Seit den Anschlägen von Paris diskutieren wir über die zu ziehenden Konsequenzen. Immer deutlicher werden die eklatanten Versäumnisse der Sicherheitsbehörden im Vorfeld der Taten. Wie auch bei vorherigen Anschlägen waren die späteren Täter seit Jahren bekannt. Dennoch konnten sie unbehelligt quer durch Europa fliegen, sich in Terrorcamps ausbilden lassen und problemlos an Maschinengewehre und Sprengstoff kommen. Statt diese massiven Versäumnisse anzugehen, führen wir derzeit wieder Scheindebatten über Verschärfungen von Sicherheitsgesetzen, die in Wahrheit eben nicht zu mehr Sicherheit führen. Populistisch besonders hervor getan hat sich dieser Tage die SPD. Gleichzeitig ist die Debatte über den Wert von Anonymität im Netz und Verschlüsselung erneut voll entbrannt.

Für Causa, das neue Debatten-Portal des Tagesspiegels, habe ich einen Gastbeitrag verfasst, der versucht, die derzeitige Debatte zusammenzufassen und aufzuzeigen, dass allzu leichte Antworten aus der Mottenkiste konservativer Sicherheitspolitik uns keinen Deut weiterbringen, wenn es darum geht, Sicherheit tatsächlich zu erhöhen. Weitere Beiträge haben Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, und andere verfasst. Hier findet Ihr meinen Beitrag im Original, hier den von Stephan Mayer, hier eine Übersicht aller Beiträge.

SICHERHEITSPOLITIK NACH DEN ANSCHLÄGEN VON PARIS 

Freiheitsabbau wäre Kapitulation

von Konstantin von Notz

Nach den Attentaten von Paris holen konservative Sicherheitspolitiker wieder ihre sinnlosen Vorschläge aus der Kiste. Doch nicht Grenzzäune oder die anlasslose Vorratsdatenspeicherung bringen uns weiter – sondern mehr Personal für die Polizei und die Integration von Migranten, sagt Konstantin von Notz, der stellvertretene Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag.

Die entsetzlichen und verstörenden Anschläge von Paris zielten auf die Unbeschwertheit und Lebensfreude, und damit letztlich auf die Freiheit unseres Zusammenlebens in Europa. Es ist die gezielte Strategie des IS, durch Terror unseren Rechtsstaat anzugreifen, darauf hoffend, dass die Angst Freiheit und Zusammenhalt zersetzen. Auf diesen Terror mit Freiheitsabbau, spalterischen und angstgetrieben Parolen zu antworten, hieße kapitulieren und in die Falle der Terroristen zu tappen.

Auf Terror darf nicht mit Freiheitsabbau geantwortet werden. Das wäre Kapitulation

Die Anschläge waren kaum beendet, man wusste noch nichts über die Täter und es war noch keine Zeit, um die Opfer zu trauern, da versuchten einige schon wieder politisches Kapital aus diesen Ereignissen zu schlagen. Politiker wie Markus Söder (CSU) verwebten die eigene politische Agenda in unlauterer Weise mit den Ereignissen von Paris. Man gönnte dem IS den Erfolg und verknüpfte die Taten – alle ausgeführt von in Frankreich geborenen und in Europa lebenden jungen Männern – mit den in Not zu uns flüchtenden Männern, Frauen und Kindern. Flüchtlinge wurden unter Generalverdacht gestellt.

Diese Reaktionen auf Paris waren nicht nur pietätlos und zynisch. Sie zeigen auch, worum es so manchem in den letzten Tagen ging: Nämlich nicht darum, mit kühlem Kopf zu analysieren, Mängel aufzuspüren und unsere Sicherheit zu erhöhen. Es ging auch nicht darum, unsere europäischen Werte, Offenheit, Toleranz, Freiheit, auf die die Terroristen bewusst abzielten, zu verteidigen. Es ging um die Durchsetzung der eigenen, alten sicherheitspolitischen Agenda. Es ging um einfache Antworten, wo diese sich verbieten.

Im Bereich der Innenpolitik ist dieses Muster altbekannt. Die Diskussionen sind immer die gleichen, die Anlässe und Argumente austauschbar: Es geht um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, es geht um das Ziehen neuer Grenzzäune auf unserem Kontinent, es geht um die Verhinderung statt Förderung von Integration und immer wieder auch um eine massenhafte Überwachung in Echtzeit und auf Vorrat von möglichst Allem und Jeden. Der Anspruch ist total. Aus den Augen verloren wird hierdurch jedoch, dass die Analyse der vergangenen Anschlägen zeigt, dass es eben nicht an zu wenig Daten mangelte – ganz im Gegenteil. Es scheint so, als hätten unsere Sicherheitsbehörden durch immer größere Datenberge den Blick für das Wesentliche verloren.

Diese Reaktionen sind falsch: Einsatz der Bundeswehr im Inneren, neue Grenzzäune, Verhinderung von Integration

Derart einfache Antworten aus der Mottenkiste konservativer Sicherheitspolitik haben dieser Tage erneut Hochkonjunktur. Man darf daher nicht auf sie hereinfallen – aus sicherheitspolitischen wie rechtsstaatlichen Erwägungen: Die Stärke unserer demokratischen Gesellschaft liegt auch und gerade darin, in solchen Krisen solidarisch zusammenzustehen, sich nicht spalten zu lassen, sondern zusammenzustehen, um gemeinsam Rechtsstaat und Freiheit entschlossen zu verteidigen.

