Der jüngste Vorstoß von Horst Seehofer ist ein erneuter Generalangriff auf die Anonymität im Netz.

Das gesetzlich im deutschen Telemediengesetz (TMG) verankerte Recht, Telemedienangebote auch anonym nutzen zu können, hat eine zentrale Schutzfunktion für die Nutzerinnen und Nutzer – selbstverständlich auch in Demokratien. Zahllose Datenskandale der letzten Jahre zeugen davon.  

Der jüngste Vorstoß schließt nahtlos an vergleichbare Forderungen von EVP-Spitzenkandidat Weber, Innen-Staatssekretär Krings und Bundestagspräsident Schäuble an, die in den letzten Tagen allesamt die Anonymität im Netz offen in Frage stellten. Wir haben es hier ganz offensichtlich mit einer konservativen Kampagne zu tun, die das Ziel verfolgt, von den massiven eigenen Versäumnissen bei der notwendigen Regulierung im Digitalen und den Kampf gegen klar strafbare Handlungen im Netz abzulenken – auf Kosten unserer Freiheitsrechte.

Der jetzige Vorstoß von Horst Seehofer ist im Übrigen das genaue Gegenteil von dem, was die Bundesregierung in den letzten Jahren immer wieder versprochen hat, nämlich Verschlüsselungs-Verfahren zu stärken. Statt einer zielgerichteten Abwehr von Gefahren wird auf Verschlüsselung insgesamt gezielt – und wie bei der Vorratsdatenspeicherung auf Millionen von Nutzerinnen und Nutzern abgezielt, die sich auch in Ermangelung staatlicher Regulierung zunehmend dem digitalen Selbstschutz zuwenden.

Zur Erinnerung: Man wolle, so dass Versprechen der Bundesregierung in ihrer „Digitalen Agenda“, an das wir die Bundesregierung in den letzten Jahren immer wieder erinnert haben, Deutschland „zum Verschlüsselungsland Nummer eins auf der Welt machen“. Nun wird erneut deutlich, wie wenig Wert die Worte der Bundesregierung in Wahrheit wert sind. Aus gutem Grund haben sich Länder wie die USA immer wieder gegen generelle Hintertüren in Hard- und Software ausgesprochen. Auch die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren, auch auf meine wiederholten Nachfragen, stets beteuert, dass es ihr selbstverständlich nicht darum ginge.

Der Vorstoß Horst Seehofers ist ein digitalpolitischer Offenbarungseid erster Güte und eine echte Kampfansage an Bürgerrechte und IT-Sicherheit. Er dokumentiert, wie wenig die international seit vielen Jahren geführte Debatte um den sogenannten „Cryptowar“ verfolgt wurde – oder ignoriert die massiven bürger- und verfassungsrechtlichen Bedenken komplett. Beides wäre fatal. Wir sind sehr gespannt, ob der Koalitionspartner, der gerade erst ein Positionspapier zur IT-Sicherheit vorgelegt hat, das Ansinnen des Innenministers mitträgt.

JedeR mit der Materie Vertraute weiß: Es gibt längst Möglichkeiten, auch auf verschlüsselte Kommunikationen zurückzugreifen, von denen auch immer wieder durchaus erfolgreich Gebrauch gemacht wird, zahlreiche Verfahren der letzten Monate zeugen davon. Generelle Hintertüren, wie wir sie sonst nur aus autoritären und totalitären Staaten kennen, lehnen wir auch vor diesem Hintergrund auch weiterhin ganz entschieden ab.

An ihrer statt setzen wir uns als Grüne für die Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben und eine Erhöhung der Eingriffsschwellen für die zielgerichtete Abwehr konkreter Gefahren im Digitalen ein – wie sie übrigens auch mit der Union im Zuge der Jamaika-Sondierungen längst vereinbart waren.

Statt eines staatlichen Handels mit Sicherheitslücken und im rechtsfreien Raum schwebende Einrichtungen wie ZITIS, deren originäre Aufgabe es ist, Kryptografie zu brechen, brauchen wir auch weiterhin sehr viel mehr und bessere Verschlüsselung – und ganz bestimmt nicht weniger.

Der Bundesinnen- und Verfassungsminister hat die Bedeutung eines effektiven Grundrechtsschutzes im Digitalen und den Wert bis heute nicht verstanden. Das ist bitter.

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