Der Ausschuss für Rechte und Pflichten im Internet des italienischen Abgeordnetenhauses und der Ausschuss der französischen Nationalversammlung für Überlegungen und Vorschlägen zum Recht und zu den Freiheiten im digitalen Zeitalter haben eine gemeinsame Erklärung verfasst, welche soeben an die Abgeordneten des Ausschuss „Digitale Agenda“ des Deutschen Bundestags übermittelt wurde. Die  gemeinsame Erklärung ist, gemessen an den Dingen, die die Große Koalition netzpolitisch in Deutschland derzeit fabriziert, als extrem progressiv und begrüßenswert einzuschätzen.

So wird u.a. die Bedeutung des Internets als Gemeingut betont, die Sicherung der Netzneutralität gefordert, genauso die Anerkennung und der Ausbau des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und die Notwendigkeit, Inhalte im Internet unter Verwendung eines Pseudonyms oder in anonymer Form veröffentlichen zu können. Zur Erinnerung: In der letzten Wahlperiode waren es noch die Abgeordneten anderer Parlamente, die ehrfürchtig auf die netzpolitische Arbeit im Bundestag blickten, heute ist es andersherum. So verspielt man die Chance, als Parlament netzpolitisch Impulsgeber zu sein und legt stattdessen eine Initiative nach der anderen vor, die das Internet, wie wir es heute kennen, gefährdet.

Vor diesem Hintergrund darf man sehr gespannt sein, ob die Erklärung, die „einen nützlichen Beitrag in einer möglichst breit angelegten Debatte über die Notwendigkeit einer Aktualisierung des Rahmens der Grundsätze für das Internet […] im Geist des Schutzes der Grundfreiheiten und der Grundrechte“ leisten soll, dieses Ziel tatsächlich erreicht. Dem Wunsch der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, dass die Erklärung „in Ihren Parlamenten auf ein positives Echo stößt und den Weg für weitere gemeinsame Initiativen ebnet“ schließen wir uns auf jeden Fall vorbehaltlos an.

Der Ausschuss für Rechte und Pflichten im Internet des italienischen Abgeordnetenhauses und der Ausschuss der französischen Nationalversammlung für Überlegungen und Vorschläge zum Recht und zu den Freiheiten im digitalen Zeitalter geben gemeinsam folgende Erklärung ab:

Das Internet ist zu einer für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung unserer demokratischen Gesellschaften unverzichtbaren Technik geworden. In diesem Sinne ist es als Gemeingut zu betrachten, das nicht einer Aneignung zum Vorteil privater oder öffentlicher Akteure anheimfallen darf, sondern im Dienste der Menschen stehen muss. Unsere beiden Ausschüsse betrachten es daher als angemessen, international das Verständnis des Internets als weltweites Gemeingut zu betonen.

Unsere Ausschüsse erinnern daran, das die laut internationalen Texten jedem Menschen zustehenden Grundfreiheiten und Grundrechte, insbesondere die Grundrechtecharta der Europäischen Union und die europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Verfassungen und die Gesetze auch im Internet gewährleistet sind.

Die Ausschüsse betrachten das Recht auf Zugang zum Internet heutzutage als Grundrecht, das die Ausübung anderer Grundrechte fördert, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht, zu informieren und informiert zu werden, die unternehmerische Freiheit und die Freiheit der Innovation sowie die Versammlungsfreiheit.

Sie wünschen, dass auf höchster Ebene der Rechtsetzung ausdrücklich der Grundsatz der Neutralität des Internets festgelegt werde als unabdingbare Voraussetzung für die tatsächliche Ausübung der Freiheiten im digitalen Zeitalter.

Angesichts der explosionsartigen Nutzung persönlicher Daten werden die Europäische Union und die nationalen Gesetzgeber in den kommenden Jahren den Schutz der Grundrechte angesichts der Nutzung dieser Daten zu industriellen und kaufmännischen Zwecken und die Kontrolle der Einzelpersonen über ihre persönlichen Angaben stärken müssen. Die Ausschüsse wünschen die Anerkennung eines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, die es jedem Einzelnen ermöglicht, über die Mitteilung der eigenen Daten selbst zu entscheiden und die Kontrolle über deren Nutzung zu behalten, so dass man sich im digitalen Universum frei entfalten kann.

Die persönlichen Daten müssen geschützt werden, um die Achtung vor der Würde und dem Privatleben jedes Einzelnen sicherzustellen. Sie sind unter Achtung der Grundsätze der Notwendigkeit, der Zweckgebundenheit, der Zweckdienlichkeit und der Angemessenheit zu verarbeiten. Sie dürfen nur mit der wissenden Zustimmung des Betroffenen erfasst und verarbeitet werden.

Unsere Ausschüsse bekräftigen, einige Grundsätze zu teilen: das Recht jedes Einzelnen, Zugang zu den eigenen persönlichen Daten zu erhalten, um ihre Änderung oder Löschung zu verlangen, das Recht jedes Einzelnen, Zwecke und Verarbeitungsweise der ihn betreffenden Daten zu erfahren sowie das Recht, nur die zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen oder für die Lieferung von Waren und Dienstleistungen im Internet unabdingbaren Daten zu liefern.

