendienste am Nutzen ausrichten“

In den Bundesbehörden existiert tatsächlich noch viel Raum für die Ausnutzung von Einspar- und Optimierungspotentialen. Ob elektronische Datenverarbeitung und Onlineangebote diese jedoch in jedem Fall ausschöpfen können, müsste von Fall zu Fall entschieden werden. Zumindest der zu Beginn diesen Jahres eingeführte Elektronische Entgeltnachweis erfüllt eben diese Bedingung nicht. Auch vor dem Hintergrund der verpflichtenden Teilnahme am ELENA-Verfahren erscheint die Forderung des Innenministers nach einer Offenhaltung der herkömmlichen oder auch analogen Behördenwege für die Bevölkerung irgendwie hohl. Er geht gerade an diesem wichtigen Punkt mit keinem Wort auf Erfordernisse bezüglich des Datenschutzes in und durch staatliche Behörden ein. Dabei ist das angesichts zunehmender Digitalisierung von Behördendiensten eine dringende Frage unserer Zeit, die endlich zufriedenstellend beantwortet werden sollte.

 

 

These 14: „Staatliche IT-Systeme attraktiv und sicher ausgestalten“

Die geforderte Plattformunabhängigkeit ist bisher in keinster Weise ernstahft von der Bundesregierung in Angriff genommen worden. Ganz im Gegenteil. Nach wie vor wird die Hard- und Software der Marktführer statt Freier Software genutzt. Transparenz ist in vielen staatlichen Stellen nicht gewährleistet – Dokumente werden nicht freigegeben und der Bürger muss oftmals selbst die von de Mazière angekündigte Transparenz erstreiten. „Die Informationstechnik muss den Anforderungen der Verwaltung und der Bürger folgen und nicht umgekehrt “, jedoch scheint es oftmals so, als setze die Regierung mehr und mehr den Wunschkatalog von Interessenvertretern um, mit dem Ziel nach Innovation duftende technische Möglichkeiten auszureizen – ohne dass jedoch eine Notwendigkeit dazu besteht.

 

 

Die Thesen lehren uns viel über die Sichtweise des Innenministers, der die Welt noch immer in „digital“ und „real“ trennt und somit selbst noch nicht ganz im digitalen Zeitalter angekommen zu sein scheint. Man will viel, so viel lässt sich jedenfalls herauslesen. Aber was es für die konkrete Ausgestaltung bedeutet bleibt unklar. Sicher ist somit nur, dass die Forderungen de Mazières trotz vieler wohlklingender Formulierungen und blumiger Versprechen wenig sichere und verbindliche Ausgestaltungshinweise enthalten. Und dass es nach wie vor am Bürger liegt, sich sein Recht auf Netzneutralität und Datenschutz zu erstreiten: Beispielsweise mit einer Bewertung der Thesen de Mazieres auf der entsprechenden Homepage.

 

 

Die Bilanz ist jedenfalls bisher ernüchternd… Denn obwohl man dem Wortlaut an sich oft zustimmen möchte, bleibt doch ein fahler Nachgeschmack der letzten Legislaturperioden zurück, welche der Glaubwürdigkeit de Mazières und seinere aufgestellten netzpolitischen Thesen schließlich das Wasser abgräbt. Die Netzpolitik der Union surft somit nicht auf einer Welle mit der Netzcommunity. Um zu erklären, warum dies so ist, bedarf es keiner hochtrabender Thesen, sondern lediglich einer trockenen Betrachtung vergangener Legislaturperioden…

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