Hass und Hetze drohen alltäglich zu werden. Hemmschwellen brechen weg. Vorurteile werden geschürt und Feindbilder bedient. Menschen werden beleidigt und bedroht. Hass und Hetze gegen Flüchtlinge und Muslime, Rassismus, Sexismus, Homophobie und Antisemitismus durchschwemmen Foren, soziale Netzwerke, Blogs und Kommentarspalten. Die Anschläge auf Flüchtlingseinrichtungen, Beleidigungen gegenüber MitarbeiterInnen in gemeinnützigen Vereinen oder von Kirchen und politisch Engagierten machen erneut deutlich: Hass und Hetze haben Konsequenzen im Handeln und führen auch zu mehr Gewalt. Das Netz befördert diese Dynamik und wirkt derzeit wie eine Art Brandbeschleuniger. Klick-Logiken kennen keine Menschenwürde. International hat sich 2016 gezeigt: Gesellschaftliche Meinungsbildung kann durch gezielte Falschinformationen, durch (auch geheimdienstliche) IT-Angriffe und Hacking, aber auch den Einsatz von „Social Bots“ erfolgreich manipuliert werden.
In einem Gastbeitrag im Handelsblatt hatte ich im Dezember 2016 die Gelegenheit auf diese drängenden Probleme hinzuweisen und meine Lösungsvorschläge vorzustellen. An dieser Stelle dokumentieren wir den Beitrag. Der Artikel ist auch online verfügbar und kann hier nachgelesen werden.
Gemeinsam haben wir als Grüne Bundestagsfraktion auf unserer Klausur in Weimar am 11. Januar 2017 den Beschluss „Verantwortung, Freiheit und Recht im Netz“ (pdf) gefasst. Darin fordern wir, dass Plattformen-Anbieter wie Facebook endlich ihrer Verantwortung nachkommen und offensichtliche Verleumdungen sowie üble Nachrede innerhalb von 24 Stunden prüfen und gegebenenfalls löschen. Darüber hinaus rufen wir zu einem Sofortprogramm für IT-Sicherheit auf.
Hate Speech, Fake News und Co.
Hass und Hetze im Netz oder Rechtsstaat?
Hass und Hetze in sozialen Netzwerken sind zu einer Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat geworden. Um den Schaden im Wahljahr 2017 zumindest zu begrenzen, muss die Bundesregierung jetzt handeln. Ein Gastbeitrag.
„Für Dich sollte Buchenwald wieder geöffnet werden und Deine Asche soll auf uns regnen“. Mit derartig hasserfüllten Kommentaren sehen sich derzeit diejenigen konfrontiert, die sich für eine offene und liberale Gesellschaft oder den Schutz von zu uns geflüchteten Menschen einsetzen, die vermeintlich anders denken, anders aussehen oder der sogenannten „Lügenpresse“ angehören. Das Ausmaß klar strafbarer Meinungsäußerungen im Netz hat längst ein beängstigendes Ausmaß angenommen. Ein Ausmaß, das zu einer echten Gefahr für demokratische Diskurse und das friedliche Zusammenleben in offenen Gesellschaften geworden ist.
Die Bundesregierung schaute alledem aber bislang weitgehend tatenlos zu. Vor genau einem Jahr habe ich sie an dieser Stelle aufgefordert, nicht länger die Augen vor der wachsenden Problematik klar strafbarer Meinungsäußerungen im Netz („Hate Speech“) und der achselzuckende Untätigkeit einiger großer Unternehmen zu verschließen. Immer wieder haben wir gemahnt, die milliardenschweren Facebooks dieser Welt, die sich bis heute nicht an Recht und Gesetz gebunden fühlen, auf klare rechtliche Vorgaben und ihre gesellschaftliche Verantwortung zu verpflichten – auch mit entsprechendem Nachdruck. Geschehen ist lange nichts.
Dabei wissen wir seit langem, an welchen Stellschrauben wir drehen müssten. Doch statt sich dem unumgänglichen Konflikt mit den Unternehmen zu stellen, sagt Bundesjustizminister Maas via Twitter: „Facebook, wir müssen reden.“ Als ginge es beim Umgang mit einem milliardenschweren Unternehmen um eine Paartherapie – und nicht um anhaltende Rechtsverstöße und ein wachsendes gesellschaftliches Problem.
