Nach den Antworten auf den FAZ-Beitrag von @VolkerBeck dokumentieren wir hier die Replik des Parlamentarischen Geschäftsführers der grünen Bundestagsfraktion.

Auf dem Weg nach Duschanbe auf meiner Delegationsreise nach Tadschikistan konnte ich während des Flugs über die netzpolitische Schwimelei der Union nachdenken (etwas verspätet jetzt im Netz, da hier Netzanschluss noch keine Selbstverständlichkeit ist, im Gegenteil!). In den Sozialen Netzwerken machen diese dorobaeraltmaiers einen auf gute Laune und digitale Avantgarde. Politisch machen sie für die Freiheit im Netz keinen Finger krum. Man werfe nur einen Blick in die “Internet-Equete”. Hier blogge ich meine Sorgen um die Augenwischerei der Konservativen auf dem Weg in eine große Koalition. Und wenn alles schief läuft, sind die Piraten objektiv betrachtet (nolens volens) dabei ihre Steigbügelhalter.

Na, dann mal Tacheles 2.0

Die Reaktion der Union auf „Menschenrecht auf Netzzugang“ (FAZ 31.10.2011) und „pipio ergo sum“ auf „Beckstage“ erreichte mich, bevor ich vom tatsächlichen Erscheinen meines Artikels in der FAZ Kenntnis hatte. @DoroBaer tweetete fast schon beleidigt, weil ihr Name nicht in der FAZ stand, dies

“Hätte @Volker_Beck Größe bewiesen hätte er aus der Union heute im @FAZ_Feuilleton @petertauber oder @tj_tweets erwähnt. Nicht nur Innenpol.!”

und jenes

@Volker_Beck Da hätte ja der Tenor der bösen Internetausdrucker und -abschalter nicht mehr gepaßt! @peteraltmaier @petertauber @tj_tweetshnt. Nicht nur Innenpol.!”

und ein paar Stunden später meldete sich ein @hildwin, der Leiter von @cducsubt, zu Wort und äußerte seine private Meinung auf einer Linie mit @dorobaer

„Die Freiheit im Internet ist damit also gerade kein parteipolitischer Zankapfel, sondern selbstverständlicher Grundkonsens unserer Gesellschaft.“

Diese Botschaft ist bei den Konservativen überall zu finden: Es ist schwierig. Wir sind alles Lernende. Allenfalls die „Netzis“ (Originalton-Altmaier) oder die Piraten haben’s drauf. Oder wie es Peter Altmaier hilflos in der FAZ schrieb:

„Aus Sicht der Politik liegt das Problem mit der Netzpolitik allerdings darin, dass sehr wenige davon fast alles und sehr viele davon fast nichts verstehen. Das liegt daran, dass sich die reale Welt und die virtuelle Welt des Netzes über viele Jahre parallel zueinander entwickelt haben.“

Wir haben uns alle lieb bei Twitter. @dorobaer bestellt darüber Sachertorte und @peteraltmaier sammelt Häkelschweine. Aber am Ende geht es um Politik und nicht um Bauklötzchenstaunen beim „Internetgucken“. Oder wie es treffend unser grüner netzpolitischer Sprecher, @KonstantinNotz, einmal sagte: „Was zählt ist auf dem Platz!“. Doch @hildwin und @peteraltmaier wollen die PolitikerInnen ein bißchen dumm reden, nach dem mit Motto: Wir wissen alle nichts, außer eben diese Piraten, mit ihren „ausgetüftelten Computern“. Aber das ist falsch. Auch wenn sich meine Programmiergrundkenntnisse auf längst Vergessenes beim dBase-Programmieren in der Schule und etwas Studium der Computerlinguistik an der Uni Stuttgart in den 1980er Jahren beschränken, meine ich die entscheidenden Entwicklungen in ihrer kulturelle, grundrechtlichen und politischen Dimension dennoch verstanden und daraus meine Schlüsse gezogen zu haben:

