Mit der Entlassung von Generalbundesanwalt Range ist es bei Weitem nicht getan. Die Aufklärung über das Ermittlungsverfahren wegen „Landesverrats“ gegen Journalisten fängt jetzt erst an. Wer wusste in der Bundesregierung wann wie viel von den Vorgängen? War das für Geheimdienstkoordination zuständige Kanzleramt wirklich so ahnungslos? Wie erklären sich die Widersprüche in den Statements von Generalbundesanwalt Range, Justizminister Maas und Innenminister de Maiziere? Gestern berichteten wir bereits über unsere Bemühungen, Licht ins Dunkel zu bekommen. So haben wir unter anderem eine Sondersitzung des Rechtsausschusses beantragt, die die Abgeordneten von Union und SPD jedoch abgelehnt haben. Aufklärung geht freilich anders. Gestern hatten wir angekündigt, noch einmal ausführlich über unsere umfangreiche Parlamentarische Anfrage (pdf) zu berichten.

Klar ist: Seit der Spiegel-Affäre 1962, über die damals zwei Staatssekretäre stolperten und Franz-Josef-Strauß seinen Posten als Bundesverteidigungsminister verlor, hat es kein auch nur annähernd vergleichbares Vorgehen gegen Journalisten gegeben. Gegen den Blog netzpolitik.org beziehungsweise die presserechtlich verantwortlichen Journalisten Markus Beckedahl und André Meister wurde am 13. Mai 2015 durch den Generalbundesanwalt (GBA) ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Landesverrats eröffnet. Vorausgegangen waren zwei Strafanzeigen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV).

Der Generalbundesanwalt hat mit § 94 StGB den schärfsten Paragrafen gewählt, den das deutsche Recht für den Verrat von Geheimnissen kennt. Und das obwohl – nach mehreren Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Pressefreiheit – Beihilfehandlungen von Journalisten im Zusammenhang mit der Verletzung von Dienstgeheimnissen und einer bestimmten Geheimhaltungspflicht nicht mehr unter Strafe stehen. Ob es sich bei den wenig gehaltvollen und wenig erstaunlichen Dokumenten, die netzpolitik.org veröffentlichte, um ein Staatsgeheimnis handelt, ist äußerst zweifelhaft. Der mittlerweile entlassene Generalbundesanwalt Range hat sich die Position aus einem äußerst dünnen internen Gutachten des Bundesverfassungsschutzes zu Eigen gemacht.

Der beispiellose Eklat zwischen Generalbundesanwalt und Justizministerium ist auch für den zuständigen Justizminister ein Fiasko. Und man muss sich fragen, welche Rolle das Bundesministerium des Innern (BMI) und der Bundesinnenminister gespielt haben – dass der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz Maaßen in einer Sache von so grundsätzlicher Bedeutung im Alleingang und ohne Rückendeckung entscheidet, wäre sehr ungewöhnlich. Und wenn die Kanzlerin von alledem nichts gewusst hätte, würde das auch Fragen nach den Verhältnissen innerhalb der Bundesregierung und zwischen Bundesregierung und Verfassungsschutz aufwerfen.

Jedenfalls können weder die Minister noch die Bundesregierung die Sache durch eine einzige Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand abwälzen. Alle Fakten müssen auf den Tisch. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sich die abwegige Konstruktion über den Vorwurf des Landesverrats gegen Journalisten vorzugehen, ausgedacht. Diese Verantwortung können weder Herr Maaßen noch Herr de Maizière bei Herrn Range abladen. Die unangemessene Schärfe des Vorgehens des Chefs des Bundesamtes für Verfassungsschutz lässt erneut Zweifel daran aufkommen, ob hier das richtige Amtsverständnis vorhanden ist, um die nach dem NSU-Skandal dringend nötigenden Reformen beim Verfassungsschutz im Dienste von Rechtsstaat und Demokratie durchzusetzen.

Es stellen sich nach wie vor zahlreiche Fragen, unter anderem, ob es denn gegen Journalisten, eigene Behörden oder Abgeordnete in den letzten Monaten zu Überwachungsmaßnahmen gekommen ist oder diese geplant wurden, um die unliebsame Berichterstattung zu unterdrücken. Jetzt ist Aufklärung angesagt. Die grüne Fraktion hat der Bundesregierung einen umfangreichen Fragenkatalog vorgelegt. In der Parlamentarischen Anfrage wollen wir von der Bundesregierung zum Beispiel wissen,

  • mit wem die Erstattung der Anzeige des BfV gegen Beckedahl und Meister im Bundesinnenministerium abgestimmt war, das für die Fachaufsicht über das BfV zuständig ist;
  • von wem das BfV-interne-Gutachten über die zentralen Rechtsfragen verfasst wurde, welche Fachkompetenz diese Person hat und ob es stimmt, dass da Gutachten nur zehn Seiten dünn ist;
  • ob der Bundesjustizminister sich gegenüber dem GBA in der Sache klar und deutlich positioniert hat und wenn nein, warum nicht;
  • ob die rechtlich und politisch hoch brisante und zwischen den Ressorts unterschiedlich bewertete Frage, ob ein Ermittlungsverfahren gegen die Journalisten eingeleitet werden soll, auch mit und im Bundeskanzleramt diskutiert wurde, wie das nach den einschlägigen Geschäftsordnungen vorgesehen ist;
  • ob es in der Vergangenheit weitere Fälle von (geplanten) Ermittlungsmaßnahmen gegen Journalisten oder Bundestagsabgeordnete gab und
  • was die Bundesregierung gegen den einschüchternden Effekt zu tun will, den diese Affäre auf die Presse hat.

Hier findet Ihr unsere Kleine Anfrage „Strafrecht und Pressefreiheit“ (pdf), über die netzpolitik.org schon berichtet hat, im Wortlaut.

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