In unregelmäßigen Abständen berichten wir in der Rubrik “Gastbeiträge“ von eigenen Publikationen in Zeitschriften und Büchern oder geben anderen Menschen die Gelegenheit, hier zu veröffentlichen. Von dieser Möglichkeit macht heute Alexandra Geese Gebrauch. Alexandra ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und die Digitalexpertin der Fraktion „Greens/EFA“. Seit 2022 ist sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Ihre Schwerpunkte sind Demokratie im digitalen Zeitalter, nachhaltige Digitalisierung und Geschlechtergerechtigkeit. Sie ist Mitglied im Haushaltsausschuss und im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz. An dieser Stelle berichtet sie über den Parlamentsbericht zur politischen Werbung, der jüngst in der Plenarabstimmung des Europäischen Parlaments angenommen wurde.

Heute hat das Europaparlament den Bericht zur Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung angenommen. Dabei geht es um Regeln, die schon zur Europawahl 2024 gelten sollen und künftig alle demokratischen Wahlen besser gegen Manipulation und verdeckte Einflussnahme schützen. Das schaffen wir durch mehr Transparenz mit einem EU-weiten Werbearchiv für politische Werbung und durch eine Einschränkung des gezielten Ausspielens von politischer Werbung auf der Grundlage von persönlichen Daten. Das heißt: Es ist endlich Schluss mit Cambridge-Analytica-Praktiken. Bemühungen von Parteien, die unterschiedlichen Wählergruppen widersprüchliche Inhalte zuspielen, werden transparent gemacht.

Politische Online-Werbung ist ein relativ neues Phänomen, das noch nicht ausreichend reguliert ist. Diese Lücke bedroht die Integrität der Wahlen durch Wählermanipulation, intransparente Kampagnen und Desinformationskampagnen. Prominente Beispiele wie „Cambridge Analytica” und die Brexit-Kampagne, aber auch alle relevanten Wahlen der vergangenen Jahre haben in der Analyse gezeigt, dass versucht wird, das Ergebnis von außen zu beeinflussen. Cambridge Analytica war leider kein Einzelfall, sondern ist mittlerweile Normalität im Geschäft mit politischer Werbung: Spezielle PR-Agenturen, häufig mit Sitz in London, erarbeiten ganze Kampagnen auf Grundlage von Datenprofilen – besonders häufig für rechtsextreme Parteien. Aufdecken konnte dies zuletzt Investigativ-Journalist Peter Kreysler in seinem Film „Wahlkampf Undercover“ für den NDR. Für weitere Informationen zum Thema Amplifizierung und Targeting gibt es hier eine FAQ zur Verordnung.

Übersicht der grünen Erfolge im Parlamentsbericht: 

Definitionen (Artikel 2) 
Die Definitionen erklären, was unter politischer Werbung zu verstehen ist. Hierzu zählen nicht nur die Anzeigen, die von politischen Akteuren geschaltet werden, sondern auch thematische (issue-based) Anzeigen. Für unsere Fraktion war eine weit gefasste Definition wichtig, um auch „Greenwashing“-Anzeigen der Industrie mit abzudecken. Die Sorge zivilgesellschaftlicher Organisationen, dass demnächst Anzeigen von „Fridays for Future“ unter die Verordnung fallen, Greenwashing von Öl- und Gaskonzernen aber nicht, konnten wir gegen Widerstand der Konservativen und Liberalen ausräumen.

Außerdem haben wir erreicht:

  • Eine klare Trennung und Definition von „Targeting“ und „Ad delivery“, diese Begriffe waren im Kommissionvorschlag nicht klar genug formuliert. (Vereinfacht erklärt: „Targeting“ ist die Auswahl, die derjenige vornimmt, der die Anzeige schaltet; „Ad delivery“ ist die Auswahl, die z.B. Facebook innerhalb der gewählten Zielgruppe nach eigenen Interessen vornimmt.)
  • Eine Ausnahme für Regierungskommunikation, die jedoch strikt auf die Ankündigung von Wahlen oder Referenden oder auf die Modalitäten der Teilnahme beschränkt ist – solche Ankündigungen sind keine „politische Werbung“. Hier geht es darum, dass Regierungen neutrale Informationen wie beispielsweise das Datum von Wahlen ankündigen können, denn selbst dazu zirkuliert mittlerweile Desinformation. Nicht unter die Ausnahme fallen politische Stellungnahmen von Regierungsparteien.

