Nach der Benennung Günther Oettingers als neuem „EU-Internetkommissar“ fühlen sich heute zunächst all diejenigen bestätigt, die befürchtet haben, dass die EU-Kommission jemanden als neuen „Internetkommissar“ benennen wird, der sich, statt sich für eine progressive EU-Netzpolitik einzusetzen, vor allem der Durchsetzung der Interessen weniger großer Konzerne widmen wird. Auch wir haben vor einiger Zeit derartige Befürchtungen geäußert. Gleichzeitig sagen wir klar: Auch Günter Oettinger hat zumindest eine 100 Tage-Frist verdient. Der neue deutsche EU-Internet-Kommissar wird in den nächsten Monaten beweisen müssen, dass er den anspruchsvollen Herausforderungen, vor die Internet und Digitalisierung den Gesetzgeber stellen, tatsächlich gewachsen ist.

Wir erwarten, dass sich Günther Oettinger ab sofort für eine bürgernahe digitale Gesellschaftspolitik einsetzt. Diese muss vor allem den mehr als 500 Millionen Europäerinnen und Europäern und dem Schutz eines offenen und freien Netzes als wichtigste Kommunikationsinfrastruktur unserer Zeit zu Gute kommen. Hierzu gehört es auch, die bisherige EU-Netzpolitik, die in den vergangenen Jahren leider oftmals vor allem durch Vorschläge aus der Mottenkiste der Sicherheitspolitik aufgefallen ist, auf den Prüfstand zu stellen und im Zusammenspiel mit den anderen Kommissaren neu zu justieren.

Die digitale Revolution muss vom Gesetzgeber gestaltet werden – auch und gerade europaweit. Der neue Internetkommissar Oettinger ist in der Pflicht, hier endlich zu liefern, was die Bundesregierung blockiert. Wir werden die Politik des neuen EU-Kommissars aufmerksam verfolgen. Für die vor ihm liegenden, zweifellos großen Herausforderungen wünschen wir Günther Oettinger zunächst viel Erfolg.

Die ersten Statement des neuen Kommissars scheinen leider gewisse Befürchtungen direkt zu bestätigen: So warb der neue EU-Kommissar umgehend für eine weitere Stärkung der großen europäischen Telekommunikationsfirmen: „Unternehmen aus der EU wie Vodafone oder die Telekom“ seien zwar groß, global gesehen jedoch „eher am unteren Ende“, sagte Oettinger nach einem entsprechenden Bericht von Reuters nach seiner Nominierung auf einer Pressekonferenz in Brüssel. Es dürfte, so Oettinger weiter, nicht allein im Vordergrund stehen, dass der Verbraucher möglichst viele Angebote von möglichst vielen Anbietern erhalte. Eine Gefahr für Start-ups in der Internetbranche durch die Marktmacht von Großkonzernen sieht Oettinger nicht: „Für Start-ups in Berlin oder London ist es besser, sie haben Weltmarktführer in Europa als in New York oder Shanghai.“ Schon heute scheint klar: Günther Oettinger versteht Netzpolitik vor allem als digitale Industriepolitik. Das lässt nichts Gutes hoffen.

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