Die Debatte um die Reform des Urheberrechts (und die Einfürhung einer Pauschalabgabe) wird seit langem kontrovers geführt – dies wurde gerade auch in den letzten Tagen wieder deutlich. Zusammen mit Robert Habeck, Schriftsteller und Fraktionsvorsitzender der schleswig-holsteinischen Landtagsfraktion, habe ich einen Debattenbeitrag für die Frankfurter Rundschau geschrieben, in dem wir uns für eine grundlegende Reform des Urheberrechts, das sich den durch Internet und Digitalisierung entstandenen Realitäten anpassen muss, und die Einführung eines  Pauschalvergütungsmodells als möglichem Ausweg aus dem derzeit für niemanden befriedigendem Status Quo  ausgesprochen. Den Originalbeitrag findet Ihr unter anderem auf den Seiten der Frankfurter Rundschau. Wie immer gilt: Über Eure Kommentare, Eure Kritik und Anregungen freuen wir uns.

 

Urheberrecht

Pauschalabgabe statt Abmahnwahn

Von Konstantin von Notz und Robert Habeck

Die Digitalisierung, eine neue, alte Herausforderung: Das Urheberrecht berührt heute das Leben aller Menschen. Ein Plädoyer für die Kulturflatrate.

Vor Kurzem hat das Handelsblatt eine Kampagne mit dem wundersamen und etwas irreführenden Titel „Mein K©pf gehört mir“ gestartet. Erklärtes Ziel war es, endlich gegen eine vermeintliche „Umsonstkultur“ vorzugehen und mittels Kontrolle und Überwachung, das „geistige Eigentum“ im Internet zu retten. Die Statements von über 100 Menschen bieten im Hinblick auf die Lösung der tatsächlich drängenden Fragen des Urheberrechts in der digitalen Welt kaum Lösungen. Die Kampagne des Handelsblatts vermittelt leider wenig differenziert Sinn und Zweck des Urheberrechts oder die neuen Herausforderungen durch Internet und Digitalisierung.

Die Aktion wendete sich erstaunlicherweise auch direkt und ausdrücklich gegen eine politische Partei, die weder rassistisch, noch nationalistisch, noch rechtspopulär ist und in Umfragen derzeit über 10 Prozent gemessen wird, die Piratenpartei. Uns ist eine offizielle Kampagne gegen eine bestimmte Partei von Seiten einer unabhängigen Zeitung in der jüngeren deutschen Geschichte nicht in Erinnerung. Vergleichbar ist die Aktion wohl am ehesten mit der Rote-Socken-Kampagne der CDU aus dem Jahr 1994 gegen die damalige PDS.

„Mein K©pf gehört mir“ will sich allerdings auch gegen die sogenannte Netzgemeinde wenden – eine Netzgemeinde die nach aktuellen Zahlen praktisch über die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes umfasst. Über 30 Millionen Deutsche nutzen Soziale Netzwerke als Kommunikations- und Informationsplattformen um sich über Neuigkeiten auszutauschen, sich gegenseitig Interessantes im Netz zu empfehlen und um an Kultur und Gesellschaft teilzuhaben. Wer in diesem Zusammenhang das Wort „Netzgemeinde“ mit der Absicht im Munde führt zu unterstellen, hier handele es sich lediglich um eine kleine, skrupellose, sektenähnliche Gemeinde, die im Netz „Wilder Westen“ spiele, entlarvt sich im besten Fall als Realitätsverweigerer.

Urheberrechtsverletzungen sind überall zu finden
Dabei gibt es bei der Analyse des Ist-Zustandes um Urheberrechtsverletzungen im Internet einen offenen Widerspruch: Entweder ist die „Netzgemeinde“ ein kleiner verschworener Kreis von wenigen Internet-Anarchisten, denen jegliche Form von Rechten der Urheber egal ist. Dann wäre aber ihr Einfluss entsprechend ihrer bedeutungslosen Zahl als so verschwindend gering auf Kunst und Kultur anzusehen, dass eine Bekämpfung mittels repressiver Rechtsverfolgung entsprechend wenig bis gar kein Gewinn für die vom Massengeschäft lebende Kulturindustrie brächte. Oder aber es ist tatsächlich so, dass Millionen von Usern (Bürgerinnen und Bürgern) Files unrechtmäßig und kostenfrei down- und uploaden, dann aber gäbe es eine ganz erhebliche Akzeptanz- zumindest aber Praktikabilitätskrise des Urheberrechts in der digitalen Welt in der Bevölkerung.