Gleichzeitig ist sichergestellt, dass die Regeln für private Tweets und Posts mit politischen Inhalten nicht gelten, denn einerseits ist der Parlamentsbericht auf „Dienstleistungen“ beschränkt – was bedeutet, dass Äußerungen, die nicht als „normalerweise entgeltliche“ Dienstleistung übermittelt werden, wie z.B. Beiträge in sozialen Medien, ausgeschlossen sind. Zudem stellt der Parlamentstext klar, dass Online-Vermittlungsdienste (Caching, Durchleitung und Hosting) die ohne Gegenleistung für die Verbreitung der spezifischen Botschaft erbracht werden, keine „Werbedienste“ sind (Art. 2(5)).

Starke Transparenzpflichten (Artikel 6-11) 
Transparenz ist eine essentielle Grundlage für die Sicherheit und Integrität unserer Wahlen und unerlässlich, um Verletzungen, Manipulation und Beeinflussung von Drittstaaten aufzudecken.

Daher müssen Herausgeber von politischer Werbung Informationen speichern und jede Anzeige mit einem Label sowie einer Transparenznotiz (Artikel 7a neu) versehen, die Folgendes enthält:

  • Identität und Kontaktdaten des Sponsors (Auftraggeber*in)
  • der Zeitraum, in dem die politische Werbung veröffentlicht und verbreitet werden soll,
  • die Gesamtbeträge, die von den Erbringern politischer Werbedienstleistungen ausgegeben werden sowie die Herkunft der Beträge und sonstige Zuwendungen,
  • soweit möglich, eine Angabe der Wahlen, Volksabstimmungen und Gesetzgebungs- oder Regulierungsverfahren, mit denen die Anzeige verbunden ist,
  • Informationen, wenn eine Anzeige wegen eines Verstoßes ausgesetzt oder eingestellt wurde,
  • wenn die politische Werbung auf der Grundlage von personenbezogenen Daten zielgerichtet ausgespielt wird, Informationen, dass dies der Fall ist, welche spezifischen Personengruppen anvisiert wurden, welche Kategorien und Quellen genutzt wurden sowie die Reichweite der Anzeige, die Anzahl der Aufrufe, Klicks und Engagements der Anzeige.

Die Sponsoren oder gegebenenfalls die Anbieter politischer Werbedienste, die im Namen der Sponsoren handeln, müssen die Richtigkeit der Informationen gewährleisten. Stellt der Herausgeber politischer Werbung fest, dass die Informationen unvollständig oder unrichtig sind, muss er sich nach besten Kräften bemühen, die Informationen unverzüglich zu vervollständigen oder zu korrigieren. Können die Angaben nicht vervollständigt oder berichtigt werden, darf der Herausgeber die politische Werbung nicht veröffentlichen.

EU-weite Datenbank für politische Werbung online 
Wir haben erreicht, dass der Parlamentsbericht einen eigenen Artikel über eine Europäische Datenbank für politische Online-Werbung enthält (Artikel 7b neu). Eine europäische Datenbank ist entscheidend, damit Forschung zu diesem Thema zeitnah und ohne übermäßigen Aufwand erfolgen kann, denn nur so können wir widersprüchliche Kampagnen oder Desinformation zeitnah aufdecken. Das ist besonders wichtig, da zahlreiche Studien zeigen, dass die bisher freiwilligen Werbearchive von Facebook, Google & Co. gescheitert sind. Sie haben sich als unvollständig, zu stark zeitverzögert und oft falsch erwiesen. Es muss sichergestellt werden, dass alle in der EU veröffentlichten politischen Anzeigen in einer Datenbank verfügbar sind. Die Herausgeber politischer Anzeigen müssten diese Transparenz auf Benutzerebene ohnehin bieten und die Entwicklung der API für die automatische Datenübermittlung dürfte nur geringe, einmalige Kosten verursachen. Die Kosten, die hierfür entstehen, sind deutlich geringer als die Kosten für den Aufbau einzelner Transparenzsysteme bei jedem einzelnen Herausgeber.

