Am 25. Oktober 2010 findet im Unterausschuss Neue Medien des Deutschen Bundestages ein Expertengespräch mit Sachverständigen zum Thema „Kampf gegen Darstellung von Kindesmissbrauch im Internet: Technische und organisatorisch Fragen“ statt. Die Anhörung ist öffentlich. Gäste können sich hier anmelden.

Die Anhörung beschränkt sich bewusst auf technische und organisatorische Fragen, wodurch sich auch der etwas sperrige Titel begründet. Eine weitere Anhörung, die sich mit den rein juristischen Aspekten – natürlich vor allem mit der verfassungsrechtlich höchst umstrittenen Aussetzung bzw. Nicht-Anwendung eines im Bundestag ordnungsgemäß verabschiedeten und vom Bundespräsidenten unterschriebenen Gesetzes – auseinander setzen wird, ist im (federführenden) Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages für den 10.11.2010 angesetzt. Auch diese Anhörung wird nach Auskunft des Ausschusssekretariats öffentlich sein. Bezüglich der Anmeldung  für Öffentliche Anhörungen gibt es gewisse Formalien, um deren Einhaltung der Bundestag bittet.

Derzeit erarbeiten die Fraktionen einen Fragenkatalog, der den Sachverständigen vor der Anhörung zugeleitet wird. Sobald dieser zwischen den Fraktionen abgestimmt ist, werden wir ihn auch hier diskutieren. Wir Grünen freuen uns sehr, dass wir Thomas Stadler, Rechtsanwalt für IT-Recht und seit langem in der Bürgerrechtsbewegung aktiv, als Sachverständigen für die Anhörung gewinnen konnten.

Eingeladen als Experten sind außerdem Vertreter von ecoInhopeFSM, jugendschutz.netKJMAK Zensur, BITKOMICANNspace.net, dem BKA und ICANN.

Auf der einen Seite ist die jetzige Anhörung zweifellos eine weitere Möglichkeit, sich über die Sinnlosigkeit von Netzsperren auszutauschen und weiter herauszuarbeiten, dass Netzsperren nicht nur ineffektiv, sondern letztlich sogar kontraproduktiv im Sinne einer effektiven Strafverfolgung von Täterinnen und Tätern wirken.

Auf der anderen Seite ist die jetzige Anhörung das direkte Resultat einer seit Monaten von Seiten der Koalitionsfraktionen verfolgten, sehr durchschaubaren Verzögerungstaktik, die das Ziel verfolgt, die von Seiten aller Oppositionsfraktionen vorgelegten Anträge, die allesamt die Aussetzung des Zugangserschwerungsgesetzes fordern, nicht behandeln zu müssen.

Um dieses Ziel zu erreichen und die durch die Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehenen Fristen, in denen parlamentarische Initiativen zwingend innerhalb bestimmter Zeiträume in den zuständigen Ausschüssen behandelt werden müssen, bleibt der Koalition mittlerweile – nachdem sie alle anderen Instrumente ausgeschöpft hat – nichts anderes übrig, als Anhörungen durchzuführen.*

So haben die beiden zuständigen Parlamentarischen Staatssekretäre, Dr. Ole Schröder (Bundesinnenministerim) und Dr. Max Stadler (Bundesjustizministerium), in der Sitzung des Unterausschusses Neue Medien vom 08.07.2010 bereits, nachdem die Anträge vorher wiederholt von der Tagesordnung des Unterausschusse gekickt wurden, einen – leider wenig erhellenden – Sachstandsbericht bezüglich der derzeitigen Lösch-Aktivitäten gegeben. Indem sie den innerhalb der Koalition nach wie vor anhaltende Uneinigkeit bezüglich des weiteren Vorgehens in der Sache offen vor den Ausschussmitgliedern austrugen und im Grunde – beide im Namen der Bundesregierung – vollkommen konträre Ansichten vertraten, wurde klar: Die Bundesregierung verspielt weiterhin wertvolle Zeit, die wir für die Effektivierung der Strafverfolgung sicherlich besser genutzt werden könnte.

Laut Ausschusssekretariat ist derzeit noch nicht klar, wer von Seiten der Bundesregierung an der jetzigen Anhörung teilnehmen wird. Man darf also gespannt sein.

