Am vergangenen Donnerstagabend stand unter anderem die zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften (BT-Drucksache 18/8620) auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages. Meine Rede dokumentieren wir hier. Wie immer gilt: Über Kommentare und Anregungen freue ich mich.

TOP ZP 5, Rede Bundesmeldegesetz, 07.07.2016
Dr. Konstantin von Notz

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,

das Melderecht erreichte 2012 politische Skandalhöhe, als die schwarz-gelbe Koalition vor nahezu leeren Rängen zeitgleich zu einem WM-Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft versuchte, klammheimlich die weitgehende Kommerzialisierung wichtiger Teile der behördlichen Meldedatenbestände für die deutsche Wirtschaft durchzuwinken.

Es war und bleibt bemerkenswert töricht, dass eine vormals in überwiegend föderaler Verantwortung behandelte Materie damals auf solche Weise im Bundestag missachtet wurde. Heute laufen wir mit der Reform des Melderechts erneut parallel zu einem Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Auch wenn der vorliegende Entwurf keine mit 2012 vergleichbaren Regelungen enthält, ist diese Parallelität schon erstaunlich.

Wir Grüne waren es, die damals im Vermittlungsverfahren des Bundesrates dafür gesorgt haben, dass statt der bloßen Widerspruchslösung wieder eine die Interessen der Bürgerinnen und Bürger wahrende Lösung, nämlich die Einwilligungslösung, ins Gesetz kam. Der Vorgang damals sollte uns alle gelehrt haben, dass Entscheidungen zum Melderecht von datenschutzpolitisch großer Tragweite sein können. Es sollte eigentlich allen die Augen dafür geöffnet haben, welche Sprengkraft der fehlgeleitete Umgang mit Datenbeständen haben kann, welche gleich die Gesamtheit der über 80 Millionen Bundesbürgerinnen und Bürger betreffen.

Die Begehrlichkeiten nahezu aller Ressorts, ihre Vorhaben, Behörden und Projekte mit dem Datenbestand der Landesmelderegister zu verkoppeln, wirft schwierigste datenschutzrechtliche Fragen auf. Verfassungsrechtlich sind wir seit dem Volkszählungsurteil und zu Recht gebunden, kein nationales Bevölkerungsregister zu errichten. Doch mit der – ich betone – dringend notwendigen und von allen Merkel-Regierungen bislang weitgehend verschlafenen Digitalisierung der Verwaltung verwirklichen sich die Risiken für Persönlichkeitsrechte und Datenschutz in undifferenzierten Vernetzungen und nicht hinreichend bestimmten Befugnissen im Umgang mit den zunehmend verkoppelten Datenbeständen.

Gegen unseren Widerstand und unsere Stimmen nahm die letzte Merkel-Regierung in der Reform von 2013 weitere, sowohl bürokratische als auch die Rechte der Bürgerinnen und Bürger missachtende Regelungen in das Melderecht auf. Hervorzuheben sind etwa die Hotelmeldepflicht sowie die Mitwirkungspflicht des Vermieters bei An- und Abmeldung von Mieterinnen und Mietern.

Um eines noch einmal klar zu sagen: Wir leugnen nicht, dass das Melderecht eine immer größere Bedeutung für die Informationsordnung gewonnen hat, nicht allein für die Verwaltung, sondern auch für die Wirtschaft. Man muss das Bundesmelderecht nicht gleich zum informationellen Rückgrat einer modernen bürgerorientierten Verwaltung stilisieren: der damit geschaffene Eindruck ist ja auch aus den oben genannten Gründen verfassungsrechtlich fragwürdig. Denn es bleibt dabei, dass unsere Verwaltung grundsätzlich einer informationellen Gewaltenteilung unterliegt.

Gleichwohl müssen wir die gewachsene Anzahl der Zugriffsmöglichkeiten und damit der Vernetzung der Meldedatenbestände mit anderen öffentlichen Stellen und Entscheidungsprozessen anerkennen und deren Nutzung in die notwendigen gesetzgeberischen Abwägungen einbeziehen. Ein aktuelles Beispiel sind die umfangreichen Abruf- und Einmeldemöglichkeiten seitens aller mit Flüchtlingsfragen befassten Behörden nach dem sogenannten  Datenaustauschverbesserungsgesetz.

Während dieses Gesetz aus rein datenschutzpolitischer Sicht eine ganze Reihe fragwürdiger Regelungen enthält, zeigt sie doch zugleich auch die Bedeutung des Meldedatensystems. Die mit Hilfe der Auskunftspflicht von Bürgerinnen und Bürgern gewonnen Meldedaten werden genutzt, um sehr unterschiedliche staatliche Aufgaben zu erleichtern, zu optimieren und zu ermöglichen. Durch die Vernetzung der Behörden wird es möglich, Aufgaben zu erledigen, ohne die betroffenen Bürgerinnen und Bürger für die Durchführung der jeweiligen Aufgaben erneut in Anspruch nehmen zu müssen. Diese Effizienz, Kosteneinsparung und Bürgerfreundlichkeit ist natürlich ein Riesengewinn, der mittlerweile von vielen als selbstverständlich erachtet wird und beispielsweise im Umgang mit den zu uns Geflüchteten auch einen wichtigen Faktor darstellt, um eine rasche Integration zu ermöglichen.

Gleichwohl kann und wird es mit dem Melderecht auch zukünftig keinen multifunktionalen Informationspool geben dürfen, bei denen sich die Behörden oder auch die Wirtschaft nach Belieben und weitgehend ohne Beteiligung der Betroffenen selbst bedienen können.