Die Kommission muss ein öffentliches Archiv für alle politischen Online-Anzeigen einrichten und eine Datenbank hosten. Herausgeber von politischer Werbung müssen eine Kopie jeder Anzeige und die Transparenznotiz an das zentrale Archiv senden. Auch sehr wichtig, um Desinformationskampagnen zu erforschen, ist die Verpflichtung, dass im Archiv erkenntlich sein muss, welche Anzeigen entfernt wurden und warum.

Für die Forschung und Berichterstattung ist es zudem ein großer Erfolg, dass Anbieter politischer Werbedienstleistungen die in den Artikeln 6, 7 und 7a genannten Informationen auf Anfrage sofort, kostenlos und, soweit technisch möglich, in einem maschinenlesbaren Format an Forscher*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen, politische Akteure und Journalist*innen übermitteln müssen.

Strikte Regeln für Targeting und Ad Delivery (Artikel -12 und 12) 
Ein zentraler Erfolg ist die striktere Regelung zur Nutzung personenbezogener Daten für gezielte politische Werbebotschaften. Die gezielte Anzeige politischer Werbung aufgrund von sensiblen Daten wie ethnische Herkunft, politische Meinung, religiöse Überzeugung, sexuelle Orientierung oder Gesundheitszustand einer Person soll sowohl offline als auch online verboten werden. Der Europäische Rat hält dagegen den Vorschlag der Kommission aufrecht, dass bei Erteilung einer Einwilligung – aktuell das Anklicken eines Cookie-Banners – auch solche Daten verwendet werden dürfen. Das wird ein wichtiger Punkt für den Trilog werden. Wir wollen beispielsweise verhindern, dass auch in Zukunft besonders beunruhigende Inhalte gezielt an ängstliche Personen ausgespielt werden.

Laut Parlamentsbericht dürfen nur (nicht besonders sensible) persönliche Daten, die von den Bürger*innen mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden, für gezielte politische Werbung verwendet werden. Die Verwendung von verhaltensbezogenen und abgeleiteten Informationen wird ausgeschlossen. Den Plattformen dürfen keine undurchsichtigen Algorithmen für die Auslieferung (ad delivery techniques) von Werbung verwenden – es ist lediglich erlaubt, die Empfänger*innen nach dem Zufallsprinzip aus der vorher vom Sponsor definierten Zielgruppe auszuwählen. So wird verhindert, dass die Plattformen innerhalb der getroffenen Auswahl eigene Akzente setzen und dadurch die Zielgruppe auf undurchsichtige Art und Weise verändern.

In den 60 Tagen vor einer Wahl oder einem Referendum dürfen politische Botschaften nur auf der Grundlage der Sprache einer Person und ihres/seines Wahlkreises angezeigt werden, um eine Zersplitterung der öffentlichen Debatte und das Ausspielen von widersprüchlichen Botschaften an unterschiedliche Zielgruppen zu vermeiden. Demokratie braucht eine gemeinsame Öffentlichkeit.  

Der Parlamentsbericht beschränkt die Verordnung jedoch wie schon erwähnt (und im Gegensatz zum Ratstext) auf die Verwendung von “Diensten” – das bedeutet, dass die Regeln für gezielte Werbung, die in-house angefertigt wird, also z.B. auf der Basis einer parteieigenen Datenbank, per Brief, E-Mail oder Textnachrichten, nicht gelten werden.