War früher das Urheberrecht ein Bereich für wenige sehr spezialisierte Juristen, die davon lebten, dass die Materie so kompliziert war, dass die Kreativen, Verlage und betroffenen Firmen externen Rats zwingend bedurften, hat heute die Digitalisierung das einstige rechtspolitische Nischenthema zu einem zentralen gesellschaftspolitischen Anliegen gemacht. Denn inzwischen ist beinahe jeder Mensch täglich mit Urheberrechtsfragen konfrontiert. Etwa dann, wenn ich dieses Lied anhöre, dieses Video bei Youtube schaue, meine Fotos bei Facebook hochlade, diesen Artikel in meinem Blog verlinke, diese Karte auf meiner Homepage zeige…

Neue Lösungen müssen her
Wir müssen uns deutlich machen, dass ein einfaches „Weiter so“ nicht möglich sein wird, sondern neue, intelligente und adäquate Lösungen gefunden werden müssen, um Urheber auch in Zeiten der Digitalisierung angemessen zu vergüten.

Die Digitalisierung ermöglicht es, bestimmte Inhalte (Texte, Musik, Fotos, Filme, u.ä.) in Sekundenschnelle zu minimalen Kosten bei gleichbleibender Qualität unendlich oft zu kopieren und mittels Internet bis in den letzten Winkel des Planeten schneller zu verbreiten als es bisher jemals möglich war. Der Erfinder des Buchdrucks, Johannes Gutenberg, hätte wohl Tränen in den Augen, hörte er von diesen Möglichkeiten.

Auf diese Weise wird die Vervielfältigung und Verbreitung urheberrechtlich geschützter Inhalte möglich, ohne dass der Urheber oder der Verwerter dafür irgendeine Vergütung erhielten. Folge unseres bisherigen Systems ist es, dass die Urheber hinter jeder einzelnen Verwendung ihrer Werke gezielt herlaufen und das Geld eintreiben. Wer nicht kaufmännisch interessiert ist und nicht auf teure Anwälte zurückgreifen möchte oder gar kann, muss einer vergütungslosen Nutzung seiner Schöpfung hilflos zusehen.

Die Problematik ist nicht grundsätzlich neu
Die Grundproblematik ist nicht gänzlich neu. Mit der Erfindung des Radios und des Fernsehens war die Welt schon einmal herausgefordert, sich aufgrund neuer technischer Erfindungen neue Vergütungskonzepte einfallen zu lassen. Nach der Erfindung der Aufnahmetechnik im Bereich von Musik und Film und des Kopierens von Texten mittels Fotokopierer war die Antwort auf diese für die Urheber und Verwerter scheinbar bedrohliche neue Entwicklung eine Pauschalvergütung in Form der sogenannten Leerträgerabgabe.

Wir zahlen seitdem für jeden Kopierer, jeden CD-Rohling, jede Festplatte, jeden Drucker, jedes Handy und jeden Laptop eine Pauschale, die dann über Verwertungsgesellschaften an die Urheber verteilt wird. Diese Vergütungsmodelle waren bei ihrer Einführung natürlich auch umstritten, viele beschworen den Untergang der Kreativindustrie. Vom Tod der Musikwirtschaft war auch schon bei Aufkommen der Leerkassette die Rede.

Alle Untergangsszenarien haben sich nicht bewahrheitet und die Menschen kauften weiter Platten, CDs und Filme und gingen auch weiter ins Kino. Dennoch, unser Pauschalvergütungssystem hat auch heute noch seine Schwächen – mehr Verteilungsgerechtigkeit, mehr Transparenz und mehr demokratische Mitbestimmung bei den Verwertungsgesellschaften sind dringend geboten!

Um es auf einen Satz zu bringen: Die Durchsetzung bisheriger Vergütungsmechanismen des Urheberrechts ist in der Digitalen Welt unmöglich, sofern man das Verhältnismäßigkeitgebot wahren will. Jegliche Mittel, die Verbreitung kopierter Inhalte oder schon den Vorgang der Kopie kontrollieren zu wollen, setzen eine umfassende Überwachung des Onlineverhaltens der Menschen im Internet voraus. Das ist offensichtlich grundrechtswidrig. Dieser Tatsache müssen wir uns stellen.

Auch hier lässt sich eine Parallele ziehen: Als die Aufnahmetechnik erfunden wurde, hätte man die Leerkassette natürlich einfach verbieten können, um damit zu erschweren, dass Menschen urheberrechtlich geschützte Werke kopieren. Die Durchsetzung wäre jedoch massiv schwierig, wenn nicht gar unmöglich geworden und hätte ein drastisches Überwachungsregime erfordert, wer, was, wann im Radio und Fernsehen anhört und ansieht, und was davon mitgeschnitten wird. Regelmäßige Hausdurchsuchungen, zum Aufspüren von unrechtmäßigen Kopien wären eine erforderliche Folge gewesen. Und bei wiederholten Verstößen hätte man die Abstellung ganzer Hausanschlüsse für Radio und Fernsehen androhen und durchsetzen können.