Doch zurück zum heute vorliegenden Gesetzentwurf: Die Hotelmeldepflicht ist ein Element unnötiger Verpolizeilichung des Melderechts. Für ihre Erforderlichkeit im verfassungsrechtlich gebotenen Sinne ist nichts dargetan, sie war jahrelang durch Rot-Grün zutreffend abgeschafft, ihre Wiedereinführung 2013 war unnötig. Wir bedauern, dass sie auch in dieser Reform durch die Große Koalition nicht zurückgenommen wird. Diese Rücknahme wäre die Mindestvoraussetzung dafür, dass die Große Koalition heute ihren Entwurf als Entbürokratisierung bezeichnen dürfte.

Bei der Abschaffung der persönlichen Pflicht zur Abmeldung bei Wegzug ins Ausland hat die Große Koalition dagegen wohl einen Schritt in die richtige Richtung getan. Sie sollten sich dafür jedoch nicht allzu sehr abfeiern, denn die Pflicht bleibt ja im Grundsatz bestehen, sie kann nur zukünftig elektronisch erfolgen. Angesichts der fehlenden Akzeptanz und der unzureichenden Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger bei der Nutzung entsprechender Möglichkeiten wie DE-Mail oder des elektronischen Personalausweises – also überwiegend der Versäumnisse der Merkel-Vorgängerregierungen beim E-Government – dürfte sich der Ertrag dieser Regelung in engen Grenzen halten.

Noch schlimmer sieht es bei der Mitwirkungspflicht des Vermieters bei An- und Abmeldungen aus: Weil die letzte Merkel-Reform des Melderechts aufgrund der langen Umsetzungsfrist von zwei Jahren – die technischen Möglichkeiten in Bund und Land waren der Grund – erst im vergangenen Jahr in Kraft trat, haben wir für die heute zu beschließende Abschaffung der Vermieterbestätigung der Abmeldung eine gesetzliche Regelung, die lediglich wenige Monate Lebensdauer erreichte. Wir haben Sie damals deutlich davor gewarnt, die 2002 abgeschaffte Mitwirkungspflicht der Vermieter wieder einzuführen. Auch die SPD hat übrigens noch bis 2013 in der letzten Reform davor gewarnt. Doch die höhere Einsicht und Lernfähigkeit, auf die Kollege Krings uns zur Begründung im Innenausschuss verwies, bleibt leider lückenhaft.

Wie sonst ist es zu erklären, dass die Mitwirkungspflicht der Vermieter, sprich für Mieter wie Vermieter als auch Behörden, mühsame Papierbescheinigungen nach Vordruckmuster weiterhin, und zwar für die Anmeldung, erbracht werden müssen? Diese von Bürokratie und Misstrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen geprägte Regelung ist überflüssig, sie verhindert auch keine Scheinanmeldungen, den Nachweis entsprechender Wirkungen bleiben sie ohnehin schuldig. Wir fordern sie daher auf, ihre halbe Rolle rückwärts zu vervollständigen, meine Damen und Herren.

Gegen viele der Einzelregelungen in diesem Gesetzentwurf, das möchten wir betonen, bleibt im Einzelnen wenig einzuwenden. Wir begrüßen es vielmehr, dass die Vorschläge des Bundesrates aufgenommen werden, wie etwa bei der Erteilung der Meldebescheinigung oder bei der Melderegisterauskunft, die tatsächlich auch die Interessen der Bürgerinnen und Bürger im ausgewogenen Blick behalten. Nicht zuletzt deswegen lehnen wir den vorliegenden Gesetzentwurf auch nicht in Gänze ab.

Zentral bleibt hingegen aus unserer Sicht, die Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger im Rahmen des Melderechts zu betonen und damit stets auch ein wenig bekannter zu machen.

Lassen Sie uns, gemeinsam mit den, übrigens auch von der Bundesregierung in voller Absicht und seit Jahren völlig unterbesetzt gehaltenen Datenschutzbehörden, die Bürgerinnen und Bürger auf ihre eigenen Betroffenenrechte und Gestaltungsmöglichkeiten im Melderecht immer wieder hinweisen. Nur so können sie weiterhin Widerspruchsrechte geltend machen, und sich gegen die ungewünschte Zusendung von Wahlwerbebriefen oder gegen die Adressweitergabe an Adressbuchverlage wehren.

Es ist richtig und wichtig, dass die Weitergabe von Meldedaten für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels weiterhin nur mit Einwilligung möglich ist. Eine solche Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden. Schließlich können alle Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer gebührenfreien Selbstauskunft gegenüber der Meldebehörde  erfahren, welche Daten über sie konkret gespeichert sind, woher diese Daten stammen und wer die Empfänger regelmäßiger Datenübermittlungen sind. Auch die Nutzung dieser Betroffenenrechte trägt mit dazu bei, dass die Melderegister auch zukünftig keine uferlosen Allzweckdatenbanken werden.

Unsere Informationsordnung und damit auch die Verwaltung werden sich in den nächsten Jahren weiter massiv verändern. Das Element des Melderechts in seinem Verhältnis und im Kontext zu anderen vernetzten Datenbeständen muss zum Schutz der Grundrechte und der informationellen Selbstbestimmung daher weiterhin einer besonderen Beobachtungspflicht unseres Hauses unterliegen – das gilt natürlich gänzlich unabhängig von EM-Spielplänen.

                                                                                                                      Vielen Dank!

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