Während er sich vor mit „Hate Speech“ besprühten Wänden medienwirksam in Szene setzen ließ, offene Briefe schrieb und den Unternehmen ewig neue, völlig folgenlose Fristen setzte, hat sich die Problematik in den letzten zwölf Monaten kontinuierlich verschärft. Erst als der öffentliche Druck endgültig zu groß wurde, sah sich der Minister gezwungen, eine „Task Force“ einzusetzen. Ihre Ergebnisse aber sind enttäuschend und bleiben teilweise weit hinter der geltenden deutschen und europäischen Rechtslage zurück.
Angesichts dieser politischen Verantwortungslosigkeit konnte man es den Internetkonzernen fast nicht übel nehmen, wenn sie sich in ihrem bisher verfolgten Kurs, einfach nach „eigenem Recht“ zu handeln, bestätigt fühlen. Denn genau das geschieht: Statt sich an die rechtlichen Vorgaben zu halten und entsprechende Inhalte entlang der deutschen Rechtslage umgehend nach Kenntnisnahme zu prüfen sowie gegebenenfalls zu löschen sowie eine effektive Strafverfolgung zu ermöglichen, verweisen die Konzerne auf ihre selbst gesteckten „Gemeinschaftsstandards“, die aus Sicht der Unternehmen weltweit gelten.
Die dahinterstehende Logik ist klar: Das lästige Beachten höchst unterschiedlicher nationalstaatlicher Rechtsstandards fällt so weg: Ob das Hakenkreuz in Deutschland verboten ist, die Holocaustleugnung unter Strafe steht und für Volksverhetzung auch schon mal eine mehrjährige Gefängnisstrafe drohen kann, wen interessiert‘s? In der Logik von Facebook gehört all dies zum Recht auf freie Meinungsäußerung. Doch dieses, zweifellos für jede Demokratie zentrale Grundrecht, ist nur vorgeschoben.
Warum wohl hat das Recht auf freie Meinungsäußerung oder auch die Kunstfreiheit plötzlich so klare Grenzen, wenn es um Abbildungen weiblicher Brüste, selbst auf klassischen Kunstwerken geht? Die Antwort fällt auch hier nicht schwer: In der Logik von Facebook sind weibliche Brüste ein nicht gewünschter Inhalt, für ein IS-Video mit grausamsten Hinrichtungsszenen gilt dies aber eben nicht zwingend. Konzernintern entwickelte Klicklogiken kennen keinen Grundgesetzartikel Artikel 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“).
So setzen multinationale Unternehmen heute längst ihr eigenes Recht im digitalen Raum. Sie tun dies, bestärkt von einer Bundesregierung, die diesem Treiben seit Jahren nicht nur tatenlos zusah, sondern jedwede Regulierung scheute und Facebook und Co. unmissverständlich zu verstehen gab, dass man von ihr absolut nichts zu befürchten hat. Stattdessen setzte man stets auf Selbstregulierung – in einem Markt mit Anbietern, die zeigten, dass sie nicht willens sind, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden.
Nun hat die Problematik längst ein Ausmaß angenommen, das ein einfaches „Weiter so“ nicht zulässt. Zu Recht hat auch die Justizministerkonferenz den Ministerkollegen wiederholt und mit Nachdruck an die längst gemachten Zusagen erinnert, nötigenfalls auch regulatorisch einzugreifen. Genützt hat dies bislang nichts. Die Bundesregierung schaute weiterhin zu, wie Hetze grassierte und Diskurse sich gefährlich verschieben. Sie schaute zu, wie sich diejenigen, die sich durch Filterbubbles darin bestärkt sahen, dass offen rechtswidriges Agieren keinerlei Konsequenz nach sich zog, weiter radikalisierten – und dies durchaus reale Auswirkungen in Form eines dramatischen Anstiegs von Gewalttaten gegen Flüchtlinge hatte.
