Daniel Blum vom Deutschlandfunk hat sich in einem Beitrag vom 2. Oktober 2011 noch einmal der aktuellen Debatte um die Anonymität im Netz im Rahmen der Deutschlandfunk-Serien „Hintergrund“ angenommen. An dieser Stelle dokumentieren wir das vollständige Interview, das Ihr auf den Seiten des Deutschlandfunks auch noch einmal im Stream nachhören könnt.

Unter zwei Prozent. Für die FDP war das Ergebnis der Berliner Senatswahl ein Desaster. Der Grund für das schlechte Abschneiden? Den hatte der Kreisvorsitzende der Frankfurter Freidemokraten, Dirk Pfeil, schnell ausgemacht und der Frankfurter Neuen Presse im Interview erklärt:

„Es ist schlimm, dass die Mehrheit der Bevölkerung keine politische Bildung genossen hat. Deswegen werden wir nie eine Volkspartei.“

Eine Steilvorlage für die Nicht-FDP-Wähler im Internet, die vieltausendfach in Webkommentaren mit Spott antworteten:

„Wir sind zu blöd für die Politik. Aber wie blöd können Politiker sein, so was auch wirklich auszusprechen? – Wenn der Esel nicht tanzen kann, liegt’s am Tanzboden. – Anscheinend sind die über 14 Prozent, die noch 2009 die FDP gewählt haben, wie aus heiterem Himmel plötzlich verdummt.“

Bei der politischen Debatte im Internet, in Foreneinträgen, Blogs, Chats, Gästebüchern und Kommentarrubriken, wird nicht immer mit dem Florett gefochten – häufig ist es die Keule. Netznutzer pöbeln sich gegenseitig an und die politische Elite. Mitunter anlasslos, doch am liebsten dann, wenn sie den politischen Gegner ins Visier nehmen können.

„Wenn das so weiter geht, bin ich für Militärputsch. Und alles, was im Bundestag sitzt, geht erstmal in den Bau. Da können die weiter Dummes plappern.“ – „Es gibt viel zu viele dumme Menschen auf dieser Welt und es werden immer mehr – tragisch.“ – „Es gibt Ärzte. Die können dir bestimmt helfen!“ – „Denken könnte helfen. Sie werden verblüfft sein.“

Nicht jeder, der im Internet Meinung bezieht, ist ein Krawallmacher, doch finden sich auffallend viele. Und die meiste Beachtung erringt halt nicht der Klügste, sondern der Lauteste. Unerquicklich, findet Peter Tauber, CDU-Abgeordneter und Mitglied der Bundestags-Enquete-Kommission zu „Internet und digitale Gesellschaft“:

„Wir alle wissen schon seit unseren frühesten Erfahrungen mit zum Beispiel der Beteiligung an Schülerzeitungen, dass wenn man für seine Meinung mit seinem Namen einsteht, man über die Qualität des Beitrags sehr viel intensiver, sehr viel ernsthafter nachdenkt, als wenn man anonym vielleicht nur kurz dahingeworfene Thesen veröffentlicht.“

„Natürlich ärgere ich mich über unheimlich viele – auch anonyme oder unter Pseudonym gepostete – Kommentare, die ein Niveau erkennen lassen, was ich eigentlich in einer mitteleuropäischen Gesellschaft für ausgeschlossen erachte. Vom Sprachduktus, von der Form, wo ich mir einfach denke: ‚Meine Güte, ist da wirklich der Wunsch nach einem ernsthaften Diskurs? Oder geht es da eigentlich nur darum zu pöbeln und zu beleidigen?'“

Im Internet treten die Bürger zum Wettstreit der Meinungen fast immer unter Spitznamen an. Unter selbst gewählten Pseudonymen wie HolyGhost oder Drunken Masta, Manitou, Denkmal oder JaIchGenauIch. Manche benutzen, egal wo sie schreiben, immer dieselben Nicks, wie es im User-Deutsch heißt. Doch die meisten kreieren sich wechselnde Identitäten.

Was zunehmend mehr Politikern nicht passt: Die Forderungen mehren sich, Bürger sollten im Internet gefälligst unter ihrem richtigen Namen debattieren. So wie es in den boomenden Sozialen Netzwerken wie Facebook längst verlangt wird: Wer sich auf solchen Kommunikationsplattformen dabei erwischen längst, verbotenerweise unter Pseudonym zu schreiben, läuft Gefahr, von der Betreiberfirma aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden.

