Bis vor Kurzem verhandelten Union und SPD über einen Koalitionsvertrag für die kommende Legislaturperiode. Auf der Agenda und besonders im öffentlichen Fokus standen dabei die Vorschläge zur Netzneutralität. Im Zuge der einzelnen Runden wurden immer wieder neue Verhandlungsstände geleakt. Während erste Formulierungen noch Hoffnung versprachen, wurden diese im Zuge späterer Entwürfe enttäuscht, die entsprechenden Passagen weiter und weiter verwässert. Die nun vorgelegten Vorschläge zur Netzneutralität enttäuschen. Die nun finalisierten Formulierungen sind dermaßen verschwurbelt, dass ihr tatsächlicher Aussagewert – wahrscheinlich bewusst – leider nur sehr begrenzt ist. Auch vor dem Hintergrund einer seit nunmehr seit mehreren Jahren sehr intensiven Diskussion um die gesetzliche Wahrung der Netzneutralität, einem zuletzt durch die Pläne der Telekom offenbar gewordenem großen Handlungsdruck und einer sehr klaren bisherigen Positionierungen der SPD in dieser Frage, ist die letztendlich verabschiedete Passage zur Netzneutralität eine Enttäuschung.
In einem Gastbeitrag für eine Debattenserie des Medienmagazins ZAPP zur Netzneutralität habe ich die Diskussion der letzten Jahre und die nun vorgelegten großkoalitionären Vorschläge zur Rettung der Netzneutralität bewertet. Wie immer gilt: Über Eure Kommentare und Anregungen freue ich mich.
Zwei-Klassen-Internet gesetzlich verhindern!
Die Neutralität der Übertragungsnetze sei eine Schlüsselfrage der digitalen Gesellschaft. Die Bundesregierung müsse daher eingreifen und sie gesetzlich garantieren, meint der Grünen-Politiker von Notz in der ZAPP-Debatte über Netzneutralität.
Ein Gastbeitrag von Konstantin von Notz, Grüne
Die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Übertragung von Daten war essenziell für die bisherige Entwicklung des offenen und freien Internets, wie wir es heute kennen. Zugleich ist es auch von entscheidender Bedeutung für dessen zukünftige demokratische und wirtschaftliche Innovationskraft. Angriffe großer Telekommunikationsunternehmen auf die Netzneutralität gefährden das offene Internet derzeit massiv. Sowohl die schwarz-gelbe Bundesregierung als auch die Europäische Kommission weigerten sich bislang beharrlich, die Netzneutralität effektiv abzusichern. Ihr Laissez-faire-Ansatz ist krachend gescheitert, eine gesetzliche Absicherung der Netzneutralität ist überfällig. Leider hat die schwarz-rote Koalition aus den in der Vergangenheit gemachten Fehlern nichts gelernt.
Schlüsselfrage der digitalen Gesellschaft
Die Diskussion um die gesetzliche Wahrung der Netzneutralität wird seit langem, sowohl auf bundesdeutscher wie auf europäischer Ebene, kontrovers geführt. Es geht um nicht weniger als einer der Schlüsselfragen unserer digitalen Gesellschaft.
Im Bundestag hat sich die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ in einer eigenen Projektgruppe intensiv mit der Thematik beschäftigt. Parallel hat EU-Kommissarin Kroes eine Studie in Auftrag gegeben, um den Bedarf an gesetzgeberischen Maßnahmen auszuloten. Sowohl die Arbeit der Enquete-Kommission als auch die Studie der EU-Kommission haben den hohen Handlungsbedarf noch einmal verdeutlicht.
Schon heute verstoßen zahlreiche Anbieter, vor allem im Mobilbereich, gegen das Prinzip der Netzneutralität: Das Verlangsamen und Sperren von Peer-to-Peer-Verkehr sowie von Internettelefonie ist heute weit verbreitet. Immer wieder wird dabei auch auf höchst umstrittene Techniken wie die „Deep Packet Inspection“ zurückgegriffen, die Meta- und Inhaltsdaten ausliest und damit direkt in das Telekommunikationsgeheimnis eingreift.
