Nachdem vor wenigen Tagen die für die „Digitale Agenda“ zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes wirklich beachtenswerte Überlegungen zur Reform des Urheberrechts angestellt hat (Rede Neelie Kroes: Is copyright working?), erreicht uns heute die nächste positive Nachricht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 24.11. entschieden (Pressemitteilung des EuGH), dass Provider nicht per Sperrverfügungen verpflichtet werden können, gegen illegale Downloads ihrer Kunden vorzugehen. Dies, so das Gericht in seinem Urteil (pdf, 46 KB), würde gegen die EU-Grundrechte verstoßen. Wenig zielführende, rein repressive Durchsetzungsmechanismen in Sachen Urheberrecht haben, so scheint es mehr und mehr, in der EU keine Zukunft.

Begründet wurde die Entscheidung vor allem damit, dass den Providern durch Netzsperren-Anordnungen eine faktische Überwachungspflicht des kompletten Netzwerkverkehrs der Kundinnen und Kunden auferlegt werde, und hierin eine Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit zu sehen sei. Zudem, so das Gericht weiter, würden die Rechte der Kundinnen und Kunden auf Schutz der Privatsphäre und den freien Empfang von Informationen verletzt. Eine solche Regelung komme einer „allgemeinen Überwachung“ gleich.

Konkret verhandelt wurde ein Fall, in dem eine belgische Verwertungsgesellschaft eine gerichtliche Sperrverfügung gegen einen Provider erwirkt hatte. Dieser wurde gerichtlich verpflichtet, Urheberrechtsverletzungen über Peer-to-Peer-Netzwerke zu unterbinden. Der Fall ging durch sämtliche belgischen Instanzen, bis das höchste belgische Gericht schließlich den Fall an den EuGH überwies, um die Frage prüfen zu lassen, ob derartige Sperrverfügungen mit dem Europarecht vereinbar sind.

Der EuGH kam nun zu dem Schluss, dass derartige Sperrverfügungen nicht mit dem geltenden EU-Recht vereinbar sind. Begründet wurde das Urteil u.a. dadurch, dass eine derartige Verpflichtung, Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden, zu einer generellen Überwachungspflicht der Provider führen würde. Diese sei in der E-Commerce-Richtlinie jedoch ausgeschlossen. Telemedicus zitiert aus dem Urteil:

„[…] ist festzustellen, dass die dem betroffenen Provider auferlegte Anordnung, das streitige Filtersystem einzurichten, ihn verpflichten würde, eine aktive Überwachung sämtlicher Daten, die alle seine Kunden betreffen, vorzunehmen, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen. Daraus folgt, dass diese Anordnung den Provider zu einer allgemeinen Überwachung verpflichten würde, die nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 verboten ist.”

Des Weiteren weist der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil darauf hin, dass mit der  Einrichtung derartiger Filtersysteme erhebliche Kosten für die Unternehmen verbunden wären, wodurch eine Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit gegeben sei. Hier abermals die von telemedicus zitierte Passage des Urteils:

„Deshalb würde eine solche Anordnung zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit des Providers führen, da sie ihn verpflichten würde, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf seine Kosten betriebenes Informatiksystem einzurichten, was im Übrigen gegen die Voraussetzungen nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 verstieße, wonach die Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein dürfen.”

Als weiteren gewichtigen Punkt nannte das Gerichtshof in seinem Urteil den Umstand, dass die mit der Einrichtung entsprechender Sperren verbundene Analyse des Internetverkehrs der Nutzerinnen und Nutzer Kundenrechte verletzen würde, und betonte in diesem Zusammenhang vor allem das Recht auf den Schutz der Privatsphäre, aber auch das Recht auf freien Empfang von Informationen:

„Zum einen steht nämlich fest, dass die Anordnung, das streitige Filtersystem einzurichten, eine systematische Prüfung aller Inhalte sowie die Sammlung und Identifizierung der IP-Adressen der Nutzer bedeuten würde, die die Sendung unzulässiger Inhalte in diesem Netz veranlasst haben, wobei es sich bei diesen Adressen um personenbezogene Daten handelt, da sie die genaue Identifizierung der Nutzer ermöglichen. Zum anderen könnte diese Anordnung die Informationsfreiheit beeinträchtigen, weil dieses System möglicherweise nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte.”

In ihrem heutigen Urteil verweisen die Richter des EuGH darauf, dass Rechteinhaber generell zwar gerichtliche Anordnungen gegen Zugangsanbieter beantragen können, wenn deren Dienste von Dritten zu Copyright-Verstößen genutzt werden, da derartige Verfügungen nationales Recht beträfen. Gleichzeitig müssten jedoch EU-Vorgaben wie die E-Commerce-Richtlinie und die EU-Grundrechtecharta zwingend beachtet werden. Durch das heutige Urteil des EuGH sind Sperren zukünftig demnach zwar nicht per se ausgeschlossen, die Hürden für entsprechende Anordnungen sind aber extrem hoch gelegt worden. Durch das Urteil wird die Haltung derjeniger, die auch in Deutschland immer wieder nach entsprechenden, repressiven Regelungen rufen, in Frage gestellt. Sie stehen in der  Bringschuld, wenn es darum geht, die Grundrechtskonformität ihrer Vorschläge nachzuweisen.

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