Aufgrund der aktuellen Terrorwarnungen sind wieder reflexhaft Rufe nach der Vorratsdatenspeicherung (VDS) zu vernehmen. Dabei ist denjenigen, die so populistisch ans Werk gehen, durchaus klar, dass mit der VDS keine Anschläge verhindert werden können. Mitglieder der Innenministerkonferenz (IMK) betonten auf ihrer letzten Sitzung denn auch ganz offen, es ginge bei der VDS mehr um die Bekämpfung schwerer sowie der organisierten Kriminalität.

Doch auch ohne Terrorwarnungen würde aktuell über die Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, deren Evaluierung und mögliche Alternativen zur Strafverfolgung im Internet diskutiert.

Wir Grüne haben uns von Beginn an gegen die Vorratsdatenspeicherung und die damit verbundenen schweren Schäden für die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger eingesetzt. Grüne Abgeordnete haben eine eigene Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung mit unterstützt und in Karlsruhe die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen gekippt. Doch eine Allianz von Konservativen, BKA und Polizeigewerkschaften macht weiter Druck.

Aktuell haben wir mit dem Antrag „Keine Vorratsdatenspeicherung über den Umweg Europa“ die Bundesregierung aufgefordert, sich auf EU-Ebene für die Abschaffung der Richtlinie zur VDS einzusetzen. In der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung haben wir stets betont, dass wir eine ernsthafte Suche nach bürgerrechtsfreundlichen Alternativen unterstützen und diskutieren dabei vor allem ein „Quick Freeze“-Verfahren.

Da die Begrifflichkeiten derzeit oftmals unklar erscheinen, versuchen wir hier die Begriffe Quick Freeze, Quick Freeze XL und Vorratsdatenspeicherung Light zu entwirren.

Hintergrund

EU-Richtlinie: In 2006 wird die EU-Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie verabschiedet. Zuvor war Schäuble auf nationaler Ebene mit einem vergleichbaren Vorstoß gescheitert. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, anlasslos nahezu sämtliche elektronischen Spuren der Bürger für mindestens sechs bzw. maximal 24 Monate zu speichern bzw. die Speicherung zu veranlassen. Sechs Mitgliedstaaten haben die Richtlinie bis heute nicht umgesetzt.

Bundesverfassungsgericht: Im März 2010 erklärt das Bundesverfassungsgericht das deutsche Umsetzungsgesetz zur Richtlinie für nichtig, hält gleichwohl eine VDS unter engsten Voraussetzungen für zulässig. Seitdem machen Konservative, BKA und Polizeigewerkschaften Druck auf die Bundesjustizministerin, sich einer erneuten Einführung nicht weiter zu verschließen.

Evaluation der Richtlinie auf EU-Ebene: Wurde offenbar wegen mangelnder valider Belege aus den Mitgliedstaaten für Nutzen der VDS auf März 2011 verschoben. Nach Einschätzung von Büro J.P.A. in Brüssel bestehen gute Aussichten, das Europäische Parlament von einer Veränderung der VDS-RiL zu überzeugen und selbst die Kommission hat in einem aktuellen Papier die Frage von Alternativen in Gestalt von Quick Freeze aufgegriffen.

1. Was ist Quick Freeze?

Quick Freeze kann eine bürgerrechtsschonende Alternative zur VDS sein.

Classic Quick Freeze

Mit Quick Freeze wird ein in den USA verwendetes und z.B. im Übereinkommen des Europarates über Computerkriminalität genanntes Verfahren der Beweissicherung in der Strafverfolgung bezeichnet: Eine strafprozessuale Speicheranordnung über Telekommunikations-Verkehrsdaten, also das „wer, wann, wo, mit wem, wie lange“. Umfasst sind z.B. auch IP-Adressen bei der Internetnutzung sowie Standortdaten von Mobilfunkgeräten.

Quick Freeze soll für Strafverfolger die zeitlich schnelle Beweissicherung von Verkehrsdaten in laufenden Ermittlungsverfahren, also bei konkretem Verdacht einer Straftat, ermöglichen.

Auf richterlichen Beschluss (oder in Eilfällen bei staatsanwaltschaftlicher Entscheidung) würden TK-Anbieter veranlasst, [M31] bestimmte Löschroutinen für konkrete Datenkategorien eines bestimmten Anschlusses hinsichtlich dieser Daten auszusetzen. Auf einen weiteren richterlichen Beschluss hin können diese Daten dann für die konkrete Auswertung freigegeben werden. Damit zielt das Instrument auf Fälle konkreten Tatverdachts und betrifft nur die tatsächlich ohnehin vorliegenden (existierenden) und zukünftig anfallenden Verkehrsdaten der Provider. Diese Form des Quick Freeze ist im Wertpapierhandelsgesetz verwirklicht (auf Veranlassung der Behörde im konkreten Fall Verpflichtung zur Speicherung von bereits existierenden Verkehrsdaten eines bestimmten Anschlusses für bis zu sechs Monate).

