Am morgigen Donnerstag wird EU-Kommissarin Kroes ihre Pläne zur Neuregulierung des EU-Telekommunikationsmarktes vorstellen. Kritiker weisen seit langem darauf hin, dass die Pläne von Kommission und deutschem Bundeswirtschaftsministerium, die Netzneutralität endgültig aufzukündigen, grundlegende Prinzipien des freien und offenen Internets bedrohen. In einem gemeinsamen Beitrag haben Konstantin und Jan Philipp die Pläne von EU-Kommission und BMWi kritisiert und die zuständige Kommissarin Kroes aufgefordert, auf EU-Ebene nicht die gleichen Fehlern zu wiederholen, die das deutsche Wirtschaftsministerium bereits begangen hat.

Rettet das offene Internet – Netzneutralität endlich absichern!

Das Prinzip der Netzneutralität, also die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Übertragung von Datenpaketen, war nicht nur essenziell für die bisherige Entwicklung des offenen Internets, wie wir es kennen. Es ist zugleich auch von entscheidender Bedeutung für dessen zukünftige demokratische und wirtschaftliche Innovationskraft. Der offene Angriff auf das Prinzip der Netzneutralität durch Telekom und Co. droht die Erfolgsgeschichte Internet nachhaltig zu gefährden. Aus einer vermeintlichen Wirtschaftsnähe weigern sich schwarz-gelbe Bundesregierung und Europäische Kommission, das Prinzip der Netzneutralität für die Bürgerinnen und Bürger effektiv gesetzlich abzusichern.

Die Diskussion um die Wahrung der Netzneutralität und darüber, ob diese einen gesetzlichen Schutz braucht, wird seit langem, sowohl auf bundesdeutscher wie auf europäischer Ebene, kontrovers geführt, geht es doch um eines der wichtigsten Grundprinzipien des offenen Internets. Knapp 300.000 Menschen forderten die Bundesregierung in Petitionen auf, die Netzneutralität gesetzlich zu sichern.

Im Bundestag hat sich die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ in einer eigenen Projektgruppe intensiv mit der Thematik beschäftigt und mehrere Anhörungen durchgeführt. Parallel hat EU-Kommissarin Neelie Kroes eine Studie in Auftrag gegeben und einen Konsultationsprozess gestartet, um den Bedarf an weiteren – auch gesetzgeberischen – Maßnahmen auszuloten. Insgesamt gab es kaum ein netzpolitisches Thema, das in- und außerhalb der Parlamente in den letzten Jahren so intensiv erörtert wurde, wie die Frage nach der Notwendigkeit der gesetzlichen Wahrung der Netzneutralität.

Sowohl die Arbeit der Enquete-Kommission, als auch die durch die EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie, haben den hohen Handlungsbedarf noch einmal verdeutlicht. Schon heute verstoßen zahlreiche Anbieter, vor allem im Mobilbereich, gegen die Netzneutralität: Das Verlangsamen und Sperren von Peer-to-Peer-Verkehr sowie von Internet-Telefonie ist weit verbreitet. Um entsprechende Sperrungen vorzunehmen, wird immer wieder auch auf höchst umstrittene Techniken wie die „Deep Packet Inspection” (DPI) zurückgegriffen, die Meta- und Inhaltsdaten ausliest und damit in das Telekommunikationsgeheimnis eingreift.

Der politische Druck durch die Telekommunikationsanbieter, das bislang geltende Prinzip der Neutralität der Datenübermittlung endgültig aufzukündigen, steigt täglich. Wurde der Wunsch nach einem „Zwei-Klassen-Internet“, in dem die Daten derjenigen bevorzugt werden, die mehr zahlen können, in den vergangenen Jahren lediglich hinter vorgehaltener Hand vorgebracht, wird er heute offen ausgesprochen – derzeit von einem Unternehmen, dessen Hauptanteilseigner der Bund ist.

Obwohl im Bundestag entsprechende Anträge und Gesetzesentwürfe der Opposition seit langem vorliegen und sich auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments gegenüber der Europäischen Kommission – fraktionsübergreifend – wiederholt für eine gesetzliche Regelung ausgesprochen haben, stellen sowohl CDU/CSU und FDP, als auch die amtierende EU-Kommission weiterhin vermeintliche Wirtschaftsinteressen vor die der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Gretchenfrage, wie eine Priorisierung bestimmter Daten nicht automatisch einhergehen soll mit einer Diskriminierung anderer Daten, blieb bislang unbeantwortet.

Die von CDU/CSU und FDP im Zuge der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes vorgelegte Verordnungsermächtigung ist ein stumpfes Schwert. Die bislang vom Bundeswirtschaftsministerium erarbeiteten Entwürfe sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen. Während CDU/CSU und FDP noch immer suggerieren, man könne auf diesem Wege die Netzneutralität effektiv sichern, weisen Opposition und Verbraucherschützer seit langem darauf hin, dass damit letztendlich das Vorgehen von Telekom und Co. sogar legalisiert werden würde. Ganz ähnlich verhält es sich mit einem von der zuständigen EU-Kommissarin Neelie Kroes erarbeiteten Entwurf, der ebenfalls massive Schlupflöcher enthält und – vollkommen zu Recht – viel Kritik erfuhr.

Die Bundesregierung hat ihr eigenes Scheitern mittlerweile kleinlaut eingestanden und sich von ihrem ursprünglichen Plan, noch in dieser Legislatur eine Regelung vorzulegen, längst verabschiedet. Angesichts der Herausforderungen der digitalen Welt ist dies ein weiterer politischer Offenbarungseid einer völlig überforderten Regierung. Der bislang von Bundesregierung und EU-Kommission verfolgte „Laissez-faire”-Ansatz ist gescheitert.

Der bisherige Weg, trotz immer wieder anders lautender Absichtserklärungen  weiter abzuwarten, bis das Kind endgültig in den netzpolitischen Brunnen gefallen und ein „Zwei-Klassen-Internet“ tatsächlich Realität ist, muss dringend überdacht werden. EU-Kommissarin Neelie Kroes wird voraussichtlich am 11. September einen überarbeiteten Gesetzentwurf vorlegen. Damit eröffnet sich für den europäischen Gesetzgeber die Chance, auf EU-Ebene doch noch eine Regelung zu beschließen, die ihren Namen tatsächlich verdient.

Die EU-Kommission muss Vorschläge einer konkreten und effektiven gesetzlichen Absicherung der für unsere moderne Wissens- und Informationsgesellschaft so elementaren Netzneutralität vorlegen. Nur sie scheint derzeit noch in der Lage zu sein, die weitere demokratische und wirtschaftliche Entwicklung eines freien und offenen Internets abzusichern. Sie muss aus den Fehlern der vor einem einzigen Scherbenhaufen stehenden Bundesregierung lernen und die Interessen von über 500 Millionen Europäerinnen und Europäern in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen für ein freies und offenes Internet stellen.

Konstantin von Notz ist innen- und netzpoltischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und war Obmann der Grünen in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“.

Jan Philipp Albrecht ist innen- und justizpolitischer Sprecher und Experte für Netzpolitik der Grünen Fraktion im Europäischen Parlament sowie Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments für die EU-Datenschutzverordnung.

Hier findet Ihr eine Übersicht unserer bisherigen Aktivitäten im Bereich Netzneutralität

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