Das Prinzip der Netzneutralität war nicht nur grundlegend für die bisherige, offene Entwicklung des Internets, es ist zugleich von entscheidender Bedeutung für dessen zukünftige demokratische und wirtschaftliche Innovationskraft. Durch das Infragestellen des Prinzips der Netzneutralität gefährdet die Bundesregierung die innovations- und demokratiefördernde Wirkung des Internets nachhaltig. Doch das ficht sie nicht an. Da sie selbst kein Geld in die Hand nehmen will, verdealt sie die Netzneutralität gegen die Zusage der Unternehmen, den ländlichen Raum mit breitbandigem Internet zu versorgen. In einem Gastbeitrag, den ich für medienpolitik.net verfasst habe, fordere ich die Bundesregierung auf, ihre jüngsten Überlegungen schleunigst ad acta zu legen und sich sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene entschlossen für die Wahrung der Netzneutralität einzusetzen. Hier findet Ihr den Originalbeitrag auf den Seiten von medienpolitik.net.

Netzpolitik:

Jetzt oder nie!

Gesetzliche Regelung zur Wahrung der Netzneutralität

von Dr. Konstantin von Notz, MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und netzpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion sowie Obmann im Ausschuss „Digitale Agenda“

Das Prinzip der Netzneutralität, also die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Übertragung von Datenpaketen, war nicht nur grundlegend für die bisherige, offene Entwicklung des Internets, es ist zugleich von entscheidender Bedeutung für dessen zukünftige demokratische und wirtschaftliche Innovationskraft. Durch das Infragestellen dieses Prinzips gefährdet die Bundesregierung die innovations- und demokratiefördernde Wirkung des Internets nachhaltig. Doch das ficht die Bundesregierung nicht an. Da sie selbst kein Geld in die Hand nehmen will, verdealt sie eines der grundlegendsten Prinzipien der digitalen Welt gegen die Zusage der Unternehmen, den ländlichen Raum mit breitbandigem Internet zu versorgen. 

Die Diskussion um die Wahrung der Netzneutralität und darüber, ob es einem gesetzlichen Schutz dieser bedarf, wird seit Jahren, sowohl auf bundesdeutscher wie auf europäischer und internationaler Ebene hoch kontrovers geführt. Auch die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des 17. Deutschen Bundestags hat sich intensiv in einer eigenen Projektgruppe mit dem Thema beschäftigt. Parallel wurde auf EU-Ebene ein Konsultationsprozess gestartet, um den Bedarf an weiteren – auch gesetzgeberischer – Handlungen auszuloten. Trotz dieser intensiven Diskussionen und der Erkenntnis, dass die Netzneutralität akut gefährdet ist, haben es die Bundesregierung unter Angela Merkel bis heute verpasst, eine Regelung vorzulegen, die ihren Namen auch verdient. Die von der schwarz-gelben Vorgängerregierung vorgelegte Pseudo-Regelung, da waren sich alle Fachleute einig, reicht bei Weitem nicht aus, um die Netzneutralität langfristig abzusichern. Viele Telekommunikationsfirmen, das ist das Ergebnis einer Studie, die die europäischen Regulierungsbehörden vorgelegt haben, verstoßen gegen das Prinzip der Netzneutralität. Laut der Studie ist die vollständige Blockade und das bewusste Verlangsamen von Peer-to-Peer-Verkehr sowie von Internet-Telefonie weit verbreitet. Um entsprechende Sperrungen vorzunehmen, wird immer wieder auch auf höchst umstrittene Techniken wie die „Deep Packet Inspection” zurückgegriffen.

Der politische Druck, die Netzneutralität aufzubohren, ist seit langem hoch. Wurde dieser Wunsch in den vergangenen Jahren nur hinter vorgehaltener Hand geäußert, wird er heute mit Hinweis auf angeblich bestehende Kapazitätsengpässe offen ausgesprochen – und trifft leider auf offene Ohren bei der Bundesregierung. Gerade hat, nachdem derartige Absichtsbekundungen schon am Rande des Nationalen IT-Gipfels vorgebracht wurden, sich auch Kanzlerin Merkel für die Einführung sogenannter „Spezialdienste“ ausgesprochen – ohne zu definieren, was genau darunter zu verstehen ist. Die Gretchenfrage, wie eine Priorisierung bestimmter Daten nicht automatisch zur Diskriminierung anderer führen soll, kann die Bundesregierung dabei bis heute nicht beantworten. Dass auch die SPD, die bislang für eine gesetzliche Absicherung der Netzneutralität eintrat, nun willfährig Schützenhilfe leistet und eines der grundlegendsten Prinzipien der digitalen Welt verramscht, ist ein Armutszeugnis. Noch so wohlklingende Absichtserklärungen der jüngst vorgelegten „Digitalen Agenda“ werden so zur Makulatur.

