Die Debatte um die EU-Gesetzgebung zur Prävention und zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt an Kindern nimmt weiter Fahrt auf. Seit langem befasst sich die grüne Bundestagsfraktion intensiv mit der Thematik. Hier haben Tobias B. Bacherle und ich einmal unsere grundsätzliche Position der Bundesregierung zur EU-Regulierung zusammengefasst.

Im November haben wir in einem öffentlichen Fachgespräch in den Blick genommen, welche Maßnahmen zur Prävention, zur Stärkung von Ermittlungsbehörden und zum Opferschutz wirksam, praktikabel und angemessen sind. Über dieses Fachgespräch hat Stefan Krempl ausführlich auf heise online berichtet.

Im Zusammenhang mit der EU-Gesetzgebung ist derzeit insbesondere die Frage nach der Position der Bundesregierung zur sog. „Chatkontrolle“ Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung. In Kürze soll die Abstimmung zwischen den beteiligten Ministerien abgeschlossen werden. Die derzeitigen Diskussionen nehmen wir zum Anlass, noch einmal einen Beitrag vom Sommer dieses Jahres hier zu crossposten. Der Beitrag wurde in der Juni-Ausgabe der Deutschen Richterzeitung (DRiZ 22, 256) im Rahmen eines Pro-Contra-Formats veröffentlicht. Die Contra-Position formulierte Andrea Lindholz.

Gastbeitrag contra Chatkontrolle

Am 11. Mai stellte die EU-Kommission ihren Entwurf einer Verordnung zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt an Kindern im Netz vor. Sogleich entbrannte eine intensive öffentliche Diskussion um die darin enthaltenen Vorschläge, unter anderem um den einer de facto verpflichtenden, umfassenden „Chatkontrolle“ durch private Anbieter. So mancher fühlt sich dieser Tage an Debatten vor rund 15 Jahren erinnert: Gegen den Rat aller Expertinnen und Experten plante die damalige Bundesfamilienministerin und heutige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Bekämpfung von Missbrauchsdarstellungen „Stoppschilder“ aufzustellen und „Netzsperren“ einzuführen. Ihr Vorschlag konnte mit guten Argumenten abgewehrt werden – eine neue digitale Bürgerrechtsbewegung entstand.

Interfraktionell setzte sich die Erkenntnis durch, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen in höchstem Maße kontraproduktiv sind, man die Strafverfolgung dringend effektivieren und entsprechendes Bildmaterial konsequent löschen muss. Der Vorschlag verschwand in der Versenkung. Dass nun unter von der Leyen alte Fehler wiederholt und um ein Vielfaches grundrechtsgefährdenderen Maßnahmen das Wort geredet wird, ist erschreckend. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Sexueller Missbrauch und sexuelle Ausbeutung von Kindern einschließlich der Verbreitung der Darstellung stellen schwerste Rechtsverstöße dar, gegen die es mit aller rechtsstaatlichen Entschlossenheit vorzugehen gilt – off- wie online. Neben nationalen brauchen wir zweifellos auch wirkungsvolle EU-weite Regelungen.

Seit Jahren liegen sehr konkrete Vorschläge vor, um die Erkennung und umgehende Löschung sicherzustellen und die Strafverfolgung zu stärken. Doch bis heute bestehen eklatante Mängel. Noch immer bleiben entsprechende Darstellungen nach ihrer Entdeckung terabyteweise offen abrufbar im Internet verfügbar, werden geklickt und weiter verlinkt. Begründet wird dies vor allem durch Personalmangel – ein unhaltbarer Zustand. Angesichts der zunehmenden Verbreitung derartiger Inhalte müssen die Bemühungen, ihre Verbreitung effektiv einzudämmen, dringend intensiviert werden. Der Kommissions-Vorschlag enthält durchaus wichtige Aspekte. Gleichzeitig geht er Überfälliges jedoch nicht an. Stattdessen legt er die Axt an unsere Demokratien konstituierende Grundrechte.

Nicht nur bei der „Chatkontrolle“ schießt er weit über das Ziel hinaus: Er schlägt unter anderem vor, private Unternehmen zum systematischen Scannen von privaten Text-, Bild- und Videoinhalten zu verpflichten. Es bestehen massive Zweifel, ob dies mit geltendem deutschen wie europäischen Grundrecht sowie der EuGH-Rechtsprechung vereinbar ist. Durch das flächendeckende Scannen privater Kommunikation aller Bürgerinnen und Bürger mit Hilfe unausgereifter algorithmischer Systeme durch Private und einem anschließenden Abgleich mit entsprechenden Datenbanken wird das Recht auf anonyme und pseudonyme Nutzung des Internets ad absurdum geführt. Verschlüsselung und das Recht auf Vertraulichkeit der privaten Kommunikation werden bewusst in Frage gestellt.

Aus gutem Grund haben sich Grüne, SPD und FDP einstimmig und mit Blick auf die im Raum stehenden Vorschläge der EU-Kommission im Koalitionsvertrag deutlich gegen derartige Maßnahmen ausgesprochen – und ihre Kritik mit Blick auf den nun vorliegenden Verordnungs-Vorschlag gerade noch einmal einhellig erneuert. Die EU-Kommission sollte umgehend von ihren Plänen abrücken. Sie sollte Präventions- und Hilfsangeboten weiter ausbauen. Statt autoritären Regimen mit derartig unausgereiften Plänen eine Blaupause für eine weitreichende Massenüberwachung zu liefern, sollte sie sich dringend notwendigen, die Strafverfolgung effektivierenden Lösungen zuwenden, die auch verfassungsrechtlich durchtragen – denn alles andere nützt niemandem.

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