Gestern hatten wir ausführlich über die heutige Pressekonferenz von Jan Philipp und der Co-Autorin einer unabhängigen Studie zur Vereinbarkeit des umstrittenen Abkommens zwischen der EU und den USA zum Austausch von Flugpassagierdaten mit den EU-Grundrechten berichtet. Die Studie analysiert grundrechtliche Probleme wie die Überwachung, die Fluggäste zu Verdächtigen macht. Darüber hinaus analysiert die Studie die Unterschiede zwischen den bisherigen Abkommen und dem aktuellen Vorschlag.

Hier könnt Ihr die PNR EU-USA Study abrufen.

 

Worum geht es?
Das geplante Passagierdatenabkommen (PNR-Abkommen) zwischen der EU und den USA würde die Weitergabe persönlicher Daten von Flugpassagieren von Fluglinien an das Department of Homeland Security der USA erlauben. Die Daten würden dann von den dortigen Behörden ausgewertet und für unbestimmte Zwecke der Strafverfolgung und Terrorismusbekämpfung, aber auch der Einreisekontrolle verwendet. Anschließend werden sie mindestens 15 Jahre auf Vorrat gespeichert.

Solch eine weitreichende Vorratsdatenspeicherung und Rasterfahndung völlig unverdächtiger Menschen lehnen wir ab, und sie verstößt auch nach unserer Einschätzung gegen die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zur Rasterfahndung (2006) und zur Vorratsdatenspeicherung (2010). Zudem enthält das Abkommen weitreichende Klauseln zur Weitergabe der Daten an andere Behörden und an Drittstaaten. Eine unabhängige Kontrolle, grundlegende Datenschutzrechte wie ein Recht auf Auskunft, Berichtigung und Köschung der Daten, oder ein effektiver Rechtsschutz sind nicht vorhanden. Das DHS hat sogar kürzlich erklärt, dass es von den ohnehin sehr schwachen und für EU-BürgerInnen nicht einklagbaren Datenschutzbestimmungen des US Privacy Act ausgenommen ist.

Alles in allem erfüllt das Abkommen bei weitem nicht die Anforderungen, die das Europäische Parlament mehrfach in fast einstimmig angenommenen Resolutionen gesetzt hat. Das zeigt auch eine unabhängige juristische Studie, die im Auftrag der Grünen Europafraktion erstellt wurde und morgen, am 14.3. 2012, in Straßburg präsentiert wird.

Warum jetzt die Entscheidung über ein PNR-Abkommen?
Das Abkommen wurde in den letzten zwei Jahren neu verhandelt, nachdem das Europäische Parlament im Mai 2010 seine Zustimmung zu einem älteren Abkommen von 2007 nicht geben wollte und stattdessen klare Kriterien für ein neues Abkommen festgelegt hat, das deutlich besser die Datenschutzbelange der Reisenden schützen soll. Die Verhandlungen sind seit Herbst 2011 abgeschlossen. Das Abkommen liegt nun dem Europäischen Parlament zur Ratifizierung vor. Es wird am 27.3. im Innenausschuss des Europäischen Parlaments abgestimmt und geht dann in der Straßburgwoche 17.-20. April ins Plenum des EP. Wenn das Abkommen mit den USA angenommen würde, dürfte es als (schlechter) Präzedenzfall für weitere Abkommen fungieren – mit Kanada wird bereits verhandelt, andere Staaten wie Südkorea oder China haben schon Interesse signalisiert. Es würde auch eine Vorentscheidung bedeuten für aktuelle Pläne der EU-Kommission, ein eigenes Passagier-Überwachungssystem in Europa (EU-PNR) zu errichten. In den nächsten fünf Wochen wird also über die Bürgerrechte und den Datenschutz von Flugpassagieren in ganz Europa entschieden.

Wie ist die politische Lage?
Die Berichterstatterin Sophie In’t Veld (Liberale, Niederlande) empfiehlt mit Unterstützung ihrer Fraktion eine Ablehnung des Abkommens; Grüne und Linke sind ebenfalls klar für eine Ablehnung. Da die Konservativen das Abkommen annehmen wollen, kommt es nun auf die sozialdemokratische Fraktion an. Sie muss ihrer eigenen Schattenberichterstatterin folgen und ebenfalls das Abkommen ablehnen. Eine Entscheidung darüber soll dem Vernehmen nach diese Woche fallen. DatenschützerInnen, der juristische Dienst von EU-Rat und EU-Kommission, die EU-Grundrechteagentur sowie verschiedene namhafte JuristInnen haben sich gegen eine solche Passagierüberwachung ausgesprochen. NGO-Dachverbände wie European Digital Rights und Privacy International wehren sich schon länger gegen diese Überwachungspläne. Wir unterstützen sie dabei nach Kräften. Die Fluglinien unterstützen das Abkommen, da so die bereits derzeit entgegen europäischem Datenschutzrecht stattfindende Weitergabe der Daten an die USA legalisiert würde. Das Abkommen würde nämlich den Bürgerrechten nichts bringen (im Gegenteil), sondern einzig und allein Rechtssicherheit für die Fluglinien schaffen.

Was kann ich tun?
Seit kurzem läuft eine gemeinsame Kampagne von NoPNR.org und Digitale Gesellschaft e.V., Europaabgeordnete besonders der Sozialdemokratischen Fraktion (S&D) zu kontaktieren und eine Ablehnung des Abkommens zu fordern. Dort wird auch eine Liste der Abgeordeten geführt, die dafür, dagegen, oder “WackelkandidatInnen” sind. Seit den ACTA-Protesten sind die Abgeordneten sensibilisiert für Proteste aus dem Netz und generell aus der Bevölkerung, eine Beteiligung daran ist also sehr sinnvoll.

Darüber hinaus sollte man den Europaabgeordneten und den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten klar machen, dass auch das geplante EU-System zur PNR-Überwachung nicht in Frage kommt.

Wer in den letzten Jahren in die USA geflogen ist, eine Rechtsschutzversicherung hat und sich längerfristiger engagieren will, sollte eine Auskunft über die gespeicherten und weitergegebenen Daten von den Fluglinien verlangen und bei ungenügender Auskunft (z.B. über die Weitergabe der Daten) auch gerichtliche Schritte erwägen.

Weitere Informationen:

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