Der durch die großen Telekommunikationsanbieter ausgeübte Druck, die bislang geltende Netzneutralität endgültig aufzukündigen, steigt derzeit massiv. Wurde der Wunsch nach Aufkündigung des bislang geltenden Prinzips der Netzneutralität in der Vergangenheit lediglich hinter vorgehaltener Hand geäußert, wird er heute offen ausgesprochen – derzeit vor allem von einem Unternehmen, dessen Hauptanteilseigner der Bund ist.
Daten-Priorisierung ohne gleichzeitige Diskriminierung möglich?
Obwohl im Bundestag entsprechende Initiativen der Opposition seit mehreren Jahren vorliegen und sich auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments fraktionsübergreifend für eine gesetzliche Regelung ausgesprochen haben, stellten Bundesregierung und EU-Kommission vermeintliche Wirtschaftsinteressen immer wieder vor die Interessen von 500 Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher.
Die Gretchenfrage, wie eine Priorisierung bestimmter Daten nicht automatisch mit einer Diskriminierung anderer Daten einhergehen soll, blieb bis heute unbeantwortet. Die von CDU/CSU und FDP im Zuge der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes vorgelegte Verordnungsermächtigung ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht.
Während CDU/CSU und FDP bis heute suggerieren, man könne auf diesem Wege die Netzneutralität tatsächlich sichern, haben alle Oppositionsfraktionen, also auch die nun am großkoalitionären Verhandlungstisch sitzende SPD, gemeinsam mit zahlreichen Bürgerrechts- und Verbraucherschutzorganisationen seit langem darauf hingewiesen, dass durch die vorgelegten Entwürfe das Vorgehen von Telekom und Co. letztendlich sogar legalisiert werden würde. Die direkte Folge wäre ein „Zwei-Klassen-Internet“, in dem die Daten derjenigen bevorzugt werden, die mehr zahlen können.
Die geschäftsführend tätige Bundesregierung hat ihr Scheitern im Bereich der Netzneutralität mittlerweile eingestanden. Dies war der letzte politische Offenbarungseid einer angesichts der Herausforderungen der digitalen Welt maßlos überforderten Regierung.
Vorschläge einer effektiven gesetzlichen Absicherung der für unsere moderne Wissens- und Informationsgesellschaft elementaren Netzneutralität liegen seit langem vor. Der nun vorgelegte Koalitionsvertrag zeigt eines sehr deutlich: Auch in der nächsten Legislatur steht zu befürchten, dass es keine effektive gesetzliche Absicherung der Netzneutralität geben wird. Während man sich in ersten Entwürfen noch darauf verständigte, eine solche gesetzliche Regelung vorlegen zu wollen, wurden die Passagen im Zuge weiterer Verhandlungsrunden peu a peu verwässert.Nach wie vor scheint es vor allem auf Seiten der Union keinen politischen Willen für eine effektive rechtliche Klarstellung in einer der Schlüsselfragen des Digitalen zu geben. Dass die SPD diesen Kurs, trotz sehr klarer Forderungen in der zurückliegenden Legislatur, nun mitträgt, ist mehr als bedauerlich. Dass die Bereitschaft, aus den in der Legislatur gemachten netzpolitischen Fehlern zu lernen, bereits am großkoalitionären Verhandlungstisch geopfert wird, ist nichts anderes als ein klassischer Fehlstart in Sachen Netzpolitik der Großen Koalition. Dass auch sie von vornherein den Kopf vor den Herausforderungen des digitalen Wandels in den Sand steckt, ist mehr als bedauerlich.
Der Gastautor
Dr. Konstantin von Notz war in der vergangenen Legislaturperiode innen- und netzpoltischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und Obmann der Grünen in der Enquete-Kommission “Internet und digitale Gesellschaft”.
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