Im Rahmen eines öffentlichen Fachgespräches hat die grüne Bundestagsfraktion am 26. September 2011 im Deutschen Bundestag darüber diskutiert, wie eine Reform der Informationszugangsgesetze am besten mit dem zivilgesellschaftlichen Ruf nach offengelegten Daten („Open Data“) verbunden werden kann.

Jürgen Trittin eröffnete im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages das Fachgespräch. Das Internet biete mehr denn je große Chancen für eine gelebte Informationsfreiheit, die mehr Transparenz, Engagement und Partizipation ermöglicht. Davon profitiere die gesamte Gesellschaft – vorausgesetzt, sie ist flächendeckend mit Breitbandanschlüssen ausgestattet. Zusammen mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Peter Schaar und Manfred Redelfs (Greenpeace) erinnerte Jürgen Trittin an die erheblichen Widerstände gegen zivilgesellschaftliche Initiativen für mehr Informationsfreiheit. Auch zum fünften Geburtstag des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) sei der Hinweis erlaubt, dass die CDU solche Regelungen einst als verfassungsfeindlich bezeichnet hat.

Mehr Transparenz, mehr Partizipation

Die demokratiepolitische Sprecherin Ingrid Hönlinger stellte den Fraktionsbeschluss zu Fraktionsbeschluss zu „Informationsfreiheit 2.0 und Open Data“ vor, der über das Internet zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet wurde. Die Initiative der Bundestagsfraktion zielt auf mehr Transparenz zum Zwecke demokratischer Partizipation, mehr Mitbestimmung und Einbringung der Kompetenzen von Bürgerinnen und Bürgern und auf die Freisetzung der wirtschaftlichen Potentiale offener Daten. Der Weg dorthin führt, mit Bezug auf Artikel 42 der EU-Grundrechtecharta, über eine Stärkung der Informationsrechte jedes Einzelnen. Nötig ist dazu eine proaktive Informationspolitik des Staates, die vor allem – wenn auch nicht ausschließlich – auf das Internet setzt. Ingrid Hönlinger stellte grüne Open-Data-Prinzipien vor und benannte die zentralen Herausforderungen:

  1. Wie bringen wir den Schwung positiver Energie aus der digitalen Zivilgesellschaft mit den Ansprüchen, aber auch Ängsten in den Verwaltungen zusammen?
  2. Wie machen wir die bestehenden zersplitterten Informationszugangsgesetze fit für die proaktive Internetpublikation von Dokumenten wie von Datensätzen, die der Öffentlichkeit gehören?
  3. Wie gestalten wir eine mindestens mittelfristige Absicherung von Open Data in Deutschland, sowohl auf rechtlicher, organisatorischer und finanzieller Ebene?

Zukunft der Informationsfreiheit im digitalen Zeitalter

Peter Schaar schilderte die Entstehung des ersten Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes und zog als Bundesbeauftragter für die Informationsfreiheit angesichts der anstehenden Evaluation eine optimistische, aber auch kritische Bilanz. Die vielen Ausnahmebestimmungen des IFG waren der parlamentarischen Durchsetzbarkeit geschuldet, eine wirkliche Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses im Informationsanspruch steht noch aus. Die Erwartungen in Sachen Korruptionsbekämpfung und -vermeidung haben sich bisher nicht erfüllt. Gleichzeitig hätten sich aber viele Befürchtungen der Verwaltungen nicht bewahrheitet: Es gibt keine unbewältigbare Flut von Anfragen nach dem IFG. Auch seien mittlerweile mehr kostenfreie Zugangsmöglichkeiten nötig, da der Aufwand von Gebührenbescheiden die Verwaltungen mehr Zeit koste als eine kostenfreie Bereitstellung.

Der Bundesbeauftragte für die Informationsfreiheit plädierte für einen Public Interest Test nach slowenenischem Vorbild, der die proaktive Veröffentlichung von Informationen befördert. Das Prinzip „access for one, access for all“ – was einmal freigegeben wurde, kann auch allen zur Verfügung gestellt werden – beschrieb er als Zwischenschritt zu einer umfassenden Open-Data-Politik. Informationen müssten für höheren Nutzen aufgearbeitet werden und in weiter verarbeitbaren Formaten publiziert werden. Wie Hönlinger wies er auf die notwendige Diskriminierungsfreiheit, zu der auch die Barrierefreiheit gehört, hin.

Ja zum Grundrecht auf Informationsfreiheit

Peter Schaar forderte zudem nachdrücklich ein Grundrecht auf Informationsfreiheit ein. Dieses Zugangsrecht müsse in der Verfassung festgehalten werden – die Notwendigkeit hierzu ist durch ein aktuelles Gutachten des Berliner Juristen Michael Klöpfer noch einmal deutlich betont worden. Schaars Plädoyer schlossen sich im Laufe des Abends viele Gäste explizit an. Der innen- und netzpolitische Sprecher Konstantin von Notz kündigte an, dass die grüne Bundestagsfraktion hierzu einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes in den Bundestag einbringen wird.
Vereinheitlichung der Informationszugangsgesetze

Die Notwendigkeit für eine Vereinheitlichung der aktuell 29 Informationszugangsgesetze in Deutschland benannte – neben Peter Schaar – auch Manfred Redelfs von Greenpeace, der den Entwurf für ein Bürgerinformationsgesetz vorstellte. Darin wird der nationale Sonderweg einer Zersplitterung in Informationsfreiheitsgesetze, Umweltinformations- und Verbraucherinformationsgesetze beendet – ausgehend von den hohen europäischen Standards des Umweltinformationsgesetzes. Im Rahmen des Bürgerinformationsgesetzes werden ebenfalls die Informationen zu Finanzdienstleistungen mit abgedeckt. Vage Klauseln, die gegen unliebsame Anträge verwendet werden, sollen damit in Zukunft ausgeschlossen sein; ein Public Interest Test ist bei jedem Einsatz von Ausnahmeregelungen vorzunehmen. Das Bürgerinformationsgesetz des Bundes enthält mehr aktive Informationspflichten und soll als Modell für die Bundesländer dienen. Es setzt eine einheitliche Frist von drei Wochen zur Beantwortung.