Für Flatrates, bei denen Daten ohnehin nicht einmal für wenige Sekunden gespeichert werden, hat diese Variante des Quick Freeze jedoch nach allgemeinem Verständnis keinen Nutzen, da sie nur tatsächlich vorhandene Daten betrifft.

Quick Freeze XL

Dieses Verfahren wird auch als Quick Freeze Plus bezeichnet.

Nach diesem Konzept sollen auch die bei Flatrates nicht gespeicherten Verkehrsdaten im konkreten Einzelfall ab dem Zeitpunkt der behördlichen Anordnung gespeichert werden müssen. Dies wird offenbar nach einer Neuregelung für die Verfolgung von Straftaten in Kanada so gemacht und aktuell von der Bundesjustizministerin für Deutschland vorgeschlagen.

Dazu müssen von den Internetzugangsanbietern Systeme vorgehalten werden, die diese Daten dann im Verdachtsfall aufzeichnen. [Möglich: Kriterien der Datensicherheit vom Bundesverfassungsgericht, wie sie auch Schaar in seiner Antwort an den AK Vorrat aufzählt]

Vorratsdatenspeicherung Light

Im Neusprech auch als Datenpufferung, Quick Freeze XXL oder modifiziertes Quick Freeze bezeichnet, ist nichts anderes als eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung für einen kurzen Zeitraum, d.h. die anlass- und verdachtslose Speicherung von nicht erforderlichen Telekommunikationsdaten sämtlicher NutzerInnen, die ansonsten umgehend zu löschen wären.

Modifiziert werden kann sie hinsichtlich der zu speichernden Datenkategorien (etwa nur IP-Adressen zur Internetüberwachung ). Diskutiert werden die verpflichtende Speicherung von sämtlichen Verkehrsdaten einer bestimmten Kategorie (etwa Telekommunikationsverkehrsdaten; TK-Standortdaten; IP-Adressdaten) oder gleich aller Kategorien für einen kurzen Zeitraum. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar spricht sich dabei insbesondere für eine 14-tägige Speicherung von IP-Adressen aus.

2. Grenzen von Quick Freeze

Nach der Nichtigerklärung der Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht im März diesen Jahres gibt es eine uneinheitliche Speicherpraxis von Verkehrsdaten bei den Telekommunikationsanbietern (Telekom sieben Tage, andere Anbieter z.T. weniger oder gar null Tage). Soweit es für Abrechnungen erforderlich ist, kommt auch eine weitergehende Speicherdauer in Betracht, was allerdings in der Praxis nicht mehr häufig vorkommen dürfte, denn aufgrund der stark verbreiteten Flatrates und volumenabhängigen Tarife sind Verkehrsdaten z.B. für Abrechnungen überhaupt nicht mehr erforderlich und deren Speicherung verursacht nur Kosten.

Ergebnis: die Wirksamkeit von Ermittlungen nach § 100 g StPO hängt in der Tat u.a. vom Tarif ab.

• Das klassische Quick Freeze läuft in all denjenigen Ermittlungen leer, wo es um die Aufklärung bereits begangener einmaliger Straftaten und abgeschlossener Sachverhalte geht und durch Flatrates keine Daten gespeichert werden.

• Gleiches gilt für Quick Freeze XL, weil bei Vorliegen einer Flatrate lediglich Daten für die Zukunft erhältlich sind.

• die Vorratsdatenspeicherung Light: auch hier trüge der Einwand des BKA, dass einige Delikte typischerweise erst nach einem bestimmten längeren Zeitraum entdeckt werden (z.B. typische Delikte im Zusammenhang mit Identitätsdiebstahl erst nach 30 Tagen – beispielsweise bei Erhalt von Print-Kontoauszügen).

Fazit

Quick Freeze ist weniger und anders als die Vorratsdatenspeicherung. Statt alle unter Beobachtung zu stellen, ermöglicht Quick Freeze den gezielten raschen Zugriff auf vorhandene Daten einzelner konkret verdächtiger Personen. Bürgerrechtlich kann sie in der Classic Variante sowie in der XL-Variante vertretbar sein.

Sie leistet aus Strafverfolgungssicht weniger als die Vorratsdatenspeicherung, und das ist notwendig aus verfassungsrechtlichen Gründen so. Das Quick-Freeze-Verfahren als Alternative nicht auszuschließen, kann gleichwohl eine Entlastung angesichts des starken politischen Drucks bei der VDS bieten. Wir Grünen sehen jedoch weiterhin die Notwendigkeit einer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Positionierung – sprich die Betonung insbesondere der Unverhältnismäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung. Dazu ist das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur VDS leider nicht so deutlich geworden, wie wir uns das gerne gewünscht hätten, das bedeutet jedoch nicht, das der Gesetzgeber eine VDS in dem aufgezeigten, ohnehin äußerst engen Rahmen überhaupt umsetzen muss.

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