Konstantin v. Notz während der Debatte im Plenum des Bundestages am 15. April 2011:

Die Bundesregierung hat beim EU-Rat Justiz und Inneres am 11. April keine grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Richtlinienvorschlag über die Vorratsspeicherung und die Verwendung von Fluggastdatensätzen geltend gemacht. Das ist untragbar angesichts der jüngsten Verfassungsrechtsprechung und der vorausgegangenen deutlichen Kritik von Bundestag und Bundesrat.

Auch auf der 81. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sprachen sich diese in einer Entschließung in aller Deutlichkeit gegen den Richtlinienvorschlag aus und forderten Bundesregierung und Bundesrat auf, “sich dafür einzusetzen, dass der Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über die Verwendung von Passagierdaten nicht realisiert wird.” In der Entschließung heißt es weiter:

“Auch der neue Entwurf bleibt konkrete Beweise dafür schuldig, dass die anlassfreie automatisierte Auswertung und Analyse von Flugpassagierdaten geeignet und erforderlich ist, um dieses Ziel zu fördern. Ein solches Zusammenspiel von Vorratsdatenspeicherung und Rasterung von Passagierdaten ist weder mit der EU-Grundrechtecharta noch mit dem grundsätzlich garantierten Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in seinem Urteil vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08) zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten gemahnt hat: Zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik gehört es, dass die Freiheitswahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf. Hierfür hat sich die Bundesrepublik auch auf europäischer und internationaler Ebene  einzusetzen”.

Doch genau das tut die Bundesregierung nicht.

Im Februar 2011 hat die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf über die Verwendung von Fluggastdaten zur präventiven und repressiven Verbrechensbekämpfung vorgelegt. Die geplante Richtlinie soll die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, 19 Datenkategorien von Fluggästen anlasslos bei einer staatlichen Zentralstelle zu speichern und auch zur Rasterung und Profilbildung zu nutzen. Eine konkrete Begründung dafür, dass diese Maßnahme für die Bekämpfung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität geeignet und erforderlich ist, fehlt im Richtlinienvorschlag der Kommission, ein milderes Mittel wurde nicht geprüft.

Die geplante Speicherung und Verwendung der Fluggastdaten widerspricht zentralen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere aus den Entscheidung zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten vom März 2010 (1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08) und zur präventiven Rasterfahndung NRW (1 BvR 518/02) aus dem Jahr 2006.

Wir Grüne haben vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, aber auch der EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ganz erhebliche Zweifel an der Möglichkeit einer verfassungskonformen Umsetzung einer solchen Richtlinie in deutsches Recht und an der Vereinbarkeit des Richtlinienvorschlags mit den geltenden EU-Grundrechten.

Würde die Richtlinie über die Vorratsspeicherung und die Verwendung von Fluggastdaten tatsächlich bindendes EU-Recht, könnte das erhebliche Konsequenzen für den deutschen und europäischen Grundrechtsschutz haben. Das Bundesverfassungsgericht stünde wohl vor der Wahl, entweder erstmals direkt EU-Recht anzugreifen oder sich in Widerspruch zu seiner eigenen jüngsten Rechtsprechung zu setzen. Beides wäre ein folgenschweres Signal für eine Europäische Union, die sich die Schaffung von gemeinsamen hohen Grundrechtsstandards als Ziel gesetzt hat.

Der Forderung einiger Mitgliedstaaten nach der Ausdehnung der Fluggastdatenspeicherung auf EU-interne Flüge, Bahn- oder Schiffsreisen hat sich der Bundesinnenminister im EU-Rat Justiz und Inneres erstmal widersetzt (dazu z.B. die taz). Das reicht aber bei Weitem nicht aus. Die Bundesregierung ist vielmehr verpflichtet, ihre Verhandlungspositionen  am deutschen Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auszurichten. Dass die gesamte Konzeption des Richtlinienentwurfs dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht gerecht wird, muss die Bundesregierung in den Verhandlungen deutlich machen und sich gegen eine solche Vorratsspeicherung von Fluggastdaten einsetzen. Zu einer Absenkung von Datenschutzstandards über die europäische Hintertür darf es nicht kommen!

Die grüne Bundestagsfraktion hat soeben einen Antrag  “Keine Vorratsspeicherung von Fluggastdaten” eingebracht, der folgende Forderungen in Richtung Bundesregierung enthält:

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bei den Verhandlungen über den Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission im Rat folgende im Sinne von § 9 Absatz IV EUZBBG wesentlichen Belange durchzusetzen:

1. Zweckgebunden erhobene und gespeicherte Fluggastdaten der privaten Flugunternehmen dürfen nicht anlasslos von einer staatlichen Zentralstelle zu allgemeinen Zwecken der Kriminalitätsbekämpfung gespeichert und verarbeitet werden.

2. Die anlasslose präventive Datenspeicherung, -verarbeitung und -nutzung zum Zweck der laufenden Profilbildung und des Rasterabgleichs ohne das Vorliegen der Voraussetzung einer Gefährdung für hochrangige Rechtsgüter ist in Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht umsetzbar. Dies darf daher unabhängig von der Bewertung der Vereinbarkeit mit EU-Primärrecht nicht in der Richtlinie geregelt werden.

3. Falls ein Verzicht auf die Normierung einer Verpflichtung zur Speicherung von Fluggastdaten nicht durchsetzbar sein sollte, muss die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit jeder Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von  personenbezogenen Daten unter Berücksichtigung der Gesamtschau bereits existierender Datenspeicherungen und Überwachungsmaßnahmen vom EU-Gesetzgeber eingehend geprüft und dargelegt werden.

4. Falls ein Verzicht auf die Normierung einer Verpflichtung zur Speicherung von Fluggastdaten auf Vorrat nicht durchsetzbar sein sollte, ist die derzeit im Richtlinienvorschlag vorgesehene Speicherfrist von 30 Tagen plus 5 Jahre, während der die Daten nach dem Richtlinienvorschlag (etwa als Pseudonyme im Sinne von § 3 Abs. 6a Bundesdatenschutzgesetz) individualisierbar personenbezogen bleiben, als unverhältnismäßig lang abzulehnen. Eine Speicherfrist könnte allenfalls unter Angabe einer wesentlich kürzeren, verbindlichen Höchstspeicherfrist der Regelung durch nationales Recht vorbehalten werden.

5. Bei dieser und weiteren EU-Regelungen im Bereich des Polizei- und Strafrechts soll nicht auf die unzulänglichen Datenschutzvorschriften des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI verwiesen werden. Die Richtlinie muss vielmehr ein hohes Datenschutzniveau für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Mitgliedstaaten sichern.

Wir Grüne im Bundestag werden uns auch weiterhin dafür einsetzen, dass die Bundesregierung ihre Position in Sachen PNR am deutschen Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausrichtet und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt wird.

Zu den derzeit laufenden Verhandlungen der EU mit den USA über ein Datenschutzabkommen für den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen finden sich zahlreiche Informationen auch auf der Homepage von Jan Phillip Albrecht, der  auch hier bereits über die anstehenden Entscheidungen auf EU-Ebene berichtet hatte.

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