In unregelmäßigen Abständen berichten wir in unserer Rubrik “Aus den Ländern” über Initiativen, Veranstaltungen und Debatten aus dem Bereich Innen- und Netzpolitik in den Bundesländern. Ebenso schreiben ab und an VertreterInnen aus den Ländern über aktuelle Initiativen. An dieser Stelle hat Matthi Bolte wiederholt Gastbeiträge zur Digitalpolitik der rot-grünen Regierung in NRW verfasst. Heute berichtet Matthi über das digitalpolitische Desaster im schwarz-gelben Koalitionsvertrag.

Wie groß waren die Ankündigungen! NRW solle jetzt – endlich – digitaler werden. Im Wahlkampf versuchte gerade Christian Lindner immer wieder, seine Schellack-Truppe als Start-Up-Partei darzustellen. Was außer hochglänzenden Schwarz-Weiß-Fotos ist von der Kampagne übrig geblieben? Im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-gelben Landesregierung jedenfalls nicht viel.

Gigabit-Ausbau

Die rot-grüne Landesregierung hat erhebliche Anstrengungen für den Breitbandausbau unternommen. Im Rahmen der Glasfaserstrategie wurde unter anderem das verbindliche Ziel definiert, alle Gewerbegebiete bis Ende 2018 mit Glasfaseranschlüssen zu versorgen und somit die Basis für die Digitalisierung der nordrhein-westfälischen Wirtschaft zu schaffen.

Die neue Koalition belässt es bei Werbekatalogssprech. So heißt es im Koalitionsvertrag: „Um eine Spitzenposition im digitalen Zeitalter erreichen zu können, müssen wir den Ausbau der digitalen Infrastruktur erheblich beschleunigen.“ Schön geschrieben. Doch was passiert als erstes? Die neue Regierung kassiert unser Ausbauziel! Es sollen zwar weiter flächendeckend bis 2025 Gigabitnetze ausgebaut, Gewerbegebiete aber lediglich „schnellstmöglich“ angeschlossen werden. Eine konkrete Frist? Eine genaue Jahresangabe? Fehlanzeige.

Und dazu wird es auch noch abenteuerlich bei der Finanzierung: Sieben Milliarden Euro bis 2025 will die neue Regierung auf Bundes- und Europaebene allein für Nordrhein-Westfalen für die Digitalisierung mobilisieren, fünf Milliarden davon für den Gigabitausbau. Klingt gut, hat aber einen Haken: Weder das bestehende Bundesprogramm, noch die bestehenden EU-Programme sind bisher auf Gigabitausbau ausgerichtet. Ob es ein Glasfaser-Programm des Bundes gibt, das bundesweite Investitionen in Höhe von 80 Milliarden Euro erfordern würde, ist jedenfalls in dieser Form fraglich – wenngleich es natürlich zu begrüßen wäre. Deutlich wird: Schwarz-Gelb will beim Gigabitausbau nicht selbst aktiv werden, sondern wartet auf Rettung aus Brüssel oder Berlin.

Digitale Verwaltung

Bei diesem Thema sieht es nicht besser aus. Die rot-grüne Koalition hat im vergangenen Sommer ein bundesweit vorbildliches E-Government-Gesetz und ein Landesprogramm E-Government verabschiedet. CDU und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich nur vereinbart, das Gesetz fortzuführen. An einigen Punkten fallen Laschet, Lindner und Co. sogar dahinter zurück. So sollen der Elektronische Identitätsnachweis (laut Gesetz ab 1.1.2018 Pflicht für alle Behörden) und die Elektronische Bezahlmöglichkeit (1.1.2019) laut Koalitionsvertrag erst ab 2020 eingeführt werden. Die Digitalisierung aller Geschäftsprozesse soll laut Koalitionsvertrag bis 2025 abgeschlossen sein. Das klingt auf den ersten Blick nach einer Verbesserung, aber wie so oft in diesem Vertragswerk eben nur auf den ersten Blick. Denn im Gesetzestext ist zwar als letzte Rückfalllinie der 1.1.2031 vorgesehen. In der Begründung zum einschlägigen § 12 des Gesetzes wird jedoch klar gesagt, dass dieser Prozess bereits 2025 abgeschlossen werden soll. Die rot-grüne Umsetzungsstrategie, die wir gemeinsam mit dem Gesetz beschlossen haben, sah gleichfalls das Jahr 2025 vor.

Enttäuschend ist, dass es keine inhaltliche Weiterentwicklung des E-Governments in den nächsten fünf Jahren geben wird. So hatten wir in unserem Grünen Wahlprogramm vorgesehen, das E-Government-Gesetz im Laufe dieser Legislaturperiode auch auf die Kommunen auszuweiten. Schwarz-Gelb bleibt digitalpolitisch mutlos und packt diese Herausforderung nicht an. Wortwolken und Modellprojekte können darüber nicht hinwegtäuschen.

Was vom Digitalministerium übrig blieb

Nach den großen Ankündigungen im Wahlkampf ist nun völlig offen, wer jetzt eigentlich für die Digitalisierung zuständig sein soll. „Digitalisierung“ ist im Ressortverteilungsplan am Ende des Koalitionsvertrags zwar vorgesehen, es ist aber fraglich, ob dieser Geschäftsbereich (der vermutlich dem FDP-geführten Wirtschaftsministerium angeschlossen wird) für mehr als Breitbandausbau zuständig sein wird. Verwaltungsmodernisierung? Datenschutz? Wer diese Themen zugeschlagen bekommt, ist unklar. Vermutlich wird es also wieder viele Köpfe mit vielen Hüten geben, die sich munter um die Digitalisierung balgen – Reibungsverluste sind programmiert. Ein Digitalisierungskabinett wie in Schleswig-Holstein ist nicht vorgesehen.