Empfehlungsalgorithmen 
Die Rechts-Mitte-Mehrheit hat sich nach starkem Lobby-Druck vor allem von Big Tech Unternehmen im Parlamentsbericht entschieden, den Begriff der „Amplifizierung“ aus dem Kommissionsentwurf zu entfernen – was bedeutet, dass der Parlaments-Bericht keine Regeln für Empfehlungsalgorithmen beinhaltet. Empfehlungsalgorithmen sind ein gut gehütetes Geheimnis der Plattformen Die Algorithmen sorgen dafür, dass jede und jeder von uns etwas anderes bei YouTube Autoplay (Up Next), in der Instagram- oder Facebook-Timeline oder dem Tiktok-Feed sieht. Studien haben gezeigt, dass Algorithmen dazu führen, dass Filterblasen entstehen, und dass sich Fake News schneller verbreiten als Fakten und demokratische Inhalte. Im Gegensatz zur Parlamentsposition beinhaltet der Text des Rates der EU Regeln für die „Amplifzierung“ im Artikel 12 und verbietet diese, wenn sensible personenbezogene Daten verwendet werden. Das gilt allerdings nicht, wenn eine Einwilligung erteilt wurde. Das bedeutet jedoch aktuell nur, dass ein Cookie-Banner angeklickt wurde.

Durchsetzung (Artikel 15) 
Ein großer Grüner Erfolg sind die deutlich verbesserten Regeln für die Durchsetzung der Verordnung bei grenzüberschreitenden Fällen. Sobald eine zuständige nationale Behörde den begründeten Verdacht hat, dass gegen die Verordnung verstoßen wird, kann sie die zuständige Kontaktstelle der Behörde in einem anderen Mitgliedstaat dazu auffordern, die Angelegenheit zu untersuchen und Ermittlungs- und Durchsetzungsmaßnahmen zu ergreifen. Das ist besonders relevant, weil die beiden größten Plattformen für politische Online-Werbung in Irland haben. Ein Großteil der Verfahren wird also grenzüberschreitend sein. Irland hat aus der Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung keinen guten Ruf für seine Aufsicht über große Tech-Unternehmen. Deshalb ist es wichtig, dass nationale Behörden Mittel haben, die Verfahren zu beschleunigen.

Ein guter Vorschlag aus dem Bürgerrechtsausschuss wurde ebenfalls in den Endbericht aufgenommen: Wenn es sich bei dem Herausgeber politischer Werbung um eine sehr große Online-Plattform (VLOP, Definition von “groß” wie im Digital Services Act) handelt, kann der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) bei Verdacht eine Untersuchung einleiten.

Nächste Schritte 
Es gibt momentan noch keinen finalen Text für diese Verordnung und noch keinen Entwurf für die finale Abstimmung zwischen den drei Instanzen der EU: Kommission, Rat und Parlament. Aber die ersten drei Hürden der EU-Gesetzgebung sind genommen: Die Kommission hat einen Vorschlag für den Text vorgelegt, der Rat hat ihn in einer sogenannten “allgemeinen Ausrichtung” angenommen und das Parlament hat am 2. Februar über seinen Bericht abgestimmt.

In den kommenden Monaten müssen sich nun das Parlament und der Rat als Co-Gesetzgeber (Trilog) im Austausch mit der Kommission auf eine endgültige Fassung einigen.

Hier sind meine Prioritäten für den Trilog:

  • Wer darf wann wie zielgerichtete Werbung ausspielen: Wir werden uns dafür einsetzen, dass der Text des Parlaments bezüglich der Regeln für das Targeting in das endgültige Gesetz geschrieben wird. Der Ratstext ist leider nicht ambitioniert genug und sieht zu große Ausnahmen vor.
  • Wir werden unsere Idee einer zentralen, öffentlichen Datenbank verteidigen, denn sonst bringen die Transparenzregeln nicht viel Mehrwert.
  • Die effektive grenzüberschreitende Durchsetzung ist uns ebenfalls wichtig, da wir aus vergangenen Fehlern lernen müssen: Nationale Behörden sollten besser miteinander kooperieren und bei Verdacht auf Verletzung grenzüberschreitend Untersuchungen beantragen können. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Regeln zur Europawahl 2024 in Kraft getreten sind und angewendet werden.
  • Wir setzen uns dafür ein, dass die Regeln zur Europawahl 2024 in Kraft getreten sind und angewendet werden.
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