  1. Die Digitalisierung erfordert neue Ideen im Urheberrecht, da die klassischen Maximen des Urheberrechtes bei Privatkopien nur noch symbolisch und exemplarisch per Abmahn-Guillotine durchzusetzen sind. Gleichheit vor dem Recht, Verhältnismäßigkeit und die legitimen Interessen vieler Autoren und Künstler , aber eben auch der Nutzer bleiben dabei auf der Strecke.
  2. Das entscheidende Rechtsproblem des Netzes ist seine Globalität, nicht fehlendes Recht. Mit nationalstaatlicher Rechtssetzung kommt man nicht weit. Für autoritäre Regime ist ein freies Internet per se eine Gefahr, deshalb brauchen wir eine Allianz und Kooperation demokratischer Staaten, die die Freiheit des Netzes und legitime Rechtsdurchsetzung gleichermaßen als ihre Mission sieht.
  3. Dieses offline-online-Ding: Warum lassen wir den Sicherheitsbehörden online Dinge durchgehen, die offline zu einem Sturm der Empörung geführt hätten?

Das thematisiert auch @hildwin, der sich in seinem Blog als Veteran der Volkszählungsboykottbewegung  zu erkennen gibt und damit die geistige Ahnherrenschaft für das „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ gleich ein wenig mit für die Union reklamiert.  Da kann man echt nur noch lachen! Deshalb jetzt mal die Fakten auf den Tisch: In der “offline Welt” würde man sich eine Hausdurchsuchung ohne Information des Untersuchten und heimlicher Ablichtung persönlicher Aufzeichnungen nicht gefallen lassen. Doch @peteraltmaier und @dorobaer haben am 12.11.2008 (siehe Plenarprotokoll Seite 72) ohne hörbare Kritik für das BKA-Gesetz (inkl. Onlinedurchsuchung) gestimmt. Und welch Überraschung, der @thomasoppermann war natülich auch dabei. Es grenzt an schizophrene Züge, “offline”, also im Bundestag, die Grundrechte im Internet abzuschaffen und “online” dann so zu tun, als sei man everybodys Darling der Netz-Community. Bislang galt der folgende Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts für Datenerfassungen:

“Dem Einzelnen soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gerade in seinen privaten Wohnräumen gesichert sein”

Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht selbst – unter hohen rechtlichen und technischen Hürden freilich– für die neuen Kommunikationstechnologien durchbrochen. Unter technisch wahrscheinlich kaum darstellbaren Bedingungen darf man die Spuren des Kommunikatiosverhaltens unbescholtener Bürgerinnen und Bürger aufzeichnen. Die perfide Logik ist dabei: Weil unter der Summe aller auch die Strizis sind, denen man mit Ermittlungen im Bereich ihrer Kommunikationsdaten auf die Spur zu kommen gedenkt. Ein Dammbruch, wenn man bedenkt, dass sonst die Datenerhebung nur unter Voraussetzung der Zweckbestimmung und solange hierfür erforderlich, gestattet wird. Die ED-Behandlung, die vergleichsweise harmlosere Daten erhebt (Fingerabdruck, Lichtbild) hat höhere rechtliche Hürden als die Erhebung unserer gesamten Kommunikationsdaten, die Aufschluss über unsere zeitlich und örtlich genau definierten Bewegungsmuster (siehe Malte Spitz in der Zeit) und unsere Kommunikationspartner gibt.

Die Digitalisierung von Daten zusammengenommen mit der erhöhten Leistungsfähigkeit der Computer hat vergleichsweise harmlosen Datenbeständen, die dereinst in Aktenordnern oder auf Kartei- bzw. später Lochkarten schlummerten, eine neue Brisanz verliehen. Sie lassen sich heute durchsuchen und zusammenführen, um damit personenbezogene Profile zu generieren. Wer hierauf Zugriff hat – ob Staat oder Private – hat eine Macht, die es so vorher nicht gab und die über Schicksale entscheiden kann.