Open Data

In der vergangenen Wahlperiode ist das von uns initiierte Transparenzgesetz kurz vor dem Ziel an der SPD gescheitert. CDU und FDP schreiben nun zwar, dass sie ein Open Data-Gesetz wollen, aber nennen – mal wieder – keine Details. Insbesondere definieren sie keine gesetzliche Veröffentlichungspflicht. Werden am Ende einfach nur ein paar Daten mehr unter freien Lizenzen veröffentlicht? Das wäre ganz schön, aber kein wirklicher Fortschritt.

Freifunk

Nachdem CDU und FDP das Konzept Freifunk in der vergangenen Legislatur überhaupt erst kennen gelernt haben, finde ich es immerhin positiv, dass im Vertragsentwurf überhaupt das Wort „Freifunk“ auftaucht; einmal auf 130 Seiten. Ich bin allerdings nicht sehr optimistisch, dass die Förderung des Freifunks tatsächlich mit dem hohen Stellenwert fortgesetzt wird, den sie unter Rot-Grün hatte. Zur Erinnerung: Wir haben eine Million Euro für den Ausbau der Infrastruktur und 650.000 Euro für die Unterstützung der Medienkompetenz bereitgestellt und eine Bundesratsinitiative zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Freifunk initiiert. Für die Abschaffung der Störerhaftung wollen CDU (welche Partei stellt noch einmal die Kanzlerin und hat den Bundesvize Armin Laschet?) und FDP eine Bundesratsinitiative unternehmen. Warum CDU und FDP dieses Problem nicht längst zur Zeit ihrer Bundesregierung gelöst haben, wird wohl ihr Geheimnis bleiben.

Netzneutralität

Mit Blick auf gleichberechtigte Zugänge ebenfalls bemerkenswert: Ein klares Bekenntnis zur Netzneutralität, für die Rot-Grün intensiv gekämpft hat, gibt es bei der neuen Regierung nicht mehr.

Digitale Wirtschaft

Als erstes Land hatte NRW im Jahr 2015 eine Strategie für die digitale Wirtschaft beschlossen. Schwarz-Gelb droht, diese Maßnahmen ohne Not zu kippen. So sollen etwa die DWNRW-Hubs (Zentren zur Vernetzung von Start-ups und etablierten Unternehmen sowie zur Gründungsförderung) im kommenden Jahr laut Koalitionsvertrag „auf ihre Wirksamkeit und Optimierungspotenziale hin überprüft“ werden. Das liest sich verdächtig wie ein Einstampfen auf Raten.

Im Bereich der Unterstützung des traditionellen Einzelhandels im Wettbewerb mit dem Online-Handel fällt CDU und FDP nur eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten ein. Die von uns GRÜNEN initiierten Modellprojekte zur Verknüpfung von stationärem und digitalem Handel und der Ausbau des offenen WLANs sollen weitergeführt werden. Eigene Ideen? Erneut Fehlanzeige.

Leider scheint es im Koalitionsvertrag so, dass nur wenige digitalpolitische Empfehlungen der Enquete-Kommission zur Zukunft von Handwerk und Mittelstand umgesetzt werden sollen. Insbesondere gibt es keine Ankündigung von Beratungsangeboten für die einzelnen Betriebe aus dem handwerklichen Mittelstand. Die Stärkung des Datenschutzes und der Datensicherheit für kleine und mittelständische Unternehmen kommt ebenfalls nicht vor.

Datenschutz

In ihrer letzten Regierungszeit haben CDU und FDP den Datenschutz geschwächt und ein Streichkonzert beim Landesdatenschutzbeauftragten (LDI) veranstaltet. Rot-Grün hat die LDI nicht nur zu einer selbstbewussten, von der Landesregierung unabhängigen Datenschutzstelle umgewandelt, sondern den von der Vorgängerregierung überlassenen zu niedrigen Stellenbestand in den vergangenen sieben Jahren um etwa 25 Prozent erhöht. Nun schwenkt Schwarz-Gelb wohl um und will den rot-grünen Weg weitergehen. Ob sie dies auch umsetzen, bleibt abzuwarten. Denn finanzielle Details nennen die Nicht-Wunschpartner, die sich erst finden mussten, auch an dieser Stelle nicht.

Fazit: Ein digitaler Aufbruch sieht anders aus

CDU und FDP werden keinen digitalen Aufbruch starten. Die markigen Versprechen beim Breitbandausbau sind Luftbuchungen und führen teils zu Rückschritten, neue Konzepte für die digitale Wirtschaft sind nicht erkennbar und spätestens bei der digitalen Verwaltung folgt der Offenbarungseid. Dass eine Reihe rot-grüner Maßnahmen fortgeführt werden soll, ist begrüßenswert. Nachdem Digitalisierung nicht nur im Wahlkampf ein Lieblingswort von Laschet und Lindner war und jetzt die zentralen Weichenstellungen mit jahrzehntelangen Auswirkungen vorzunehmen sind, enttäuscht die Innovationslosigkeit der neuen Regierung aber. Wir haben in unserem Programm konkrete Vorschläge und Ideen unterbreitet. Damit werden wir die neue Regierung aus der Opposition heraus treiben. Es reicht nicht, über Digitalisierung zu sprechen, man muss sie umsetzen, leben, fördern. Stillstand kann sich unser Land nicht erlauben.

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