Spätestens jetzt ist klar: Die Bundesregierung will das Prinzip der Netzneutralität endgültig aufgeben und künftig sogenannte „Spezialdienste“ zulassen. Statt die seit Jahren bedrohte Netzneutralität endlich gesetzlich abzusichern, hat sich die schwarz-rote Bundesregierung also entschlossen, die Netzneutralität zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher zu opfern. Das ist bitter. Durch die Ermöglichung der Einführung undefinierter „Spezialdienste“ schafft die Bundesregierung ein „Zwei-Klassen-Internet“, das schlicht denjenigen bevorzugt, der mehr für Extraleitungen und beschleunigte Übertragung seiner Daten zahlen kann. Das schließt eben längst nicht nur kritische Dienste, sondern beispielsweise kommerzielle Streamingdienste von heute bereits marktmächtigen Anbietern ein. Will man die Netzneutralität als Garant für die Innovationskraft des Netzes und seiner demokratischen Struktur bewahren, muss die Bundesregierung von ihren unausgegorenen und gefährlichen Plänen umgehend Abstand nehmen. Wie schon das Leistungsschutzrecht für Presseverlage wird ansonsten auch die Aufgabe der Netzneutralität für massive Kollateralschäden sorgen. Die Bundesregierung sollte bei alledem berücksichtigen, dass ganz ähnliche Pläne der Europäischen Kommission zur Einführung von Spezialdiensten wie sie nun die Bundesregierung anstellt, am fraktionsübergreifenden Widerstand des Europäischen Parlaments gescheitert sind.

Als grüne Bundestagsfraktion haben wir die Bundesregierung bereits im November 2010 dazu aufgefordert, sich nicht nur auf deutscher, sondern auch auf europäischer Ebene für eine gesetzliche Regelung zum Schutz der Netzneutralität einzusetzen. Andere Länder haben uns mittlerweile vorgemacht, wie eine solche Regelung aussehen könnte. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments haben sich im November 2011 mit großer Mehrheit in einer Entschließung für die Wahrung der Netzneutralität ausgesprochen und die Kommission aufgefordert, gesetzgeberisch tätig zu werden. Der zuständige Berichterstatter, der CDU-Parlamentarier Herbert Reul, ließ sich mit folgenden Worten zitieren: „Unsere klare Botschaft ist: Wir wollen das offene Internet erhalten.” Deutliche Worte, die bei der Kanzlerin Merkel und ihrer Bundesregierung leider noch nicht angekommen zu sein scheinen.

Die Zeit, die Netzneutralität durch eine effektive gesetzliche Regelung abzusichern, ist mehr als reif. Die Bundesregierung muss ihre jüngsten Überlegungen schleunigst ad acta legen und sich sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene entschlossen für die für unsere moderne Wissens- und Informationsgesellschaft sowie die weitere demokratische und wirtschaftliche Entwicklung eines freien und offenen Internets so elementare Netzneutralität einsetzen. Denn, wie sagte Julia Klöckner, Landesvorsitzende der CDU in Rheinland Pfalz und Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion hier erst kürzlich: „Wir können nicht alles dem Markt überlassen“. Recht hat Frau Klöckner. Als Verbraucherinnen und Verbraucher dürfen wir es daher nicht zulassen, dass die Bundesregierung eines der grundlegendsten Prinzipien der Teilhabegerechtigkeit in der digitalen Welt verdealt. Wir müssen unsere Stimme erheben und ihr klarmachen, dass Weihnachten zwar naht, dies aber kein Grund ist, wenigen großen Firmen Geschenke zu Lasten von Verbraucherrechten und einem freien und demokratischen Netz zu machen.

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