Nun wird zwar auf Webseiten – neben Videos und Audiopodcasts – überwiegend schriftlich kommuniziert. Doch im Vergleich zur Presse ist es im Internet weitaus leichter, seine Ansichten und Informationen zu veröffentlichen. Weder muss man als Autor eine Redaktion davon überzeugen, seinen Text ins Blatt zu nehmen, noch muss man als Herausgeber Kapital aufbringen, um seine Texte auf Papier drucken und verteilen zu lassen. Der Weg zur kostenlos veröffentlichten Meinung ist also für jeden frei.

Genau so unkompliziert können andere Netznutzer wiederum reagieren, spontan freudige Zustimmung oder zornige Ablehnung äußern. Statt wohlüberlegter Positionspapiere gibt es temperamentvolle Debatten, immer hastiger, immer hitziger.

Emotionen kochen hoch. Ein Wort ergibt das andere, Meinungen werden zugespitzt. Es wird provoziert und polarisiert. Webseiten sind ein schriftliches Medium, das häufig wie ein mündliches genutzt wird. Lars Klingbeil, SPD-Abgeordneter und Mitglied der Bundestags-Enquete zum Internet:

„Ich kenne auch politische Diskussionen am Infostand, am Stammtisch, wo manchmal Manieren fehlen, und ich glaube ehrlich gesagt, dass gerade diese Spontaneität im Internet auch etwas sehr Positives sein kann: dass sich nämlich mehr Menschen beteiligen, dass mehr Menschen schnell ihre Ideen einbringen.“

Immer mehr Bürger nutzen das Internet, um über Politik zu debattieren, sich zu engagieren, zu mobilisieren. So hat zum Beispiel die Nichtregierungsorganisation campact.de bereits eine halbe Million Menschen miteinander vernetzt. Sie wechseln öfters mit spektakulären Aktionen aus der virtuellen Welt in die reale. Dann rollt schon mal ein nachgemachter Castortransporter durch Großstädte, auf Ausschau nach einem Endlager für seine Fracht.

Zuletzt hat es der Erfolg der Piratenpartei bei den Berliner Senatswahlen noch einmal nachdrücklich unterstrichen: Das Internet ist eine bedeutende Plattform für die politische Willensbildung geworden. Um so wichtiger ist es, findet Martin Schallbruch vom Bundesinnenministerium, dass sich der Staatsbürger mit seinem bürgerlichen Namen vorstellt, wenn er im Netz politisch debattiert und mobilisiert.

„Wenn ich in einer Rezepte-Datenbank ein Käsekuchenrezept suche, dann möchte ich nicht zwingend die persönliche Identifizierung haben. Bei einer politischen Diskussion wünsche ich mir allerdings, dass derjenige, der seine persönliche Meinung dort vorträgt, der für diese Meinung wirbt, dies unter seinem Namen tut, wie es in der politischen Diskussion in unserem Land seit vielen Jahren üblich ist und wie es auch aus meiner Sicht zu einer ernsthaften demokratischen Kultur gehört.“

Prinzipiell hat Schallbruch nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Netzuser Pseudonyme zulegen – bei der Diskussion über Politik aber bitte nicht, denn die sei zu wichtig.

„Öffentliche Diskussionen sind ganz entscheidend für die politische Programmatik, für die Meinungsbildung der Abgeordneten, für das Handeln des Parlaments, für das Handeln der Regierung. Wer an dieser politischen Diskussion, an diesem Diskurs teilnimmt, der sollte hinter seinen Argumenten stehen. Die Verwendung des Klarnamens gibt den Argumenten Gewicht. Wer seinen Kommentar etwa unter Micky Mouse oder Donald Duck abgibt, tut dies nicht.“

Ohne dass der Staat die Internetuser dazu zwingen solle, möge es doch bitte in der Netzgemeinde obligatorisch werden, bei politischen Meinungsäußerungen seinen Namen zu nennen, den echten, wohlgemerkt. So der Wunsch des Vertreters des Bundesinnenministeriums – dem der SPD-Abgeordnete Klingbeil vehement widerspricht. Auch in der richtigen Welt würde doch nicht jedes Wort zur politischen Lage namentlich beglaubigt:

„Wenn Menschen am Infostand zu mir kommen und mir ihre politische Meinung kundtun, dann frage ich nicht, wie sie heißen, sondern dann fangen wir das Gespräch an. Auch bei Veranstaltungen und auch bei Demonstrationen gibt es keine Pflicht für Teilnehmer, Namensschilder zu tragen.“

Wer am Stammtisch oder auf einer Party ein galliges Schwätzchen darüber hält, welcher Partei er bei den nächsten Wahlen eine Abfuhr wünscht, der freut sich nach dem Katerfrühstück womöglich darüber, dass niemand dokumentiert hat, welcher der Beschwipsten was gesagt hat.