Unsere Ausschüsse erklären, dass keine gerichtliche oder verwaltungsrechtliche Maßnahme, keine Handlung oder Entscheidung mit erheblichen Auswirkungen auf einen Menschen ausschließlich auf der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten beruhen darf, die darauf abzielen, das Profil oder die Persönlichkeit des/der Betroffenen zu erstellen.

Die Verwendung von Algorithmen und Techniken der Wahrscheinlichkeitsrechnung sind den Betroffenen bekannt zu geben, denen in jedem Fall die Möglichkeit gegeben sein muss, sich dem Erstellen und der Verbreitung von Profilen, die sie betreffen, zu widersetzen. Besonderes Augenmerk ist auf die Risiken zu legen, die mit Verfahren der Personalisierung, insbesondere der Diskriminierung, der Manipulation und der Verletzung des Grundsatzes der kulturellen Vielfalt und der Meinungsvielfalt verbunden sind.

Unsere Ausschüsse betrachten es als notwendig, die Erfordernisse der nationalen Sicherheit und des Erhalts der öffentlichen Ordnung mit dem Schutz der Rechte und Freiheiten der Bürger in Einklang zu bringen. Sie unterstreichen, dass jede Art der Datenverarbeitung, die dafür anfällig sein könnte, unterschiedslos jeden Bürger zu betreffen, um mögliche Gefahren oder Verdachtsmomente ausfindig zu machen, stellt einen Missbrauch dar und ist zu bestrafen. Der Speicherung von Daten und Metadaten sind nach Art, Menge, Dauer und Zugangsbedingungen enge Grenzen zu setzen, so dass Grundrechte und Freiheiten geachtet werden.

Unsere Ausschüsse betrachten es als erforderlich, das von der europäischen Rechtsprechung anerkannte Recht auf Vergessen zu bekräftigen und in angemessener Form zu präzisieren, um auch das Recht auf Information sowie auf die Freiheit der Meinungsäußerung zu bewahren.

Unsere Ausschüsse betonen, dass das Briefgeheimnis auch für Mitteilungen im Internet zu gelten hat, und erkennen die Möglichkeit an, Inhalte im Internet unter Verwendung eines Pseudonyms oder in anonymer Form zu veröffentlichen, um bürgerliche und politische Freiheiten zu nutzen, ohne Diskriminierungen oder einer Zensur zu unterliegen. Die Freiheit, Anonymisierungs- und Verschlüsselungstechniken zu entwickeln und zu verwenden, stellt eine konkrete Voraussetzung für die Ausübung dieses Rechts dar. Das Briefgeheimnis und die Anonymität dürfen nur durch eine begründete, vor einem Gericht in öffentlicher Sitzung und in einem fairen, kontradiktorischen Verfahren anzufechtende Gerichtsentscheidung aufgehoben werden.

Unsere beiden Ausschüsse verlangen eine Stärkung der Rechte und Garantien der Menschen gegenüber den Plattformen, insbesondere das Recht, klare und vereinfachte Informationen über deren Funktionsweise zu erhalten. Die Plattformen müssen unter Beachtung des Grundsatzes des Wettbewerbs und der Innovation auch die Bedingungen für eine angemessene Interoperabilität der wesentlichen Techniken, Funktionen und Daten mit anderen Plattformen fördern. Unsere Ausschüsse erinnern daran, dass die Regeln des Pluralismus und des Wettbewerbs auch auf die digitale Welt anzuwenden sind, wobei den Gefahren von Konzentrationen vorzubeugen und der Missbrauch einer Vormachtstellung, den manche Akteure insbesondere durch die Verwendung von Algorithmen zur Erstellung von Ranglisten begehen könnten, zu bestrafen ist.

Unsere beiden Ausschüsse sind der Ansicht, dass jeder öffentliche oder private Träger, der persönliche Daten erfasst oder verarbeitet oder Verarbeitungen vornimmt, die das Privatleben der Menschen betreffen können, verpflichtet sein muss, über seine Tätigkeit Rechenschaft abzulegen, das heißt, den Nachweis zu erbringen, dass er die Individualrechte achtet, er muss durch unabhängige Dritte überwacht und im Falle mangelnder Achtung mit Sanktionen belegt werden können.

Schließlich unterstreichen unsere Ausschüsse noch die Unabdingbarkeit der Erziehung zum Digitalen als wesentlicher Bestandteil, um jeder/m die Ausübung des Rechts auf Zugang und den Schutz der individuellen Freiheiten der Menschen zu gewährleisten, und erklären, dass jede/r das Recht hat, die erforderlichen Fähigkeiten zu erwerben, um Internet in verantwortlicher und bewusster Weise zu nutzen.

Die Ausschüsse verlangen, dass die Gemeingüter der Kultur und des Wissens rechtliche Anerkennung erfahren, beispielsweise die digitale Fassung von Werken des Gemeinguts oder Güter wie Ideen und Fakten, die sich nicht ein Einzelner aneignen kann.

Paris, den 28. September 2015

Tags

Comments are closed

Archive