Anke Domscheit-Berg, Mitglied im Government 2.0-Netzwerk, stellte den aktuellen Stand der Dinge bei offenen Daten in Deutschland vor. Größter Vorreiter in Sachen Open Data sind dabei Kommunen, wie man an der Berliner Open Data Agenda und der Bremer Open-Government-Erklärung ersehen kann. Entscheidend sind dabei oft informelle Strukturen, die sich wie in Berlin um die gemeinsame Zielsetzung herum bilden.

Warum ist Deutschland weniger ehrgeizig als die Digitale Agenda der Europäischen Kommission?

Carl Christian Buhr, Mitglied im Kabinett der EU-Kommissarin Neelie Kroes, hob ebenfalls die Wichtigkeit von Partnerschaften zwischen öffentlichen Institutionen und engagierten Akteuren hervor. Mit der Digitalen Agenda stärke die EU die Vorteile der digitalen Welt, gerade was den Zugang zu offenen Daten betrifft (Folien auf Slideshare). Für den November 2011 ist die Novelle der Richtlinie zu den Informationen des öffentlichen Sektors (European Public Sector Information, mehr auf der EPSI-Plattform) angekündigt, mit der sich Rat und Europaparlament für etwa ein Jahr beschäftigen werden. Innerhalb des Vorschlags für ein neues Forschungsrahmenprogramm, so Buhr, setzt die EU auf den kostenfreien Open Access zu wissenschaftlichen Publikationen, der bis 2014 realisiert sein soll. Im Rahmen der laufenden Ausschreibung für ein pan-europäisches Datenportal sollen auch die Fragen zur Lizensierung von Daten geklärt werden. Das pan-europäische Datenportal soll auch Datenbestände aus den Mitgliedsländern zugänglich machen, die dezentralisiert eingespeist werden. Für die Verwaltung stellte Buhr Prozessänderungen in Aussicht: Zur Beförderung von Informationsfreiheitund offenen Daten seien gezielt zuständige Beamtinnen und Beamte in Behörden nötig.

Frag den Staat!

Stefan Wehrmeyer, Programmierer und Mitglied im Open Data Network, begeisterte zum Abschluss mit einer Vorstellung von fragdenstaat.de (Folien als PDF). Das im August gestartete Webportal bietet Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz an Bundesinstitutionen zu stellen. Die Erfahrungen dabei sind ermutigend: bisher gibt es über 250 Anfragen, von denen 155 öffentlich sind. 16 Auskunftsersuchen waren gänzlich, 13 teilweise erfolgreich, 7 wurden abgelehnt. Bei 62 Anfragen ist die Antwort bisher verspätet. Fragdenstaat.de lässt aber auch den Reformbedarf bei den Informationszugangsgesetzen deutlich zu Tage treten: Zwar werden Anfragen von vorneherein bürgerfreundlich sowohl nach IFG, Verbraucherinformations- und Umweltinformationsgesetz gestellt. Der „juristische Hammer“ von drei Gesetzen verkompliziere jedoch die Entwicklung des Portals unnötigerweise. Zudem fehle eine einheitliche Stelle, an die sich Bürgerinnen bei Ablehnungen wenden können.

Updates für die Informationsfreiheit 2.0

Konstantin von Notz legte nach einer lebhaften Diskussion die nächsten Schritte in Sachen Informationsfreiheit 2.0 dar. Einen Gesetzesentwurf für ein Grundrecht auf Informationsfreiheit wird die grüne Bundestagsfraktion in dieser Legislatur – nach einer ersten Initiative 2008 (BT-Drucksache 16/9607)– erneut vorlegen. Nötig sind einheitliche Informationszugangsgesetze, die auf den Standards der bisherigen Gesetzestexte aufbauen. Für die Verträge der öffentlichen Hand mit privaten Unternehmen, fügte von Notz hinzu, sind einheitliche Regeln für mehr Transparenz nötig.

Die Ergebnisse des Fachgesprächs wird die grüne Bundestagsfraktion auch in die Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ einbringen. Konstantin von Notz sprach sich für die grundsätzlich kostenfreie Bereitstellung offener Daten aus. Als Basis für die Nutzungslizenzen schlug er die bestehenden Regelungen zu Creative Commons vor, die am besten auf europäischer Ebene als Baukasten einsetzbar sind. Auch die Transparenz der Verwendung offener Daten für innovative Anwendung wird, so der innen- und netzpolitische Sprecher, als „Open Processing“ zukünftig eine stärkere Rolle spielen. Den unabdingbaren Mentalitätswandel in Behörden gilt es als Prozess zu verstehen, der auf eine neue Kultur der Zusammenarbeit von Bürgerinnen, Bürgern und dem Staat zielt.

Einigkeit bestand bei Referenten und Gästen, dass vor diesem Hintergrund der Nicht-Beitritt Deutschlands zur internationalen Open Government Partnership ein Armutszeugnis für die Bundesregierung darstellt.

Dokumentation

> Heise online vom 27.9.2011
> informationsfreiheitsgesetz.net vom 27.9.2011

> Video des Fachgesprächs auf Youtube

> Folien von Carl-Christian Buhr
> Folien von Stefan Wehrmeyer

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