Alles absurd und unvorstellbar? Na ja, im Hinblick auf das Netz und Digitalisierung werden genau diese Schritte unter Stichworten wie Two- und Three-Strikes, Providerhaftung, Vorratsdatenspeicherung und dergleichen ernsthaft erwogen.

Der Abmahnwahn muss gestoppt werden!
Keines dieser Modelle kommt ohne flächendeckende Überwachung des Surfverhaltens im Internet aus, sondern ist teilweise geradezu darauf angelegt hinter den Bürgerinnen und Bürgern umfassend herzuspionieren.

Die jährlich nunmehr 800.000 Abmahnungen mit der ein Heer von Anwälten die Menschen in diesem Land überziehen, ist ganz offensichtlich ein krasser Irrweg, der nicht ausgebaut, sondern endlich gestoppt werden muss.

Es geht um einen gerechten Interessenausgleich aller Beteiligten unter den Bedingungen des Kunstwerks im Zeitalter seiner digitalen Vervielfältigung. Unser Vorschlag einer Kultur-Flatrate, eines Kulturtickets oder besser einer Pauschalvergütung für die nicht kommerzielle Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten im Netz soll genau diesen Ausgleich schaffen. Kommerzielle Angebote wie kino.to bleiben also verboten. Jeder Inhaber eines privaten Breitbandanschlusses (derzeit ca. 28 Millionen) würde in diesem Modell eine geringe monatliche Summe zahlen und könnte dafür urheberrechtlich geschützte Inhalte privat nutzen.

Vor allem aber bräuchten die Urheber nicht mehr auf eine individuelle Rechtsdurchsetzung gegenüber jedem einzelnen Bürger zurückgreifen. Dadurch könnten sie enorme Summen einsparen. Gleichzeitig wäre die Einnahme einer Summe garantiert, die höher ist als der Gesamtbetrag der größten Verwertungsgesellschaften heute.

Pauschalabgabe könnte Defizite lösen

Mit einer Pauschalabgabe für das Internet könnten sogar einige Defizite der Pauschalabgabe der analogen Welt gelöst werden, weil über das Internet – bei vollem Datenschutz – eine viel genauere Erfassung der Nachfrage möglich ist, so dass die Einnahmen sehr viel gerechter verteilt werden könnten und Klein- und Nischenkünstler Berücksichtigung fänden, die heute nicht selten durch das grobe Verteilungsraster fallen.

Zudem kann man noch an anderen Stellschrauben des Urheber- und Urhebervertragsrechts drehen. So wurden die Schutzfristen in der Vergangenheit immer wieder verlängert und gelten inzwischen bis 70 Jahre nach dem Tot des Urhebers. Hier ist der Weg, um den Zugang zu kulturellen Gütern zu erleichtern und den Umgang mit Werken transparenter und weit weniger kompliziert auszugestalten, eine Flexibilisierung und Verkürzung der Schutzfristen und nicht etwa eine weitere Verlängerung, wie sie von einigen gefordert wird.
In diesem Zusammenhang halten wir es für falsch, dass in der Praxis den Urhebern oft alle Rechte von Verlagen und Verwertern abgehandelt werden können. Hier muss endlich das Urhebervertragsrecht verändert werden, um die Urheber in den Verhandlungen zu stärken. Daher gilt es zu prüfen, inwieweit das Urhebervertragsrecht zugunsten der Urheber so verändert werden kann, dass die Übertragung von Rechten für maximal nur 20 Jahre erfolgt, damit diese dann vollständig und unabdingbar wieder an die Urheber zurückfallen.

Es geht es mitnichten um eine Abschaffung des Urheberrechts. Es geht darum seine Struktur an das digitale Zeitalter anzupassen. Es ist Zeit, dass die Politik und die Interessenvertreter aller Seiten aus den Schützengräben steigen und solche konstruktiven Ansätzen endlich umsetzen. Lawrence Lessig, ein amerikanischer Rechtsprofessor und Netz-Vordenker, hat einmal gesagt, wir müssten endlich aufhören, unsere Kinder zu Terroristen zu machen, und ein Weg dahin sei die Kulturflatrate. Recht hat er.


Unsere Autoren

Robert Habeck ist Schriftsteller und Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Schleswig-Holstein. Für die vorgezogenen Landtagswahlen 2012 tritt er als Spitzenkandidat seiner Partei an.

Konstantin von Notz ist Jurist und für Bündnis 90/Die Grünen seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags und Mitglied des Bundestags-Innenausschusses sowie im Ausschuss für Kultur und Medien.

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