Wer dagegen im Internet im Rausch der Empörung einmal vom Leder zieht, dessen Sprüche werden von anderen Nutzern gerne verlinkt und vervielfältigt, zitiert und zerpflückt, und wenn man Pech hat, geschieht dies noch jahrelang und rund um den Globus. Worauf auch der Bundesdatenschutzbeauftragte, Peter Schaar, hinweist:

„Man muss wirklich diese beiden Dimensionen sehen. Die eine Dimension ist die weltweite Verfügbarkeit, und das andere ist die Tatsache, dass es einem ewig anhängt, was da mal rausgerutscht ist. Und beides ist wirklich völlig anders als in der realen Welt. Und jemand, der sagt: ‚Ich möchte, dass jeder auf der Versammlung seinen Namen nennt‘, der muss sich fragen lassen, ob er das wirklich ernsthaft auf die virtuelle Welt übertragen will, mit der Konsequenz, dass diese Informationen dauerhaft für jedermann weltweit verfügbar sind – und das halte ich doch für etwas zu kurz gesponnen.“

Wer in Deutschland lebt und hierzulande übers Internet politisch aktiv ist, der muss aber doch nichts befürchten, oder? Immerhin leben wir in einem demokratischen Rechtsstaat – aber nicht unbedingt unsere Angehörigen. Ein Deutscher iranischer Herkunft, der in Aachen Maschinenbau studiert und in Internetforen für Menschenrechte in Teheran streitet, wird sich dies eher trauen, wenn er das unter Pseudonym machen darf – ohne die Sorge, dass Tante und Onkel im Iran seinetwegen Repressalien erleiden müssen.

Doch auch Anderen kann es viel bedeuten, im Netz nicht unter ihrem Klarnamen auftreten zu müssen. Zum Beispiel den Nutzern von hungrig-online.de, dem größten Selbsthilfeverein für Essgestörte in Deutschland. Nicole Schuster ist eine der ehrenamtlichen Betreuerinnen, die ein Internetforum, Mailinglisten und Chats anbieten – Angebote, die die Hilfesuchenden deshalb akzeptieren, weil sie sie unter Pseudonym nutzen können. Nicole Schuster prophezeit: Könnte man hier nur noch unter Klarnamen schreiben, wäre dies das Ende der Selbsthilfeplattform.

„Ich gehe davon aus, dass dann sehr, sehr viele sich abmelden würden. Die Kommunikation würde mit ehrlichem Namen viel, viel unehrlicher ablaufen, unauthentischer. Denn wenn ich über meine wirklichen Ängste, meine realsten, tiefsten Probleme nicht mehr sprechen kann, weil ich Angst haben muss, dass unter Umständen mein Arbeitgeber mitliest oder meine Eltern, dann kann ich fast gar nichts mehr aussprechen.“

Für solche Anliegen haben auch konservative Politiker durchaus Verständnis: Nicht alle, die sich im Internet mit einem Pseudonym kostümieren, tun dies, um als Narr Schabernack zu treiben – das ist allerseits unbestritten. Doch wer sich ernsthaft am politischen Diskurs beteiligen wolle, der, so wünscht das Bundesinnenministerium, solle doch bitte mit seinem bürgerlichen Namen für seinen Standpunkt einstehen. Dass sich Politisches und Privates im Internet strikt trennen lassen, das bezweifelt indes der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz:

„Wenn sich die Anonymen Alkoholiker über die Notwendigkeiten der Drogenpolitik in Deutschland unterhalten, ist das dann eine politische Diskussion? Und will man dann da den Klarnamenzwang, wenn die eben ihre Forderungen an die Politik richten, formulieren? Dasselbe gilt für Repressionsopfer von häuslicher Gewalt oder was auch immer. Man kann diese theoretische Linie – was ist eigentlich politisch, was ist privat? -, die kann man nicht ziehen.“