Deshalb gilt: Datenarmut ist der beste Datenschutz. Und: Was offline keine Akzeptanz hat, darf man dem Staat oder Unternehmen online erst recht nicht durchgehen lassen. Die Digitalisierung erfordert beim Datenschutz neue und höhere Standards. Hierzu fehlt bei dem neue-Chancen-des-Internet-Gesülze von Merkel und ihren Followern jede klare und konkrete Aussage.Wir fragen mal ganz altmodisch: Sag mir wir wo du stehst und welchen Weg Du gehst? :

  • Kämpft Ihr mit uns für eine freies Internet, ohne Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung und für eine Verbesserung des Datenschutzes bei Staat und Wirtschaft?
  • Wo ist Euer Einsatz für ein Recht auf kommunikative Grundversorgung und die entsprechende flächendeckende Breitbandverkabelung? oder
  • Wollt Ihr nur ein bißerl bloggen, etwas twittern und mit uns Torte essen und Häkelschweine tauschen?

Wenn @peteraltmaier gerade Bauklötzchen staunend Twitter und das Netz erorbert und @dorobaer weiter nur darauf ist, dass sie jemand bei Twitter zur Sachertorte einlädt, lenkt das vom Wesentlichen ab: Die Union hat ein Interesse an der Optik, der Community vorzumachen, dass irgendwie alle Parteien gleichermaßen zur Freiheit im Netz indifferent bis ablehnend seien – bis auf diese Piraten. Das ist natürlich Kalkül: Berlin direkt hat es klar gemacht: Peter Altmaier will die Piraten stärken, um Rot-Grün zu schwächen. So hofft er statt Rot-Grün, auf Merkel als Kanzlerin einer Rot-Schwarzen Großen Koalition in die nächste Wahlperiode hinüberzuretten. Gut ausgedacht, Herr PGF-Kollege, aber sehr durchsichtig! Eine große Koalition wäre der Worst-Case für eine freiheitliche Innenpolitik und damit auch für die Freiheit im Netz.

Deshalb müssen sich die Piraten und ihre Wähler mit der Frage auseinandersetzen, was ihre Funktion in dieser Auseinandersetzung ist. Die aktuelle Debatte verheißt nichts Gutes. Und Christopher Lauer hat es eingestanden:

“Aber der @Volker_Beck hat recht: Kommen #Piraten in BT wird Koalition wahrscheinlich, die gegen Piratenthemen arbeitet.”

Wenn Piraten programmatisch und strategisch nicht klar machen können, wie und mit wem sie die Freiheit im Netz stärken können und wollen und was sie dafür bereit sind in Feldern mit weißen Flecken ihrer Programmatik mitzutragen, sind sie nicht mehr als Steigbügelhalter einer großen Koalition. Während der letzten großen Koalition verbreitete die Netzgemeinde #Stasi2.0 und #Zensursula als Hashtag und beschrieb damit – zugegeben etwas grob – die großen Linien der damaligen Innenpolitik. Das will keiner zurück haben – außer die sich im Sinkflug befindende Union. Dies sollten wir ihr aber nicht durchgehen lassen.

Da steht noch eine ernste Diskussion an. Denn Parteien und Kirchen haben einen wesentlichen Unterschied:
Einer Kirche reicht der rechte Glaube. Eine Partei ist darauf aus, vom erkannten Richtigen etwas ganz konkret durchzusetzen und nicht das Gegenteil davon zu bewirken.

P.S.: Das Netz ist sowohl Kanal für Kommunikation als auch Gegenstand von Politik und Recht. Das Nutzen des Kanals durch Altmaiers Netzis sollte man nicht mit einer konsequenten Parteinahme für die Freiheit im Netz verwechseln.

P.S.S.: Ich mag den @peteraltmaier als Mensch, aber seine Partei steht für eine Politik des Internets, die auf Abbau der Bürgerrechte und Grundfreiheiten setzt und Integrität und Zugang zum Internet in ihrer sozialen und freiheitlichen Dimension negiert. Über diese Differenz können wir nicht hinwegzwitschern.

[Crossposting von Beckstage]

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