Klar und rational müssen wir die eklatanten Versäumnisse im Vorfeld der Anschläge analysieren: Warum konnten die Taten nicht verhindert werden, obwohl die Attentäter den Sicherheitsbehörden seit langem bekannt waren? Warum wurde sehr konkreten Hinweisen nicht nachgegangen? Warum hat man es, wie bei den Anschlägen von New York, Madrid und Boston, erneut verpasst, die späteren Attentäter zielgerichtet zu Überwachen und ihre Pläne zu vereiteln?

Wir brauchen einen stärkeren Austausch von Informationen auf EU-Ebene

Die in der ersten Analyse offen zu Tage getretenen Probleme sind für jeden offensichtlich: Der Informationsaustausch zwischen Sicherheitsbehörden in Europa ist unzureichend, auch wegen unterschiedlicher rechtsstaatlicher Standards. Das fährt unter anderem dazu, dass Terroristen scheinbar unbehelligt quer durch Europa fliegen und sich in Camps militärisch ausbilden lassen können. Außerdem kommt man bis heute noch immer viel zu leicht an Schnellfeuerwaffen und Sprengstoff.

Die Polizei muss personell und technisch besser ausgestattet werden

Unsere Polizeibehörden müssen personell und technisch besser ausgestattet werden, um auf neue Bedrohungslagen angemessen reagieren zu können. Denn weder rechtsstaatlich entgrenzte Geheimdienste noch Technik kann gute Polizeiarbeit ersetzen. Die Massenüberwachungsideologie der letzten Jahre ist ein gefährlicher Irrweg, der den Blick auf die offenkundigen Gefahren verdeckt. Wir brauchen zudem endlich effektive Gesetze in Europa den legalen und illegalen Waffenhandel entschieden zu bekämpfen.

Die Vorratsdatenspeicherung ist verfassungswidrig, teuer und untauglich

Wir müssen uns umgehend an die Lösung dieser nach den Anschlägen von Paris offen zu Tage getretenen Probleme machen. Was wir jetzt am allerwenigsten brauchen, sind populistische Vorschläge und automatische Verschärfungen von Sicherheitsgesetzen. Kurzfristig erschweren sie die notwendige Analyse von Versäumnissen, langfristig können sie sicherheitspolitisch sogar kontraproduktiv wirken, da sie knappe finanzielle und personelle Ressourcen binden und so tatsächlich effektive Maßnahmen verhindern. Das verfassungswidrige, teure und untaugliche Instrument der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ist hierfür ein gutes Beispiel. Doch die Ideologen rufen erneut und wie selbstverständlich nach einer Ausweitung der präventiven Speicherung unserer aller Bewegungs- und Kommunikationsdaten.

Derart vermeintlich einfache Antworten gibt es oftmals jedoch leider nicht: Die Ermöglichung einer effektiven und sehr viel zielgerichteteren Polizeiarbeit beispielsweise kostet viel Geld. Auch eine effektive und gleichzeitig rechtsstaatliche Kontrolle der Schengen-Außengrenzen ist alles andere als leicht umzusetzen. Dennoch ist sie wichtig, wenn wir wissen wollen, wer sich innerhalb der EU aufhält. Und bezüglich der dringend benötigten Verschärfung von Waffengesetzen müssen wir uns erneut mit einer mächtigen Lobby anlegen.

Wir müssen auch unbequeme Fragen stellen: Wie konnte es eigentlich so weit kommen, dass sich ganze Stadtviertel mitten in europäischen Hauptstädten zu Rückzugsgebieten von Dschihadisten entwickeln? Warum fehlten sich die Attentäter irgendwann in ihren jungen Leben mehr von der menschenverachtenden Ideologie des IS angezogen als von der Möglichkeit, in einer offenen, toleranten und freien Gesellschaft ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten?

Der beste Schutz vor Radikalisierung ist eine erfolgreiche Integration

Gerade diese Frage ist wohl die am schwersten zu beantwortende. Doch auch ihr werden wir uns als Gesellschaft stellen und Antworten finden müssen. Wir werden denjenigen, die Gefahr laufen, auf allzu leichte Verheißungen reinzufallen, wieder Perspektiven bieten müssen. Der beste Schutz vor Radikalisierung ist und bleibt eine erfolgreiche Integration. Darauf hat selbst der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz gerade noch einmal verwiesen.

Die Pariser Anschläge waren zweifellos auch Anschläge auf die Offenheit unserer demokratischen Gesellschaften. Gerade deswegen dürfen wir nicht einknicken vor denen, die unsere Freiheit mit Terror, Gewalt und Fanatismus zerstören wollen. Wir müssen alles tun, um unsere Verfassung, die auch eine Lehre aus unserer Geschichte ist, zu verteidigen. Wir müssen und wir werden entschieden für die Werte, die Europa groß gemacht haben, einstehen.

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