Aber gesetzt den Fall, man täte es im Internet doch? Hypothetisch: Die Betreiber politischer Debattierklubs im Netz erhören den Wunsch des Bundesinnenministers und schreiben ihren Usern vor, Diskussionsbeiträge mit Klarnamen zu signieren. Solche Spielregeln ließen sich all zu leicht austricksen, behauptet Florian Glatzner, Internetexperte beim Verbraucherzentrale-Bundesverband, der Dachorganisation der Verbraucherverbände und -zentralen:

„Wenn sich nicht jemand jetzt mit einem Pseudonym ‚Schnuffi68‘ anmeldet, sondern einfach mit einem real klingenden Namen, dann wird das ja kein Betreiber erfahren. Wenn die Betreiber dafür sorgen würden, dann müssten sie es im Prinzip mit Ausweiskontrollen machen, und das, denke ich, würde auf jeden Fall viel zu weit gehen. Also alleine von der Durchsetzbarkeit her halte ich diese ganze Diskussion für höchst fragwürdig.“

Ausweiskontrollen im Internet? Da könne der Staat den Webseitenbetreibern – falls sie dies wünschen – technisch helfen, lässt das Innenministerium durchblicken: Um eine politische Meinung im Internet äußern zu dürfen, steckt der Staatsbürger den kürzlich eingeführten elektronischen Personalausweis in ein Lesegerät am PC, tippt eine PIN-Nummer ein und schaltet sich für die Teilnahme an der politischen Willensbildung auf dieser Webseite frei. Alles auf freiwilliger Basis natürlich!

Den Bundesdatenschutzbeauftragten, Peter Schaar, behagt ein solches Szenario überhaupt nicht:

„Natürlich ist es jedem Betreiber freigestellt, solche Regeln aufzustellen. Das ist schon richtig. Aber auf der anderen Seite würde es – wenn das sozusagen flächendeckend geschieht – einem Zwang natürlich auch gleichkommen. Das heißt: Wenn ich mich ins Internet begebe und eine politische Meinung äußere, dann würde das sozusagen immer persönlich registriert werden. Und die Alternative wäre, mich an einer solchen Debatte nicht zu beteiligen.“

Doch den Innenminister treibt nicht nur die Sorge um die politische Kultur zu seinem Vorschlag, er sorgt sich auch um die Sicherheit der Bürger – insbesondere vor politischem Extremismus.

Seinen Vorstoß, politische Debattenbeiträge im Internet mit dem Klarnamen zu verknüpfen, unternahm Minister Friedrich unmittelbar nach dem Terroranschlag in Norwegen. Der Islamhasser Anders Breivik hatte sein fanatisches Weltbild durch jahrelange Internetlektüre einschlägiger Blogs und deren Nutzerkommentare gefestigt – die meisten unter Pseudonymen verfasst. Friedrich verlangte daraufhin in einem Zeitschrifteninterview, Blogger sollten „unter offenem Visier“ antreten. Friedrich wörtlich:

„Politisch motivierte Täter wie Breivik finden heute vor allem im Internet jede Menge radikalisierter, undifferenzierter Thesen, sie können sich dort von Blog zu Blog hangeln und bewegen sich nur noch in dieser geistigen Soße. Wir haben immer mehr Menschen, die sich von ihrer sozialen Umgebung isolieren und allein in eine Welt im Netz eintauchen. Dort verändern sie sich, meist ohne dass es jemand bemerkt. Darin liegt eine große Gefahr – auch in Deutschland.“

Politische Wortmeldungen im Internet nur bei Namensnennung: das soll Recht und Ordnung schützen. Wenn das nicht mal ein Eigentor des für den Schutz der Verfassung verantwortlichen Ministers ist, spotten seine Gegner, und selbst politische Freunde wie der CDU-Abgeordnete Peter Tauber heben belehrend den Finger.

