Die Demokratisierungswelle, die die Länder des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas seit einigen Monaten erfasst hat, hat auch die Debatte um die demokratiefördernde Wirkung des Internets neu befeuert. Im Zuge dieser Debatte sind auch diejenigen, deren Unternehmen die Technik liefern, die dazu beiträgt, Kommunikation in sozialen Netzwerken, auf Twitter und in Blogs zu manipulieren oder gar ganz verstummen zu lassen, wieder verstärkt in den Fokus gerückt – und das ist gut so. In einer schriftlichen Frage habe ich die Bundesregierung nach ihrer Position befragt.

Drastischer hätte die Bedeutung des Internets als zentraler Kommunikationskanal für einen freien und gleichberechtigten Austausch von Informationen, kurzum das demokratische Potenzial des Netzes, nicht vor Augen geführt werden können: Hochgerüstete Diktaturen fürchten sich vor Twitter-Nachrichten und YouTube-Videos und begreifen eine Facebook-Fanpage als echte Gefahr für ihr Regime. Das zeigt, dass das Internet als Freiheitsmedium eine zentrale Voraussetzung für Veränderungen in unserer Welt ist. Auf Grund der heutigen Bedeutung des Internets für demokratiefördernde Prozesse wird zunehmend versucht, diese technische Infrastruktur einzuschränken und zu kontrollieren. So wird auch nicht mehr davor zurückgeschreckt, zentrale Teile der Infrastruktur zu beschädigen oder ganz auszuschalten.

Bereits am 12. März diesen Jahres legten die „Reporter ohne Grenzen“ anlässlich des Welttags gegen Internetzensur ihren jährlichen Bericht vor, in dem sie die „Feinde des Internets“ an den Pranger stellen. Nun zog die OpenNet-Initiative nach. Sie legte einen Bericht vor, in dem Verwicklungen westlicher Firmen bei Zensurbestrebungen autoritärer Systeme aufgezeigt werden. In ihrer Untersuchung kommen die Autoren zu folgendem Schluss: „Mindestens neun Staaten im Mittleren Osten und Nordafrika nutzen westliche Filtersysteme, um den Nutzern Zugriff auf Online-Inhalte zu verwehren.“ Ebenso sprach die taz in einem jüngst erschienenem Artikel vom „Exportschlager Zensur“ und listete einige Unternehmen auf, die bei dem schmutzigen Geschäft mitmischen. In dem Artikel der taz heißt es unter anderem „Westliche Regierungen haben offenbar kein großes Problem mit dem Zensur-Export.“ Das ist leider ebenso traurig wie richtig.

Bereits am 14. Februar haben Malte Spitz und ich in einem gemeinsamen Beitrag „Freiheit des Internets: Wenn deutsche Technik Twitter verstummen lässt“, der im Handelsblatt erschienen ist, die Bundesregierung aufgefordert, zu prüfen, inwieweit es notwendig ist, die deutschen Exportrichtlinien für derartige Techniken dahingehend zu überprüfen, ob sie noch auf der Höhe der Zeit sind oder – auch anlässlich der Erfahrungen der vergangenen Monate – einer grundlegenden Überarbeitung bedürfen. Es ist nach unserem Dafürhalten nur schwer nachvollziehbar, warum zum Beispiel zwar abhörsichere Kommunikationstechnik für den militärischen Gebrauch genehmigungspflichtig ist, Filtertechnik zur Massenzensur aber nicht den gleichen Bestimmungen unterliegen.

In unserem Artikel schreiben wir:

„Unseres Erachtens nach sollte es das Selbstverständnis einer jeden Demokratie sein, dass es eine zentrale Aufgabe des Staates ist, die Freiheit des Internets zu fördern statt zu beschneiden. Deshalb ist jegliches repressives Vorgehen von staatlicher Seite mit Duldung oder gar Unterstützung freier Unternehmen scharf zu verurteilen und letztendlich auch zu ahnden – für Staaten, genauso wie für die Unternehmen. Denn: Eine Zensur oder die Abschaltung des Internets sind nicht mit den in den universellen Menschenrechten verankerten Prinzipien einer Presse- und Meinungsfreiheit vereinbar.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der jüngsten Zeit, sollten sich die demokratischen Kräfte auf diesem Planeten fragen, wie das Internet als freier Ort der Kommunikation am besten geschützt werden kann. Die Internationale Gemeinschaft steht in der Verantwortung, hier klare Regulierungen und Sanktionsmechanismen zu erarbeiten. Internationale Akteure wie ICANN oder ITU werden unglaubwürdig, wenn sie die Chancen und die Freiheit des Internets stets hochhalten, aber schweigen, wenn es aber darum geht, für deren Verteidigung einzutreten.“

US-Außenministerin Clinton hat also Recht, wenn sie in ihrer Mitte Februar gehaltenen Grundsatzrede „eine globale Verpflichtung für die Internetfreiheit“ anmahnt. Während sich das EU-Parlament gerade dafür ausgesprochen hat, die Exportregeln für Überwachungstechnik, v.a. die Ausfuhr so genannter „Dual-Use-Güter“ verschärfen zu wollen, setzen die USA statt Embargos auf Förderprogramme und Projekte, die sich für eine freie Kommunikation im Netz einsetzen. So will man – nach einigen eher unrühmlichen Kooperationen – zukünftig verstärkt darauf setzen, Informationsblockaden, beispielsweise in China und Iran, zu umgehen. Unseres Erachtens nach ist nur eine Kombination aus beiden Wegen erfolgsversprechend: Eine freie Meinungsäußerung im Netz muss durch  unterstützende Technik wie zum Beispiel das Anonymisierungsnetzwerk Tor ermöglicht und durch die Politik aktiv unterstützt werden, gleichzeitig müssen die Exportbeschränkungen für Sperr- und Zensurtechniken verschärft werden.