*Ganz ähnlich verhält es sich im Übrigen mit unserem Antrag zur Vorratsdatenspeicherung, den wir am 24.03.2010 gestellt hatten und in dem wir die Bundesregierung mit Hinweis auf das Bundesverfassungsgerichts-Urteil vom 02.03.2010 auffordern, sich auf europäischer Ebene gegen die Vorratsdatenspeicherung auszusprechen.

UPDATE:

Hier nun- wie versprochen – der aktuelle Fragenkatalog, auf den sich die Fraktionen geeinigt haben. Auf Eure Einschätzungen und Stellungnahmen zu den einzelnen Fragen freuen wir uns.

1. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der nationalen Beschwerdestellen mit den Behörden und den Internet Service Providern in Europa und im internationalen Bereich aus? Wie lange dauert es durchschnittlich und je nach Ländern, bis Seiten gelöscht sind? Wie erklären sich die unterschiedlich langen Löschzeiten? Sind die Erfolgschancen auf schnelle Löschung gestiegen? Wie zahlreich ist das Phänomen, dass gelöschte oder gesperrte Inhalte unter anderer Quelle wieder auftauchen? Wie reagieren die Täter auf das Löschen und wie auf das Sperren? Hat sich seit Beginn der Evaluierungsphase des Zugangserschwerungsgesetzes eine Veränderung ergeben?

2. Wie viele Hinweise sind beim BKA und den Selbstkontrolleinrichtungen und Beschwerdestellen oder andere Einrichtungen zu strafbaren Inhalten nach § 184 b StGB auf Webangeboten sind seit Inkrafttreten des Zugangserschwerungsgesetzes eingegangen und wie viele Fälle gingen auf Ermittlungen der Polizeibehörden zurück? Wie viele Angebote enthielten tatsächlich strafbewehrte Inhalte nach § 184 b StGB? In wie vielen Fällen konnte seit Verabschiedung bzw. seit Inkrafttreten des Zugangserschwerungsgesetzes und auf wessen Veranlassung eine Löschung – und in welchem Zeitraum – derartige Angebote erreicht bzw. nicht erreich werden? Welche Erkenntnisse gibt es zu den Serverstandorten (aufgeschlüsselt nach länderspezifischen Erkenntnissen)? Welche Erkenntnisse gibt es zu der Frage, warum eine Löschung nicht erreicht werden konnte?

3. Es werden immer wieder Mängel wie fehlende Benachrichtigungspflichten oder Rückmeldungen an die Polizeibehörden und Selbstregulierungseinrichtungen genannt. Inwieweit können Sie diese bestätigen und konkretisieren? Wo bestehen hier konkrete Defizite bei der Zusammenarbeit der Polizeibehörden untereinander oder aber bei der Zusammenarbeit der Polizeibehörden und den Selbstkontrolleinrichtungen und inwiefern gibt es hier durch die neue Vereinbarung zur Zusammenarbeit gemäß „Harmonisierungspapier zum zukünftigen Umgang mit Hinweisen auf kinderpornografische Webseiten beim BKA, den deutschen Beschwerdestellen (eco e.V., FSM e.V., jugendschutz.net) sowie der BPjM“ Veränderungen? Wann traten die Änderungen in Kraft bzw. wann wurde das Harmonierungspapier unterzeichnet? Wie war das Prozedere vor der neuen Vereinbarung und welche Änderungen wurden mit welcher Begründung vereinbart?

4. Wie ist das Prozedere bei den Selbstkontrolleinrichtungen? Melden diese die fraglichen Inhalte an die zuständigen Polizeibehörden oder aber über die Partnerhotlines direkt an die entsprechenden Hostprovider? In welchem Zeitraum erfolgt eine Benachrichtigung der Polizeibehörden und der Hostprovider?

5. In welchen Intervallen und mit welchen Methoden wird überprüft, ob beanstandete Inhalte gelöscht wurden? In welchen Intervallen erfolgt ein Wiederaufforderung bei Nichtlöschung und welchen Zeitraum sehen Sie hier als sachgerecht an?

6. Wenn Aufforderungen zur Löschung beim Hosting-Provider nicht erfolgreich waren, welche alternativen Ansprechpartner haben Sie bzw. Ihre Partnerorganisationen angesprochen, und welche Ansprechpartner könnten Sie sich vorstellen?