„‚Ein Blick ins Gesetz erspart viel Geschwätz‘, sagt mein Vater immer, der ist Jurist. Wir haben ja eigentlich genau das Gegenteil im Gesetz stehen. Im Telemediengesetz – ich glaube, es ist der Paragraf 13, Absatz 6 – steht ganz klar drin, dass die Anbieter verpflichtet sind, dem Nutzer die Möglichkeit zu geben, Plattformen anonym oder mit einem Pseudonym zu nutzen. Also wir haben eigentlich von der gesetzlichen Regelung genau das Umgekehrte geschaffen als Politik.“

Vorbildlich sei das, finden insbesondere konservative Politiker. Denn seine Identität mit einem Pseudonym zu maskieren, sei eine Unsitte. Die die Kriminalität befördere, den politischen Extremismus, den Terrorismus – oder zumindest die schlechten Manieren. Bei der politischen Debatte, die darob entbrannt ist, formieren sich erst allmählich die Schlachtreihen; die Kontrahenten wägen noch ab, mit welchen Argumenten sie sich bewaffnen sollen, und probieren verschiedenste aus. Unlängst hat der Bundesinnenminister, Hans-Peter Friedrich, ins Horn gestoßen, zur Hatz auf die Pseudonyme und ihre Wächter. Der IT-Direktor seines Ministeriums, Martin Schallbruch, unterstreicht:

Nun könnten Bundestag und Bundesrat das Telemediengesetz ja auch wieder ändern – bei der Verfassung ist das schon etwas schwieriger. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar erläutert:

„Das Bundesverfassungsgericht hat übrigens schon vor weitaus mehr als 20 Jahren deutlich gemacht, dass es eine vollständige Registrierung zulässigen politischen Verhaltens, zum Beispiel im Rahmen einer Demonstration oder Versammlung, nicht geben darf, dass ansonsten eine Gleichschaltung und ein Duckmäusertum drohe. Und das kann man übertragen auf das Internetzeitalter, wo man sagen muss: Wenn man sich immer namentlich von jedermann äußert, wenn diese Informationen auch namentlich zuordenbar sind, dann bedeutet das, dass auch staatliche Stellen – von welchen Staaten auch immer sogar – diese Informationen persönlich registrieren können. Und das ist nicht im Sinne eines wirklich offenen Meinungsaustauschs.“

Doch nicht nur dem Staat würde ein Klarnamengebot im Internet erleichtern, die politische Gesinnung seiner Bürger zu durchleuchten. Die Netznutzer könnten sich auch gegenseitig überwachen. Und das ohne besondere technische Vorkenntnisse – googeln kann jeder.

Man tippe zukünftig einfach nur einen Klarnamen in die Suchmaschine ein und drücke auf „Enter“ – und schon werden einem die Links auf die politischen Äußerungen aufgelistet, die dieser Bürger auf Webseiten getätigt hat. Ob als Leserkommentar zu einem Artikel, im Gästebuch eines Politikers oder als Diskussionsbeitrag in einem Forum.

Wer neugierig ist, welche Gesinnung der Wohnungsnachbar hat oder der Arbeitskollege, der Hausarzt oder der Bäcker von gegenüber, der würde im Internet rasch fündig werden. Er könnte erfahren, dass sich der neue Büropraktikant für die Rechte von HIV-Positiven einsetzt, dass sich der Klassenlehrer für die Partei der Linken interessiert und der eigene Sohnemann das Kiffen legalisieren möchte.

Ein jeder Bürger könnte zum Spitzel werden – und zugleich zum Bespitzelten. Wer sein Weltbild, seine Denkweise, seine politischen Werte nicht exhibitionistisch vor allen anderen entblößen wollte, dem stünde nur eine Möglichkeit offen: sich dem Medium Internet zu verweigern.

Und damit seine Chancen im politischen Wettstreit der Interessen und Meinungen zu verschlechtern. Betroffen wären vor allem diejenigen, die nicht zur politischen Mehrheitsgesellschaft gehören. Die auf das Internet setzen, um Gleichgesinnte zu finden, neue Standpunkte zu entwickeln, um Abwegiges, Anstößiges artikulieren zu können – die ihre libertäre Kultur durch die Verwendung von Pseudonymen schützen.

Am 8. August 2011, also kurz nach dem Vorstoß von Bundesinnenminister Friedrich, hatte ich in einem Blogpost meine Ablehung gegenüber der Aufhebung der Anonymität im Netz deutlich gemacht. Anfang September habe ich mit zahlreichen anderen Unterzeichnerinenn und Unterzeichnern einen Offenen Brief an google unterschrieben. deutlich gemacht.

Category
Tags

Comments are closed

Archive