Erst langsam kommt es zu einem Umdenken. Zu offensichtlich sind die Probleme mittlerweile. Und wie so oft soll plötzlich alles ganz schnell gehen. Sowohl Facebook hat angekündigt, endlich reagieren zu wollen und auch die Kollegen Oppermann von der SPD und Kauder von der CDU drängen nun Minister Maas dazu, tatsächlich auch gesetzgeberisch aktiv zu werden.
Als Rechtsstaaten und Demokratien müssen wir uns entscheiden: Wollen wir weiter zusehen, wie Hass und Hetze sich endgültig breitmachen? Wollen wir den Kopf angesichts der Multinationalität des Netzes in den Sand stecken oder den digitalen Wandel unserer Gesellschaft aktiv gestalten? Wollen wir hinnehmen, dass wenige Unternehmen ihr eigenes Recht schaffen oder zunächst geltendes Recht umsetzen, klare Verantwortlichkeiten benennen und Verstöße sanktionieren?
Die Alternative zur Regulierung ist klar: Natürlich können wir Rechtsstaat Rechtsstaat sein lassen und uns einfach von Facebook abmelden wie es die frühere Verbraucherministerin Aigner vor einigen Jahren getan hat. Natürlich können wir das Feld kampflos den Hetzern und Hassern überlassen. Das wäre einfach und hätte bestimmt positive Auswirkungen auf den Seelenfrieden, zumindest den eigenen. Gleichzeitig käme dies einer Kapitulation vor Hass und Hetz gleich.
Klar ist: Die Zeit der Ablenkungsmanöver und populistischen Scheindebatten wie der nach der Schaffung eines „Wahrheitsministeriums“ gegen „Fake News“ oder pauschalen, an realen Herausforderungen vorbeigehenden Verboten von „Social Bots“ führen uns nicht weiter. Es ist kontraproduktiv, all diese Phänomene in einen Topf zu werfen statt adäquate Antworten auf jeweils spezifische Herausforderungen zu formulieren.
Die Bundesregierung muss endlich den Rücken gerade machen und die Ärmel hochkrempeln. Diejenigen, die sich tagtäglich gegen Hass und Hetze engagieren, die Inhalte melden und auf Konsequenzen hoffen, wenn sie klar strafbare Meinungsäußerungen im Netz anzeigen, zählen auf unsere Unterstützung. Die muss jetzt tatsächlich kommen! Alles andere führt zu Frustrationen, Resignation und vielleicht sogar Kapitulation. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Glauben in demokratische und rechtsstaatliche Institutionen langsam aber sicher erodiert.
Die Unternehmen müssen wir endlich dazu bringen, Recht und Gesetz zu achten. Zudem müssen wir die Justizbehörden in die Lage versetzen, Verstöße gegen geltendes Recht schnellstmöglich ahnden zu können. Diejenigen, die Hass und Hetze sähen, müssen spüren, dass Mord- und Vergewaltigungsdrohungen, Holocaustleugnungen oder Beleidigungen keine amüsante Freizeitbeschäftigung für all diejenigen sind, die im Geschichtsunterricht nicht richtig aufgepasst haben, sondern, dass die klaren Vorgaben des Strafgesetzbuches durchaus auch weiterhin gelten.
Zu verhindern gilt es auch weiterhin, dass Private in die Rolle von Hilfssheriffs gedrängt werden, die auch zukünftig, vielleicht sogar noch viel stärker als bislang, darüber entscheiden, was ein wünschenswerter Inhalt ist und was nicht. Genauso wie der Staat nicht ländliche Regionen aufgeben darf, darf er nicht zusehen, wie im Netz grundrechtsfreie Räume entstehen.
Wir erwarten nun echte Handlungen einer Bundesregierung, die nötigenfalls auch in Betracht zieht, die wenigen Unternehmen, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung im wichtigsten Kommunikationsraum unserer Zeit bis heute entziehen, stärker in Haftung zu nehmen. Den hehren Worten müssen nun tatsächlich Taten folgen.
Von den Unternehmen erwarten wir, dass sie sich darauf besinnen, dass es mehr gibt als das bloße Schielen auf immer größere Gewinne. Ihnen wünschen wir die Erkenntnis, dass es auch und gerade aus unternehmerischer Perspektive lohnenswert ist, sich entschlossen gegen Hass und Hetze und für Rechtsstaatlichkeit zu engagieren.
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