7. Gibt es Erkenntnisse dahingehend, welche Art von Inhalten nach 184 b StGB nicht zeitnah gelöscht werden können? Dies betrifft beispielsweise das Alter der Missbrauchs-Opfer und die Art der dargestellten sexuellen Handlungen.

8. Gibt es aussagekräftige Erkenntnisse über die Intensität von Strafverfolgungsmaßnahmen in Ländern, die über eine Sperrinfrastruktur verfügen, im Vergleich zu den Ländern, die keine Sperrung vornehmen? Mit welchen Verfahren – also Löschen oder Sperren – ist eine bessere Strafverfolgung der Täter möglich oder haben die Sperrungen Auswirkungen auf die Strafverfolgung? Lassen sich statistische Aussagen dahingehend treffen, dass die Strafverfolgung zu- bzw. abnimmt?

9. Welche Erfahrungen haben Länder, in denen Netzsperren verpflichtend eingeführt wurden, bisher gemacht? In welchem Verfahren werden im Ausland die für die Liste mit Netzsperren notwendigen Daten erhoben? Wie ist sicher gestellt, dass entsprechende Listen mit zu sperrenden Seiten (gelbe Seiten der Kinderpornographie) nicht in der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, wie in anderen Ländern geschehen? Ist die Anzahl der Meldungen bei den Hotlines/Behörden in den Ländern, in denen gesperrt wird, nach Einführung der Sperrung signifikant zurückgegangen?

10.Welche Vor- und Nachteile hätte ein zentrales Sperrkonzept gegenüber einem dezentralen Melde- und Löschkonzept? Welchen Personalaufwand erfordern die jeweiligen Konzepte bei staatlichen Stellen?

11.In einer Untersuchung im Juni 2008 legten Tyler Moore und Richard Clayton von der University of Cambridge dar, dass Seiten mit kinderpornographischem Inhalt eine längere Lebensdauer hätten als andere illegale Webangebote wie z.B. phishing-sites . Dies begründeten Sie vor allem mit der damals mangelhaft koordinierten internationalen Kooperation. Worin liegen die Hauptgründe für die unterschiedlichen Zeiten, die das Löschen der jeweiligen Inhalte benötigt? Wäre beispielsweise ein verbessertes notice-and-take-down -Verfahren ein gangbares Mittel, um die Entfernung von Missbrauchsdokumenten analog zur Entfernung von phishing-sites durchzuführen?

12.Wie kann die Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden, den Selbstregulierungskräften der Privatwirtschaft wie INHOPE und den Internet Service Providern weiter verbessert werden?

13.Welche Erkenntnisse gibt es darüber, ob und inwieweit es einen kommerziellen Markt für diese Inhalte nach § 184 b gibt.

14.Welche Maßnahmen sind sinnvoll und geboten, um gegen die aktive Nachfrage vorzugehen?

15.Mit welchem Verfahren (Sperren oder Löschen) können die Täter strafrechtlich besser verfolgt werden?

UPDATE vom 19.10.2010:

Die Tagesordnung der Anhörung ist nun veröffentlicht worden. In dem PDF sind die eingeladenen Sachverständigen und der oben bereits veröffentlichte Fragenkatalog aufgeführt. Interessenten werden außerdem aufgefordert sich bitte bis zum 22.10.2010 im Ausschusssekretaritat anzumelden.

UPDATE vom 25.10.2010:

Die Anhörung ist nun vorbei. Alle, die sie verpasst haben, können sie im netzpolitik.org-Protokoll nachverfolgen.

Unsere Pressemitteilung zur heutigen Anhörung findet Ihr hier.

Die Stellungnahmen der einzelnen Sachverständigen stellen wir Euch hier zur Verfügung:

Stellungnahme – AK Zensur

Stellungnahme – BKA

Stellungnahme – BITKOM

Stellungnahme – eco

Stellungsnahme – FoeBuD

Stellungnahme – FSM

Stellungsnahme – ICANN

Stellungnahme – Space Net

Stellungnahme – jugendschutz.net


UPDATE vom 26.10.2010:

Thomas Stadler, der als Sachverständiger für den FoeBuD e.V. an der Anhörung teilnahm, hat sie in einem Blogbeitrag aus seiner Sicht resümiert und bewertet.

UPDATE vom 23. November 2010:

Hier findet Ihr das vollständige Wort-Protokoll der Ausschussanhörung vom 25.10.2010.

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