Kanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle loben in Sonntagsreden immer wieder die demokratisierende Wirkung der Neuen Medien. Vor Kurzem hat Außenminister Welle sogar Regulierung des Exports entsprechender Software in Aussicht gestellt – und dabei offenbar vergessen, dass er innerhalb der Bundesregierung gar nicht zuständig ist.
Wenn es die schwarz-gelbe Bundesregierung mit Ankündigungen wie “Man darf [autoritären] Regimes nicht die technischen Mittel geben, ihre Bevölkerung zu überwachen.” (Außenminister Guido Westerwelle vor Kurzem auf der Konferenz Internet & Human Rights) nur ansatzweise ernst meint, muss sie ihr doppeltes Spiel in Sachen Überwachungsexporte endlich beenden.
Die Bundesregierung hat auf eine Kleine Anfrage zu ihrer Haltung bezüglich des Exports von „Dual-use-Gütern“ im Bereich der Technologie zur Störung von TK-Diensten sowie Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs durch deutsche Firmen“, die wir vor gut einem Jahr an die sie gerichtet haben, Erstaunliches geantwortet und damit einmal gezeigt, dass die schwarz-gelbe Regierungsrealität leider eine ganz andere ist.
So war schnell klar: Während Bundeskanzlerin Merkel und ihr Außenminister Westerwelle die demokratisierende Wirkung der neuen Medien immer wieder loben, drückt das federführende Bundeswirtschaftsministerium bislang, wenn es um entsprechende Exporte deutscher Firmen an autoritäre Herrscher geht, nicht nur immer wieder beide Augen zu, sondern tut darüber hinaus sogar alles dafür, deutsche Firmen beim Export zu unterstützen und effektive Kontrollen zu verhindern.
So hat sich das Bundeswirtschaftsministerium während der Debatte um eine Verschärfung entsprechender Regelungen auf europäischer Ebene explizit mit Hinweis auf bürokratische Hürden für deutsche Unternehmen gegen eine verbesserte Exportkontrolle ausgesprochen (siehe Antwort auf Frage 21) und deutsche Unternehmen durch die Gewährung von Hermesbürgschaften sogar aktiv bei ihren Geschäften unterstützt (siehe Antwort auf Frage 6).
Diesem doppelten Spiel der Bundesregierung zu Lasten der Meinungsfreiheit und zu Gunsten autoritärer Regime, die die eigene Bevölkerung unterdrücken, werden wir nicht länger zusehen. In Kürze werden wir daher einen Antrag vorlegen, der die Bundesregierung noch einmal dazu auffordert, sich nicht länger ihrer Verantwortung zu entziehen und endlich die Verschärfung der Ausfuhrkontrollen entsprechender Güter anzugehen. Hierzu fordern wir die Bundesregierung seit langem auf. Geschehen ist bislang nichts. Dabei hat die britische Regierung gerade vorgemacht, wie eine mögliche Regulierung aussehen könnte.
Um den Druck auf die Bundesregierung, ihren heeren Worten auch tatsächlich Taten folgen zu lassen und sich endlich Gedanken darüber zu machen, wie eine effektive Exportkontrolle entsprechender Güter aussehen könnte, noch einmal zu erhöhen, habe ich die Bundesregierung in der vergangenen Woche in einer weiteren schriftlichen Frage um Auskunft bezüglich der Frage gebeten, ob es bereits konkrete Pläne für eine solche verbesserte Ausfuhrkontrolle gibt. Darüber hinaus interessierte mich die Frage, ob das federführende Wirtschaftsministerium die Ansicht von Außenminister Westerwelle teilt. Zweifel hieran hatte auch André Meister bei netzpolitik.org geäußert.
Meine an die Bundesregierung gerichtet Frage im genauen Wortlaut:
Gibt es von Seiten der Bundesregierung, auch vor dem Hintergrund der Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, auf der kürzlich in Berlin stattgefundenen Konferenz „Internet and Human Rights” und der Aussage des Ministers, man dürfe autoritären Regimes nicht die technischen Mittel geben, ihre Bevölkerung zu überwachen, bereits konkrete Überlegungen, wie eine effektive Kontrolle entsprechender Exporte durch deutsche Unternehmen unterbunden werden könnte, und teilt das federführende Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, auch vor dem Hintergrund der bisherigen Positionierung des Ministeriums, zum Beispiel bei der Diskussion um eine Verschärfung von Kontrollen auf europäischer Ebene, die Aussage des Bundesaußenministers?