Um die Bereitschaft hier tätig zu werden, eventuell doch noch zu erhöhen, habe ich der Bundesregierung Ende März folgende Frage gestellt:

„Welche deutsche Unternehmen exportieren nach Kenntnisstand der Bundesregierung Technologien zur Störung von Telekommunikationsdiensten und Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs und wie gedenkt die Bundesregierung die Lieferung derartiger auf repressive Maßnahmen zielenden Technologien deutscher Unternehmen, z.B. durch auf den aktuellen Stand der Technik angepasste Exportkontrollen, einzuschränken, nicht zuletzt um die Demokratisierungsprozesse in Regionen wie Nordafrika und dem Nahen Osten zu unterstützen?“

Die Antwort der Bundesregierung vom 1. April 2011 lautet:

Die Bundesregierung verfügt über Informationen über die für den Export von ausfuhrgenehmigungspflichtigen Gütern erteilten Ausfuhrgenehmigungen, jedoch grundsätzlich nicht über alle Unternehmen und über die tatsächlich exportierten Güter.

Fragen zu individuellen Vorgängen unterliegen der Geheimhaltungsbedürftigkeit, da Antragsteller nach § 30 Verwaltungsverfahrensgesetz einen Anspruch darauf haben, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht unbefugt offenbart werden. Da auch eine Auskunft über die Zahl der erteilten Genehmigungen bei den wenigen in diesem Sektor miteinander konkurrierenden Unternehmen Hinweise auf konkrete Unternehmen geben könnte, kann hierzu nicht Stelllung genommen werden.

Die Ausfuhr von Technologie zur Störung von Telekommunikationsdiensten sowie Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs unterliegt grundsätzlich keiner Genehmigungspflicht. Sie ist nur dann ausfuhrgenehmigungspflichtig, wenn sie von Anhang I der VO (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (EG-Dual-Use-VO) oder als besonders entwickelt für militärische Zwecke von Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste (Anlage zur Außenwirtschaftsverordnung) erfasst ist.

Die Bundesregierung verfolgt gegenüber Drittstaaten grundsätzlich eine restriktive Rüstungspolitik, die sich an den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ von 2000 und dem Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“ orientiert.

In den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000 ist bestimmt, dass Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern grundsätzlich nicht erteilt werden bei dem hinreichenden Verdacht des Missbrauchs zur inneren Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Entsprechendes gilt für die Genehmigungserteilung bei Dual-Use-Gütern.

Sofern ein Waffenembargo gegen einen Staat durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder die Europäische Union verhängt wurde, sind sämtliche Ausfuhren von Rüstungsgütern in das betreffende Land verboten.

Daneben bestehen für bestimmte Länder, u.a. Iran und Libyen, für Güter, die der Repression dienen könnten, nach Maßgabe einschlägiger EU-Sanktionsverordnungen Ausfuhrverbote. Technologie zur Störung von Telekommunikationsdiensten sowie Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs sind in den Anhängen dieser Verordnungen, in denen die zur internen Repression verwendbaren Ausrüstungen aufgezählt werden, nicht genannt. Weitere Einschränkungen (Sanktionen) können nur im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik von den EU-Mitgliedsstaaten beschlossen werden.

Bewertung der Antwort der Bundesregierung:

Unseres Erachtens nach ist es nicht hinnehmbar, dass die Bundeskanzlerin zwar in Sonntagsreden die demokratischen Errungenschaften der Neuen Medien preist und sie sogar als eigenen Verdienst zu verkaufen versucht, gleichzeitig aber dabei tatenlos zusieht, wie vor den Augen der Weltöffentlichkeit Verstöße gegen universelle Menschenrechte begangen werden.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung wäre – auch angesichts der jüngsten Initiative der EU – gut beraten, sich auf die Debatte über wirksame Mechanismen zur Kontrolle und Regulierung des Handels mit dieser Zensurtechnik einzulassen. Denn: In Zeiten, in denen „das freiheitlichste Informations- und Kommunikationsforum der Welt“ (Zitat schwarz-gelber Koalitionsvertrag) „per Knopfdruck“ abgeschaltet werden kann, sind nicht mehr nur Panzer und Schusswaffen eine Gefahr, sondern genauso Spezialtechniken, die Unterdrückung vielleicht noch effektiver ermöglichen als jeder Schlagstock.

Ausfuhrbeschränkungen dürfen nicht auf dem Stand des Kalten Krieges hängen bleiben, sondern müssen regelmäßig an die technologischen Entwicklungen angepasst werden. Nur so ist zukünftig zu gewährleisten, dass das enorme demokratische Potenzial, das im Internet zweifellos steckt, tatsächlich seine Wirkung frei entfalten kann. Hieran sollten alle Demokratien dieser Welt ein großes Interesse haben.

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