Heute hat mich die Antwort der Bundesregierung erreicht. Sie lautet folgendermaßen:
Die Bundesregierung hat die Einführung von Genehmigungspflichten für die Ausfuhr von Technologien zur Überwachung des Internets oder des Telefonverkehrs in den EU-Sanktionsverordnungen gegen Syrien und Iran aktiv unterstützt. Die entsprechenden Regelungen sind Anfang 2012 in Kraft getreten. Die Bundesregierung wirkt auch an den Diskussionen zu einer möglichen Ausweitung des Kontrollregimes für Überwachungstechnik auf internationaler Ebene im Rahmen des Wassenaar Arrangements mit und stimmt sich hierzu mit den internationalen Partnern ab.
Bewertung der Antwort der Bundesregierung:
Die Antwort der Bundesregierung ist, obwohl dass federführende Bundeswirtschaftsministerium – zumindest nicht direkt – nicht auf meine Frage eingeht, ob das Ministerium – und damit die Bundesregierung insgesamt – die Meinung des Außenministers teilt, dass es einer stärkeren Kontrolle bedarf, dennoch vielsagend. Gerade hierdurch, aber auch durch die Kürze der Antwort des Wirtschaftsministeriums wird der Dissens der offenbar innerhalb der Bundesregierung im Allgemeinen und zwischen den beiden FDP-Ministerien im Speziellen, noch einmal deutlich. So teilt das Wirtschaftsministerium unter Vizekanzler Rösler offenbar nicht das Anliegen des (eigenen) Außenministers und Ex-Vizekanzlers Westerwelle, dass es einer insgesamt stärkeren Regulierung entsprechender Exporte bedarf und verweist – trotz der Tatsache, dass wir heute wissen, dass deutsche Firmen an zahlreiche andere Länder entsprechende Techniken lieferten – lediglich auf die Sanktionen gegen Syrien und den Iran. Auch die nüchterne zweite Aussage, man wirke auch an den Diskussionen zu einer möglichen Ausweitung des Kontrollregimes für Überwachungstechnik auf internationaler Ebene im Rahmen des Wassenaar Arrangements mit, macht mehr als deutlich, dass man hier alles andere als engagiert zu Werke geht, wenn es darum geht, entsprechende Kontrollmechanismen zu verschärfen. Sonst hätte man im Rahmen der Antwort sicherlich hierauf verwiesen. Da die Bundesregierung sich hierzu leider ausschweigt, werde ich sie in einer weiteren Frage zu ihrer konkreten Positionierung im Rahmen der Verhandlungen des Wassenaar Arangements befragen.
Wir werden auch weiterhin am Ball bleiben und das Thema Exporte von Überwachungssoftware auch im Rahmen unseres zweiten netzpolitischen Kongresses noch einmal intensiv diskutieren.
Weiterführende Infos:
- Blogbeitrag Bundesregierung testet Spionagesoftware FinSpy als Ersatz für Bundestrojaner vom 11. Januar 2011
- Blogbeitrag Schriftliche Frage an die Bundesregierung zum Kauf von FinSpy durch das BKA vom 15. Dez. 2011
- Blogbeitrag Export von Überwachungstechnologie – Bundesregierung sendet fatales Signal an den Arabischen Frühling vom 8. November 2011.
- Kleine Anfrage zu Export deutscher Zensur- und Überwachungstechnik an autoritäre und totalitäre Staaten
- Blogbeitrag Dual Use: Exportkontrolle ohne Zähne von Reinhard Bütikofer vom 29. Nov. 2011
- Beitrag im Handelsblatt von Malte Spitz und Konstantin Notz „Freiheit des Internets: Wenn deutsche Technik Twitter verstummen lässt“ vom Februar 2011
- Grundsatzrede von US-Außenministerin Clinton “Internet Rights and Wrongs: Choices and Challenges in a Networked World” vom 15. Februar 2011
- Blogbeitrag von Malte Spitz zum Beschluss des Kleinen Parteitags vom 19. März 2011
- Beschluss Revolutionäre Veränderungen in Nordafrika und im Nahen Osten
- Liveblog Workshop Völker, hört die Tweets! Twitter, Blogs u. Menschenrechte beim Netzpolitischen Kongress. Volker Beck, Christian Rickerts (Reporter ohne Grenzen) und Hesam Misaghi (Committee of Human Rights Reporters)
- Blogbeitrag von Malte Spitz Welchen Einfluss hat die digitale Welt auf unsere Demokratie?
- Hinweis auf die Videoaufzeichnung einer im EP stattgefundene Diskussion über freie Meinungsäußerung im Netz
- Hinweis auf eine Podiumsdiskussion über Internetzensur in China mit Michael Anti
- Bericht von „Reporter ohne Grenzen“ anlässlich des Welttags gegen Internetzensur
- Bericht der OpenNet-Initiative zu Verwicklungen westlicher Firmen bei Zensurbestrebungen autoritärer und totalitärer Staaten
- Artikel „Exportschlager Zensur“ in der taz vom 1.April 2011
- Bericht von heise über die Diskussion im Europäischen Parlament vom 5. April 2011
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